Schunkeln während die Panzer rollenJecken in Euskirchen feiern trotz Krieg

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Die sportlichen Jecken laufen nicht ohne Statement von Euskirchen nach Köln, um Spenden zu sammeln.

Kreis Euskirchen – Es ist ein Spagat. Krieg auf der einen Seite, Karneval auf der anderen. Jeck sein und schunkeln, während in der Ukraine russische Panzer rollen. „Es ist schon ein komisches Gefühl, jetzt verkleidet nach Köln zu laufen“, sagt Tobias Becker.

Der Euskirchener ist der geistige Vater von „Sportlich Jeck“. Wie im vergangenen Jahr sammelt der Verein Spenden für Menschen, die im Karneval ihr Geld verdienen, durch die Corona-Pandemie aber arg gebeutelt und teilweise seit zwei Jahren ohne Job sind. Und so machen sich am Donnerstag etwa 17 Sportler auf den jecken Marathon von Euskirchen nach Köln – allerdings nicht, ohne ein Zeichen zu setzen. Becker hat seinen Mitstreitern ein DIN-A4-Schild mit der Aufschrift „Fastelovend – Make Love not War“ ausgedruckt und laminiert.

Die Fernsehbilder am Donnerstagmorgen seien verstörend gewesen. Dennoch habe man entschieden, den Startschuss zum Spendenlauf durchzuziehen – trotz des Grummelns in der Magengegend. Becker hofft, dass sich bis Veilchendienstag noch zahlreiche Hobbysportler dem Projekt anschließen werden. Getreu dem Motto „Make Sport not War“.

„Geisterzüge“ nach Köln

Am Euskirchener Bahnhof ist am Donnerstagmorgen nicht viel los. Kaum jemand macht sich an Weiberdonnerstag auf den Weg nach Köln. „Jeder hat einen Sitzplatz bekommen. Das ist schon ungewöhnlich“, sagt Ricarda Hilbich, die mit dem 9-Uhr-Zug in die Domstadt fährt. Die Ereignisse in der Ukraine finde sie „traurig und erschreckend.“ Nach zwei Jahren Pandemie und als Flutopfer habe sie aber das Bedürfnis, einfach mal die Welt auszublenden.

Ein Wunsch, den auch Birgit Neumann hat. „Die Menschen brauchen den Austausch, müssen sich trösten, beruhigen, lachen, weinen. Karneval ist wichtig und richtig“, sagt die Kirchheimerin, die ebenfalls in Köln ein paar jecke Stunden verbringen will.

Kitas

In den Kindergärten im Kreis wird der Weiberdonnerstag wie geplant begangen: geschminkt, verkleidet und mit Musik. „Wir wollen dies den Kindern ermöglichen“, sagt eine Mitarbeiterin einer Kita in Gemünd. Denn das sei der Job ihrer Kolleginnen und Kollegen. Im vergangenen Jahr sei es wegen des Lockdowns nicht möglich gewesen, nun wollen sie den Kindern zumindest etwas Normalität ermöglichen. Denn so richtig bekämen die Kinder das noch nicht mit. „Aber das Kollegium ist auch eher zurückhaltend“, gesteht die Erzieherin. Das liege aber auch daran, dass sie erschöpft durch die Pandemie seien.

Brauchtumszone

Unabhängig von der aktuellen Entwicklung in der Ukraine wird am Samstag – Stand jetzt – auf dem Alten Markt in Euskirchen Karneval gefeiert. „Wir werden das Angebot offen halten“, sagt Stefan Guhlke, Präsident des Festausschusses Euskirchener Karneval. Diese Entscheidung haben die Präsidenten der vier vaterstädtischen Vereine im Konsens getroffen, so Guhlke weiter: „Wir haben Krieg, wir haben aber auch Karneval. Wir stecken in einem Dilemma. Es ist eine Scheißsituation.“ Auf dem Alten Markt wird am Samstag von 11 bis 15 Uhr Karneval gefeiert. Die Veranstaltung wird unter 2G-plus-Regelung stattfinden.

In Palmersheim soll am Sonntag Karneval gefeiert werden – auch dort Stand jetzt. Rund um das Dorfgemeinschaftshaus hat die KG Palmersheim eine Brauchtumszone ausgerufen, in der zwischen 13 und 20 Uhr unter dem Motto „Mer holle uns die Zigg zoröck“ jecke Tön erklingen. „Der Karneval kann auch in unfassbar schrecklichen Zeiten ein Anker sein“, sagt Organisatorin Astrid Belle: „Meine Stimmung ist am Boden. Allein schon wegen Corona. Ich glaube aber, dass die Menschen das in der jetzigen Situation erst recht brauchen.“ (tom)

