Nach Reisewarnung für BelgienDeutsche und Belgier beharren auf kleinem Grenzverkehr

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Symbolbild_Ostbelgien_Risikogebiet

An  eigentlich  längst vergangene Zeiten erinnern die Puppen des deutschen und belgischen Zöllners in der Ausstellung Ars Technica von Michael Balter. Die aktuellen Corona-Beschränkungen machen das so selbstverständliche Zusammenleben dies- und jenseits der Grenze nicht leicht.

  • Seit Mittwochabend ist Belgien für Deutsche Coronavirus-Risikogebiet und es gilt eine Reisewarnung.
  • Im deutsch-belgischen Grenzgebiet sind die Infektionszahlen allerdings niedrig.
  • Trotzdem sind die Auswirkungen der auf das Alltagsleben beiderseits der Grenzen potenziell sehr einschneidend.

Kreis Euskirchen/Ostbelgien – Die Entscheidung der Bundesregierung, ganz Belgien – und damit auch die Deutschsprachige Gemeinschaft (DG) – als Corona-Risikogebiet einzustufen, hat in der Region für Unruhe gesorgt. Wegen hoher Infektionszahlen wird vor touristischen Reisen nach Belgien gewarnt. Dadurch sind Restaurantbesuche oder Einkaufen in Belgien praktisch unmöglich: Wer dafür über die Grenze fährt, muss bei der Rückkehr für 14 Tage in häusliche Quarantäne oder einen negativen Corona-Test vorlegen.

Die Stimmung der Menschen im Grenzort Losheim liegt am Donnerstag irgendwo zwischen Unsicherheit, Ratlosigkeit und Unverständnis. Immer wird auf die niedrigen Fallzahlen in Ostbelgien verwiesen. Und was die Ausweisung als Risikogebiet für die Menschen in den Grenzorten bedeutet, weiß keiner so genau.

Der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft

„Bei uns klingeln die Telefone seit dem Morgen immer weiter“, erklärt Oliver Paasch, Ministerpräsident der DG. Schließlich würden täglich mehr als 5000 Ostbelgier über die Grenze nach Deutschland fahren. „Die Einstufung als Risikogebiet hat große Auswirkungen auf den Lebensalltag der Menschen“, betont Paasch.

Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten seien nicht möglich, der Warenverkehr werde beeinträchtigt. In der Gastronomie seien Tischreservierung von deutschen Gästen schon storniert worden, Besuche von Freunden und Bekannten nicht möglich. „Bestellte Möbel können nicht ausgeliefert werden, Friseurtermine werden abgesagt“, nennt der Ministerpräsident Auswirkungen. 

„Das hatten wir schon einmal zwischen März und Juni. Und das widerspricht dem europäischen Geist“, sagt Paasch. Er verweist auf die Corona-Zahlen: Ostbelgien habe in den vergangenen sieben Tagen 14 Neuinfektionen – bei 76.000 Einwohnern.

Deshalb sei die DG in Belgien auch als grüne Zone ausgewiesen. Wer von Aachen nach Berlin reise, sei gefährdeter, als wenn er nach Ostbelgien komme. Daher sollen Lösungen geschaffen werden. „Wir stehen im Kontakt mit der Landesregierung von NRW und suchen Ausnahmeregelungen“, so Paasch. Er schlägt vor, dass der kleine Grenzverkehr für 24 oder 48 Stunden möglich sein soll: „Das würde viele Probleme lösen.“

Die Bürgermeister von Büllingen und Hellenthal

„Ich hoffe, dass die Einschränkungen nur von kurzer Dauer sind“, sagt der Büllinger Bürgermeister Friedhelm Wirtz. Es gebe vor allem Anfragen von Menschen, die auf der einen Seite der Grenze leben, aber auf der anderen arbeiten.

Viele müssten nun ihre Gewohnheiten ändern, aber das sei verkraftbar: „Es ist sicher nicht prickelnd, wenn man den Lebenspartner oder Freund eine Zeit lang nicht sehen kann oder man nicht in dem gewohnten Geschäft einkaufen kann, aber letztlich klagen wir doch auf hohem Niveau.“

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Michael Huppertz, allgemeiner Vertreter des Hellenthaler Bürgermeisters Rudolf Westerburg, hat am Morgen bereits mit einer Nachbarkommune jenseits der Grenze telefoniert. „Wenn die Corona-Einreiseverordnung streng ausgelegt wird, ist das schwierig für den Grenzverkehr“, so Huppertz.

Ein Spaziergang um die Oleftalsperre sei dann für Belgier nicht mehr möglich. Man warte zunächst ab, ob es noch Ergänzungen zu der Verordnung gibt. Denn fraglich sei auch noch, wer die Regelung kontrolliere. „Ich hoffe, dass die großen Städte wie Aachen, die noch stärker betroffen sind, sich für eine Lösung stark machen, mit der wir leben können“, so Huppertz. Den Bürgern rät er, sich über die derzeit gültigen Regelungen genau zu informieren.

