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Fehlender Corona-SchutzFlüchtlinge aus Schleiden beschweren sich per Brief

Lesezeit 6 Minuten
Sorgen um eine Ansteckung mit Covid-19 machen sich rund 70 Bewohner der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Vogelsang. Sie haben einen Beschwerdebrief geschrieben.

Sorgen um eine Ansteckung mit Covid-19 machen sich rund 70 Bewohner der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Vogelsang. Sie haben einen Beschwerdebrief geschrieben.

  • Noch immer bestimmt die Corona-Pandemie das gesellschaftliche Leben. Besonders an Orten, an denen viele Menschen eng zusammen leben oder arbeiten, verbreitet sich das Virus schnell.
  • Wie beispielsweise in der Flüchtlingsunterkunft in Mechernich vor wenigen Wochen.
  • Nun berichten auch die Bewohner einer Einrichtung in Vogelsang ein einem Beschwerdebrief über unzureichende Hygienezustände.

Schleiden-Gemünd – 68 Bewohner der Zentralen Unterbringungseinrichtung Schleiden II (ZUE) in Vogelsang haben nun einen Beschwerdebrief geschrieben. Tenor des Schreibens, das dieser Zeitung vorliegt: Die Bewohner machen sich Sorgen um eine Ansteckung und einen Ausbruch des Virus in der Unterkunft. „Es ist nicht möglich, die soziale Distanz in den öffentlichen Bereichen Toilette, Bad, Esszimmer und Handwaschbereich einzuhalten“, schreiben sie. Lange Zeit hätten nur zwei Waschmaschinen in der Unterkunft funktioniert, für mehrere Hundert Menschen.

Vor einigen Wochen habe es zudem zwei Tage lang weder Seife noch Desinfektionsmittel in der gesamten Unterkunft gegeben. Bewohner, die ihre 14-tägige Quarantäne-Zeit noch nicht abgeschlossen hätten, seien verfrüht wieder zu den anderen Bewohnern gelassen worden. Die Unterzeichner des Beschwerdebriefs werfen der Bezirksregierung Köln und dem Deutschen Roten Kreuz vor, die Bewohner der Unterkunft nicht ausreichend zu schützen. „Dass wir momentan alle gesund sind, ist reines Glück. Wir fordern, dass alle Bewohner in der Einrichtung erneut getestet werden, um sicher zu gehen, dass alle gesund sind.“

Ausreichend Möglichkeiten zum Schutz

Das Schreiben sei Anfang Juli eingegangen, bestätigt die Bezirksregierung Köln auf Nachfrage. Grundsätzlich sei die Einrichtung frei von Corona, es gebe weder Infizierte noch Verdachtsfälle. Solange sich alle Bewohner an die Abstands- und Hygieneregeln hielten, bestehe auch kein höheres Ansteckungsrisiko als außerhalb der Einrichtung. Schließlich verlasse ein Großteil der Bewohner die ZUE regelmäßig, um beispielsweise einkaufen zu gehen.

Die derzeit 230 Bewohner der ZUE werden laut der Bezirksregierung täglich auf die Abstands- und Hygieneregeln sowie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz aufmerksam gemacht. Es gebe ausreichend Möglichkeiten zum Händewaschen und allen Bewohnern stünden aktuell fünf funktionierende Waschmaschinen zu Verfügung. Es habe zu keinem Zeitpunkt einen Mangel bei Seife oder Desinfektionsmitteln gegeben. „Die Flaschen wurden mehrfach täglich kontrolliert und nachgefüllt“, so die Bezirksregierung.

Bewohner fühlen sich in einem „offenen Gefängnis“

Auch sei kein Bewohner, der sich in einer vom Gesundheitsamt angeordneten Quarantäne befunden habe, frühzeitig daraus entlassen worden. Die Personen, die in dem Schreiben angesprochen werden, hätten sich in einer sogenannten Rückkehrer-Isolation befunden. Diese sei für Bewohner vorsorglich angesetzt worden, die die ZUE für mehr als 24 Stunden verlassen hatten. Sie seien symptomfrei und nicht infektiös gewesen. Die Forderung nach einem Massentest in der Einrichtung wies die Bezirksregierung zurück. „Es wurden zahlreiche Testungen durchgeführt und die Einrichtung ist frei von Covid-19-Fällen.“

In ihrem Schreiben bemängeln die Bewohner der ZUE zudem begrenzte Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe. „Als Bewohner fühlt es sich so an, als ob wir in einem offenen Gefängnis leben müssten, in welchem wir von dem gesellschaftlichen Leben isoliert sind“, heißt es in dem Brief. Sie nennen in dem Zusammenhang fünf Bewohner bei denen es zu Verhaltensauffälligkeiten gekommen sei, weshalb Polizei und Feuerwehr mehrfach anrücken mussten.

Die Pandemie schränkt alle ein

Das gesellschaftliche Leben sei in den vergangenen Monaten durch die Corona-Pandemie für alle Menschen eingeschränkt gewesen, sagt die Bezirksregierung in Köln dazu. So seien auch in der ZUE nur die Angebote durchgeführt worden, die mit den am jeweiligen Zeitpunkt geltenden Schutzverordnungen übereinstimmten. Deutschkurse konnten deshalb nur mit begrenzter Teilnehmerzahl stattfinden.

