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SicherheitsbedenkenPolizei riet von Flüchtlingsunterkunft in Vogelsang ab

Lesezeit 6 Minuten

Schleiden-Vogelsang – Die Lagebeurteilung durch die Kreispolizei im Oktober 2015 fiel vernichtend aus: Eine Flüchtlingsunterkunft in der „Schelde“ von Vogelsang sehe die Polizei als kritisch an und rate daher von einer solchen Einrichtung an diesem Ort ab.

Es sei mit erheblichen Risiken zu rechnen, die verstärkte polizeiliche Maßnahmen erforderlich machen würden. Landrat Günter Rosenke übermittelte diese Einschätzung an die zuständigen Stellen. Konkrete Antworten auf viele der Fragen und Befürchtungen gab es aber bisher weder für die Polizei noch für den Kreis.

Zu einem Zeitpunkt, als in der Not selbst Turnhallen requiriert wurden, suchten die Länder verzweifelt nach Erst-Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Vogelsang, im Besitz des Bundes, bot sich als Standort an. Vor allem das fünf Hektar große Gelände der „Schelde“ mit 23 Gebäuden, die bis 2005 den belgischen Streitkräften als Mannschaftshäuser gedient hatten.

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Bis zu 950 Flüchtlinge, so kalkulierte die Bezirksregierung Köln, könne man dort unterbringen. Und so wurde das Projekt trotz der Sorgen der Polizei und des Kreises realisiert. Noch im Januar sollen die ersten 300 Flüchtlinge in zehn hergerichtete Baracken der Schelde einziehen. Sie werden von 40 Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes und vier Mitarbeitern der Bezirksregierung betreut.

Sicherheitsleute am Tor

Wer nach Einbruch der Dämmerung die Einfahrtschranke zu Vogelsang passiert, den erwartet eine düstere Szenerie. Im fahlen Licht gelblicher Leuchten, speziell angeschafft, damit Vogelsang weiter „Dark Sky Parc“ bleiben kann, sind durch die Fichten hindurch die Konturen des eingezäunten Barackenlagers auszumachen.

Am Tor halten uniformierte Sicherheitsleute Wache. Erfahrene Leute, denen trotzdem die Anspannung anzumerken ist. In den Tagen zuvor, so Objektleiter Ralf Grendel, sei man breits von Vorbeikommenden mit der einen oder anderen „Parole“ bedacht worden.

Obwohl viele Akteure mit großem Engagement versuchen, das düstere Ambiente der früheren NS-Anlage und die jahrzehntelange Abgeschlossenheit der Militärkaserne zu brechen, ist das 100 Hektar große Areal von Vogelsang in manchen Teilen immer noch ein dunkler Ort.

Zu denen, denen die Lage der Unterkunft Sorge bereitet, gehört der Euskirchener Landrat Günter Rosenke. Die Entscheidung sei getroffen worden, als das Land durch die hohen Flüchtlingszahlen unter extremem Druck gestanden habe. Doch heute sei die Situation eine andere. Vogelsang, so Rosenke, habe keine Infrastruktur für eine solche Einrichtung. Die Bezirksregierung Köln sieht das anders. Die Unterkunft sei nötig, da andere geschlossen würden. Zudem kämen seit zehn Monaten wöchentlich konstant 1500 Flüchtlinge in NRW an.

Doch was ist mit den massiven Bedenken, die die Polizei geäußert hat? Wurden diese ausgeräumt?

Ganz oben auf der Liste der Sorgen rangiert die Furcht vor einem Anschlag. Gerade für Rechtsextreme hat die „Ordensburg Vogelsang“ als einstige NS-Kaderschmiede eine herausragende Bedeutung. Mehrfach mussten die Vogelsang-Betreiber nach der Öffnung 2006 bei Besuchen rechtsextremer Gruppen von ihrem Hausrecht Gebrauch machen.

Einzeltäter denkbar

Der Polizei liegen derzeit keine gefährdungsrelevanten Erkenntnisse zur Flüchtlingsunterbringung auf Vogelsang vor. Es gebe keine Hinweise auf organisationsgesteuerte Gewaltstraftaten gegen Asylbewerber. Allerdings müsse man in Betracht ziehen, dass die hetzerische Aufbereitung der Asylproblematik eine katalysierende Wirkung entfalten könne. Es seien auch Straftaten emotionalisierter Einzeltäter, die keine ideologische Anbindung an Strukturen hätten, einzukalkulieren.