Der Grenz-Supermarkt

Auf dem Parkplatz des Delhaize-Supermarktes „Smuggler’s Inn“ geht es ruhig zu. Ein paar auswärtige Nummernschilder, ein paar deutsche, ein paar belgische. Ein Mann aus der Gegend von Prüm geht über den Parkplatz. Ob er von der Reisewarnung gehört habe? Ja, deshalb habe er seinen Einkauf auch „ratzfatz“ gemacht.

Eine Frau aus Bergheim wähnt sich zunächst noch gar nicht im Königreich. Doch die Information, dass sie sich bereits in Belgien befindet, irritiert sie nicht: „Ich halte alle Vorsichtsmaßnahmen ein, halte mich an die Regeln.“ Deshalb habe sie keine Angst – und geht, ausgestattet mit Mund-Nasenschutz, in den Supermarkt. 

Gedrückter ist die Stimmung bei Michael Balter. Er ist Betreiber des Supermarkts und lockt die Menschen oft mit neuen Ausstellungen und Attraktionen zum Ardenner Cultur Boulevard. „Ich habe alle Projekte auf Eis gelegt“, sagt er: „Der Umgang mit der Krise nimmt die Kraft, die kreative Menschen brauchen.“

Und: „Als Unternehmer brauche ich Perspektive.“ Doch noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg seien die Menschen so lange in Angst gehalten worden. Ob das alles nötig gewesen sei? „Das normale gesellschaftliche Verhalten der Menschen wurde komplett unterdrückt“, sagt er. In Belgien sei der Lockdown so streng gewesen, dass er nicht einmal mit Frau und Tochter in den nahen Wald durfte: „Das war in Deutschland bei Herrn Laschet besser geregelt.“

Die Unternehmen beidseits der Grenze

Als 2009 das Stocko-Werk in Malmedy geschlossen wurde, wechselten die Mitarbeiter zum Standort Hellenthal. Auch heute sind einige Belgier dort tätig. Wie Marco Adams, Fachkraft für Arbeitssicherheit bei Stocko berichtet, wurden die bereits zu Beginn der Pandemie, als Belgien die Grenzen geschlossen hatte, mit Bescheinigungen ausgestattet – als Nachweis, dass sie zur Arbeit nach Deutschland fahren.

Formular für Reiserückkehrer

Seit Mittwoch ist ein neues Formular auf der Internetseite des Kreises Euskirchen abrufbar. „Über das können Reiserückkehrer unkompliziert ihre Daten eingeben“, so Kreis-Sprecher Wolfgang Andres. Das sei zwar auch per E-Mail möglich, bedeute aber für das Corona-Team einen großen Mehraufwand, weil die Angaben oft nicht vollständig oder falsch seien. 50 bis 60 Meldungen von Reiserückkehrern aus Risikogebieten gehen laut Andres täglich ein.

Einreisende aus Risikogebieten müssten sich grundsätzlich 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben. Dies gilt nicht, wenn ein negativer Corona-Test vorliegt, der höchstens 48 Stunden vor der Einreise vorgenommen wurde.

Jeder, der aus einem Risikogebiet wie Belgien nach NRW einreise, müsse das zuständige Gesundheitsamt kontaktieren. Außerdem müsse auf Anforderung ein negatives Testergebnis vorgelegt werden. „Personen, die dem nicht nachkommen, sind verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung auf das Coronavirus zu dulden. Zuwiderhandlungen können mit einem Bußgeld belegt werden“, so Andres. (wki)

Daher werde sich für die belgischen Kollegen nichts ändern. Das gilt auch für das Stocko-Werk in Andlau: Laut Adams liegt es in der Region Frankreichs, die nicht als Risikogebiet eingestuft ist. Insgesamt äußert sich Adams erleichtert, dass die im Unternehmen getroffenen Sicherheitsmaßnahmen greifen und man bislang keinen Corona-Fall zu verzeichnen hat.

„Aktuell haben wir keine Baustellen in Belgien“, informiert Walburga Ehrhardt, Geschäftsführerin der Losheimer Bauunternehmung Balter. Einschränkungen gebe es bislang nicht, auch alle Transporte, die über die Grenze kommen, liefen störungsfrei. „Unsere Mitarbeiter, die in Belgien wohnen, verstehen es nicht“, sagt Margret Balter, Prokuristin der Firma – es seien doch nur so wenige Fälle in der Region.

Doch was würde diese Reisewarnung konkret bedeuten, überlegt Ehrhardt. Da für Berufspendler die Quarantäneregelungen nicht gelten, hatten die Balter-Mitarbeiter bereits während der Grenzschließungen im Frühjahr entsprechende Bescheinigungen.

„Wir merken noch nichts davon“, sagt Andreas Pflips. Er ist Belgier und arbeitet als Verkäufer beim Autohaus Scholzen im deutschen Teil des Ortes Kehr. „Der Hauptsitz und die Werkstatt liegen in Belgien“, erzählt er. Als die Grenze im Frühjahr geschlossen war, habe es Probleme gegeben, da Kunden ihre Autos nicht reparieren lassen konnten. Es sei aber einen Notdienst eingerichtet worden.

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