„Riesige Beruhigungspille“Mechernicher kritisieren Untersuchung wegen Bleibelastung

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Bleiscreening Mechernich

Kein einheitliches Meinungsbild gaben die mehr als 100 Besucher der Infoveranstaltung ab.

Mechernich – Eine Stadt scheint gespalten. Unter den knapp mehr als 100 Besuchern der Infoveranstaltung zum Blutscreening in Mechernich am Montagabend befanden sich sowohl Bürger, die höchst besorgt wegen möglicher Gesundheitsgefahren durch die Bleibelastung sind und Stadt sowie Kreis heftig kritisierten, als auch Besucher, die diese Kritik und Sorgen für übertrieben hielten.

Zur ersten Gruppe gehört eindeutig Bernd Rudolph aus Kommern. „Wir müssen einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass Blei giftig ist und menschliche Entwicklung und Wachstum behindern kann“, forderte er. Die anstehenden Blutuntersuchungen bezeichnete er als Verabreichung einer „riesigen Beruhigungspille.“ Die Forderung der Kritiker war eindeutig: Austausch der belasteten Böden.

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Das aber sei unrealistisch, reagierte der Allgemeine Vertreter des Landrats, Manfred Poth. Es gehe um rund 24 Quadratkilometer. Poth mahnte, „die Kirche im Dorf zu lassen“. Zumal es in den vergangenen Jahren keine Fälle von Bleierkrankungen gegeben habe. Das, widersprach eine Kritikerin, liege aber eher daran, dass keine entsprechenden Untersuchungen vorgenommen worden seien: „Wenn ich nicht dokumentiere, habe ich auch keine Fälle.“

Chefarzt kritisiert Verantwortliche scharf

Christian Ramolla, stellvertretender Leiter des Kreisgesundheitsamtes, wies das zurück: „Damit unterstellen Sie meinen Kollegen, dass sie die Komplexität in Mechernich einfach wegwischen. Denen ist bewusst, woher ihre Patienten kommen.“ Dass es sehr wohl Bleierkrankungen in Mechernich gegeben habe, teilte der frühere Chefarzt am Mechernicher Krankenhaus, Dr. Jörg Schriever, mit.

Er warf den Verantwortlichen „Vortäuschung falscher Tatsachen“ vor, was Ramolla zurückwies: Diese Fälle seien in den 60er-, 70er- und 80er-Jahre ermittelt worden – in so geringfügiger Zahl, dass sie keine statistische Aussagekraft über die Gesundheit der Bevölkerung hätten. Schriever sieht in den Bluttests lediglich eine sekundäre Präventionsmaßnahme. „Sie müssen den Pfad Boden-Pflanzen-Mensch abchecken“, forderte der Mediziner.

Blutscreening nur ein erster Schritt

Dieses Blutscreening sei möglicherweise nur ein erster Schritt, hatte zuvor Prof. Thomas Kraus (RWTH Aachen), der die Untersuchung leitet, erklärt. Sie soll ergeben, ob die Bevölkerung in Mechernich von den bundesweiten Referenzwerten – Männer 40 Mikrogramm/Liter Blut, Frauen 30 und Kinder 35 – abweicht. Wenn ja, müssten weitere Schutzmaßnahmen vorgenommen werden. „Ich bin weit davon entfernt, hier etwas zu verharmlosen“, versicherte Kraus.

Vor allem Kinder und Schwangere seien betroffen. Studien hätten ergeben, dass Effekte auf das Nervensystem vermehrt bei Erwachsenen mit etwa 400 bis 600 Mikrogramm Blei pro Liter Blut vorkämen, bei Kindern liege dieser Wert bereits bei unter 100 Mikrogramm. Blei könne zudem leicht die Blut-Hirn-Schranke überwinden.

Gleiches gelte für die Blut-Plazenta-Grenze, was ungeborenen Kindern Schaden zuführen könnte, erläuterte Kraus. Weitere mögliche Folgen von übermäßigem Blei im Körper: Müdigkeit, Entwicklungsstörungen, Verstopfungen und Hormonstörungen. Es gebe auch Hinweise auf Krebsgefahren (Lunge, Magen), sie seien aber laut Deutscher Forschungsgesellschaft nicht nachgewiesen. Das könne sich aber auch ändern, stellte Kraus klar.

Meinung bei Bleibelastung auf Grundstücken gespalten

Den Vorwurf, die Häuslebauer seien nicht ausreichend über die Bleibelastung informiert worden, äußerte Boris Uenzen. Das gelte für die Stadt und für den Vermarkter der Grundstücke, die Firma F&S Concept. Die Bebauungspläne entsprächen nicht dem Recht. „Wir sind beschissen worden“, so Uenzen.

Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick hatte zuvor erklärt: Von der Stadt und „nach unseren Informationen und den mir vorliegenden Unterlagen“ auch von F&S Concept seien die Grundstückskäufer auf die Bleibelastung hingewiesen worden. Das bestätigte ein junger Mann aus dem Publikum: Er sei in Sachen Blei informiert worden und habe sein Grundstück analysieren lassen. Die Bleiwerte seien erfreulicherweise „Pillepalle“ gewesen, so der Familienvater. 

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