Grundsätzlich hätten die Bewohner aber stets die ZUE zum Zeitvertreib verlassen können. Auch Besuche von Verwandten oder Bekannten in anderen Kreisen seien weiterhin möglich gewesen, mussten aber wie vor der Pandemie auch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beantragt werden. Zudem gebe es psychosoziale Beratungsangebote für Bewohner, „die unter den Einschränkungen im Kontext der Covid-19-Pandemie leiden.“

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Laut der Bezirksregierung wurden die geäußerten Sorgen der Bewohner mit ihnen und den Verantwortlichen besprochen. „Die vorgetragenen Probleme und Beschwerden konnten kurzfristig gelöst werden, soweit gesetzliche und andere verbindliche Vorgaben nicht entgegenstanden“, heißt es aus Köln.

Bis zu 24 Monaten in der Unterkunft

Der Beschwerdebrief enthält noch eine zweite Sorge, die die Unterzeichner umtreibt: die Aufenthaltsdauer in der ZUE. Nach Angaben der Bezirksregierung Köln bleiben Familien maximal sechs Monate dort, bis sie in kommunalen Einrichtungen untergebracht werden. Für Alleinstehende oder Paare ohne minderjährige Kinder beträgt die gesetzliche Aufenthaltsdauer in der ZUE bis zu 24 Monate. Die Unterzeichner des Schreibens finden, das sei zu lang. In anderen Bundesländern fänden die Transfers deutlich schneller statt als in der ZUE. Und auch in NRW sei die Einrichtung im Vergleich langsamer, schreiben sie.

Einer, der den Beschwerdebrief deshalb unterzeichnet hat, ist Hogir Doski. Der 23-Jährige hat schwarze kurze Haare und trägt ein florales Hemd, Shorts und bunte Sneaker. Ihm ist nicht anzusehen, welche Odyssee er bereits hinter sich hat. Vor drei Jahren floh der damals 20-Jährige aus seiner Heimat Kurdistan im Irak. Warum er fliehen musste, möchte er nicht erzählen. Nur so viel: „ Ich kann nicht mehr zurück.“

Erst Griechenland, dann Deutschland

Es folgten zwei Jahre Aufenthalt in einem griechischen Flüchtlingscamp, dann kam er nach Deutschland. Fast ein Jahr lebt er schon in der ZUE in Vogelsang. Und er will endlich dort ausziehen, sagt er. In eine kleine Unterkunft. Eine, in der er sein eigenes Zimmer habe. In der er sich nicht an eine Sammelsteckdose stellen müsse, um sein Handy zu laden. In der er nicht mehr nachts jedes Geräusch von seinen Nachbarn höre. Ein Ort, an dem er sich zu Hause fühlen könne, sagt er.

Aus brandschutzrechtlichen Gründen sind die Zimmer in der ZUE zur Decke hin offen. Gerüche und Geräusche dringen so leicht in alle Bereiche der Unterkunft. Die 230 Bewohner teilen sich laut Bezirksregierung Köln etwa 40 Duschen und 30 Toiletten. In dem Beschwerdebrief heißt es: „Die Privatsphäre ist hier nicht gegeben.“

Deutsch lernen ist schwierig, an ein Studium nicht zu denken

Deutsch zu lernen, sei unter diesen Umständen kaum möglich, sagt Doski. Zwar gebe es Kursangebote in der ZUE, doch er brauche Ruhe, um die Sprache richtig zu lernen. Und die gebe es in der Unterkunft einfach nicht. Nach elf Monaten könne er gerade einmal Danke und Tschüs sagen. Dabei wolle er wirklich die Sprache lernen und sich hier etwas aufbauen.

Doski möchte Anwalt werden. Doch solange er in der ZUE wohnt, ist an ein Studium nicht zu denken. Die Bewohner dort können zwar arbeiten, doch das ist mit viel Bürokratie verbunden. Hinzu kommt, dass die ZUE in Vogelsang ziemlich abgeschieden liegt. Auf dem Land einen Aushilfsjob zu ergattern, den man von der Einrichtung aus mit Bus und Bahn erreichen könne, sei nahezu unmöglich, sagt Hogir Doski.

„Sie haben eine Seele, ich habe eine Seele“

Er verstehe nicht, warum Familien mit Kindern so anders behandelt werden. „Sie haben Blut, ich habe Blut. Sie haben eine Seele, ich habe eine Seele“, sagt er auf Englisch. Nach Angaben der Bezirksregierung in Arnsberg hängt die unterschiedliche Aufenthaltsdauer mit der Schulpflicht zusammen. In Arnsberg wird für ganz NRW entschieden, wann welcher Flüchtling wohin verteilt wird. Eine Schulpflicht nach dem Schulgesetz könne erst mit einer kommunalen Zuweisung eintreten, heißt es auf Nachfrage.

Deshalb werden Familien mit minderjährigen Kindern schneller in kommunale Einrichtungen weiter verwiesen als andere Flüchtlinge. Für Letztere sei der Transfer abhängig vom Ausgang des Asylverfahrens. Doski sagt, er habe noch keinerlei Antwort auf seinen Asylantrag. Auch das stört ihn. Wenn er hier kein Asyl bekommen könne, wolle er das lieber früher als später wissen, anstatt in der Ungewissheit auszuharren.

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