Die Bezirksregierung Köln teilt die Sicherheitsbedenken der Kreispolizei nicht. Die Situation sei polizeiseitig nochmals geprüft worden. „Im Endergebnis“, so teilte die Pressestelle mit, „sind alle zwischenzeitlich getroffenen Maßnahmen für angemessen und ausreichend erachtet worden.“ Tatsächlich wurde die fehlende zweite Zufahrt geschaffen, die die Polizei moniert hatte. Die ist auch für die Feuerwehr relevant, wenn es zu einem Brand und einer Evakuierung der Gäste kommen sollte.

Rings ums Camp wurde ein Standardzaun für Unterkünfte errichtet. Der soll Eindringlinge abhalten. Eine Videoüberwachung gibt es nicht. Ein sich anschließender, 15 Meter breiter Streifen kann durch eine Panikbeleuchtung in Licht getaucht werden. Dieser Streifen ermöglicht das Umfahren mit Feuerwehrfahrzeugen. Allerdings sind die Baracken damit auch in Wurfdistanz von außerhalb des Zauns.

Maßgeblich für Sicherheit sorgen soll das Kaller Unternehmen „e.s.a. security“. Vier Mitarbeiter sind ständig auf dem Gelände. Nachts patrouilliert ein fünfter Mitarbeiter mit einem Diensthund inner- und außerhalb des Zauns.

Das DRK, das die Unterkunft zunächst bis Ende April betreibt, machte mit den e.s.a.-Leuten in seinen anderen Unterkünften gute Erfahrungen. Denn nicht nur Bewachung und Schutz gehören zu ihren Aufgaben, sondern auch Prävention und Deeskalation. Wenn Flüchtlinge unterschiedlichster Religionen und Ethnien über Wochen (oder bislang sogar über Monate) hinweg auf engstem Raum untergebracht werden, sind Konflikte programmiert.

Das DRK konnte bisher in den von ihm betriebenen Unterkünften im Kreis Massenschlägereien vermeiden. In der Notunterkunft Hellenthal (Jugendherberge) kam es dagegen im Oktober 2015 zu einer Schlägerei, an der rund 60 Flüchtlinge beteiligt waren.

Als vorbeugende Maßnahme wird bei der Aufnahme das Gepäck der Flüchtlinge auf mögliche Waffen durchsucht. Durchsucht werden auch die, die das Camp tagsüber verlassen haben und abends entsprechend der Hausordnung zurückkehren müssen.

Doch sowohl bei einem möglichen Anschlag von außen als auch bei Auseinandersetzungen im Camp ist die Polizei gefordert. Wenn die – vor allem nachts – mit mehreren Streifenwagen von Schleiden, Euskirchen (und Simmerath) anrücken müsste, könnte das dauern.

Polizei besorgt wegen Lage

Und da Vogelsang an der Peripherie liegt, wäre der übrige Kreis nicht mehr ausreichend versorgt. Die Antwort der Bezirksregierung, von der Redaktion zu diesem Problem befragt: „Diese Frage kann nur von Seiten der Kreispolizei beantwortet werden.“

Keine Bedenken hat die Schleidener Feuerwehr: Brandmeldeanlagen, Flucht- und Rettungswege, Zufahrten und Wasserversorgung, so deren Leiter Udo Schmitz, seien ausreichend. Da alle Gebäude ebenerdig sind, sei eine Räumung der Baracken schnell möglich ist. Die Brandmeldeanlage läuft erst beim Wachdienst auf, drei Minuten später bei der Rettungsleitstelle.

Kritik äußerte die Arbeitsgruppe „Frauen für geflüchtete Frauen“. Ellen Mende und Monika Mengel monierten, dass es im Camp recht dunkel sei und Frauen nachts von den Unterkünften zu den Sanitärcontainern gehen müssten. Wie Ralf Hergarten, Leiter des Betreuungsdientes, erklärte, können sie den Wachdienst zur Begleitung anfordern. Dienstpläne sollen so gestaltet werden, dass auch eine Frau unter den Sicherheitsleuten ist.

Die rechte Szene

Vor allem die 2012 verbotene „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) zeigte großes Interesse an Vogelsang. Der Aachener Journalist Michael Klarmann kennt die rechte Szene in der Region wie kaum ein anderer. Für die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Köln beobachtet er auch den Kreis Euskirchen. Auf die Frage, ob er aus der rechten Ecke Gefahren für die Flüchtlingsunterkunft in Vogelsang sehe, antwortete er: „Vor 2012 hätte ich gesagt: brandgefährlich!“

Heute, vier Jahre nach dem Verbot der KAL, gebe es den Kreisverband „Die Rechte“ und die Untergruppe „Syndikat 52“, doch organisierte Strukturen wie zu Zeiten der KAL bauten sich nur sehr langsam auf. Die nicht organisierte nächste Generation Rechter sei schwer einzuschätzen. (ch)

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