Ähnlich geht es einer Erzieherin in einer Mechernicher Kita. Das Team wolle ganz für die Kinder da sein, die am Donnerstag in die Kita gekommen sind. „Heute haben sich die Kinder auf Party und Verkleiden gefreut“, so die Erzieherin. Der Krieg sei kein Thema bei den Kindern gewesen. Susanne Orth, Leiterin der DRK-Kita in Schönau, sagt: „Die Kolleginnen sind ruhiger als sonst. Die Kinder haben sich aber so auf den Tag gefreut. Und den haben sie sich nach der langen Pandemie-Zeit auch verdient.“

Kneipenkarneval

In den Kneipen schunkelt am Donnerstagmittag das schlechte Gewissen zumindest vereinzelt mit. „Zu feiern, während anderswo Menschen um ihr Leben fürchten müssen, ist komisch. Aber es tut nach all der schwierigen Zeit durch Corona und Flut auch gut“, sagt Thorsten Hammes, der auf dem Platz am Gardebrunnen in Euskirchen feiert.

Die Betreiber des Cafés „Manufaktur“ haben dort eine große Karnevalsparty organisiert. Diese wegen der Entwicklungen in der Ukraine abzusagen, sei keine Alternative gewesen, sagt Organisatorin Vanessa Hilger, die bei den Gästen am Eingang den Impfstatus und das tagesaktuelle Testzertifikat kontrolliert.

„Bis Mittwochabend war Corona noch unsere größte Sorge. Nun ist es der Krieg. Was für eine Welt“, sagt eine Euskirchenerin, die als Regenbogen-Einhorn verkleidet Karneval feiert. Ursprünglich habe sie sich als Soldatin verkleiden wollen. Von dem Kostüm habe sie sich aber verabschiedet.

Silke Altenbach sieht das jecke Treiben in Zeiten eines beginnendes Kriegs in Europa mit gemischten Gefühlen. Sagt aber auch: „Es ist schlimm, was da passiert. Aber was haben die Menschen vor Ort davon, ob wir Karneval feiern oder nicht?“ Es habe auch schon andere Nöte gegeben und dennoch sei Karneval gefeiert worden.

Leben im hier und jetzt

Jeder später der Abend wird – und wahrscheinlich auch durch den Alkohol bedingt – wird das schlechte Gewissen immer weniger. Im Maat-Stüffje am Alten Markt oder am Gardebrunnen wird geschunkelt und zu jecke Tön getanzt. Die Ukraine ist gerade weit weg. „Ich lebe im hier und jetzt. Meine Generation musste in den vergangenen beiden Jahren auf viel verzichten. Deshalb möchte ich jetzt wenigstens Karneval feiern“, sagt Marcus Berg. Der 20-Jährige war am Vormittag in Köln, am Nachmittag schunkelt er in Euskirchen zur Karnevalsmusik.

99 Gäste nutzen die Möglichkeit, im Gasthaus Gier in Kall den Weiberkarneval zu feiern. Die neue Verordnung des Landes NRW hat es möglich gemacht, eine solche Veranstaltung mit reduzierter Personenzahl in sogenannten Brauchtumszonen anbieten zu können. Der Vorstand des Kaller Kneipenvereins hatte sich deshalb entschlossen, bei der Gemeinde eine solche Veranstaltung anzumelden. „Für uns bedeutet das nach zwei Jahren wieder ein kleines Stück Normalität, was wir gern mit unseren Gästen feiern möchten“, so Vereinsvorsitzender Uwe Schubinski. 99 Gäste seien zwar nicht viele, aber man wolle diese Chance nutzen.

Obwohl die Gemeinde Kall keine „gesicherten Brauchtumszonen“ einrichtet, hat sich der Verein entschieden, deren strenge Regeln trotzdem umzusetzen. Einlass gibt es am Donnerstag nur für Gäste, die einen negativen Test vorweisen – auch wenn die geboostert oder genesen sind. Kontrolliert wird das an Weiberdonnerstag von einem Sicherheitsdienst. Die Eintrittskarten für den Donnerstag und die gleiche Veranstaltung am Sonntag seien schnell vergriffen gewesen, so Schubinski. Die Vorbereitungen auf die Party am Donnerstag hatten bereits einen Tag zuvor begonnen. Der Vorplatz der Gaststätte wurde mit einem Bauzaun eingezäunt, um die Kontrolle durch den Sicherheitsdienst zu erleichtern.

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In Anbetracht des Kriegsausbruchs sei vielleicht vielen Menschen nicht unbedingt zum Feiern zumute – aber eine Absage der Karnevalsveranstaltungen sei dennoch nicht angebracht, konstatiert der Vorsitzende des Kaller Kneipenvereins. Ein paar Stunden Karneval feiern bringe die Menschen in dieser schwierigen Situation auf andere Gedanken.

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