Abo

SelbsthilfegruppeVersteckspiel vor Kollegen – ein „trockener“ Alkoholiker erzählt

Lesezeit 4 Minuten
Der Griff zur Flasche löst kein Problem. Die Anonymen Alkoholiker kennen viele Suchtgeschichten und helfen einander. 

Der Griff zur Flasche löst kein Problem. Die Anonymen Alkoholiker kennen viele Suchtgeschichten und helfen einander. 

Kreis Euskirchen – Nichts würde passieren, wenn man ihm jetzt ein Glas Bier oder ein Glas Wein servieren würde. Dessen ist sich Günther A. (Name geändert) sicher.

Dabei hat der stabile Mittfünfziger gerade mit Alkohol „ein Problem“, wie man im Volksmund sagt. Er war jahrzehntelang alkoholabhängig.

Doch Günther A. ist „trocken“, seit mehr als zehn Jahren, nach zahlreichen alkoholbedingten Abstürzen und dem täglichen Versteckspiel im Kollegen- und Freundeskreis, selbst in der Familie.

Anonyme Alkoholiker halfen

Geholfen haben dem Mann aus dem Kreis Euskirchen die Anonymen Alkoholiker, eine Organisation, in deren Gesprächskreisen sich Alkoholabhängige aussprechen können und aus der Gruppe heraus Unterstützung auf dem Weg aus der Abhängigkeit finden.

„Ich sage nicht, dass ich seit zehn Jahren trocken bin. Wir in unserer Runde sagen, dass wir schon viele 24 Stunden trocken sind. Dass wir unsere Sucht und Krankheit akzeptieren und dass wir versuchen, damit verantwortlich umzugehen“, erklärt Günther A. und lächelt dabei.

Jahrzehntelang, so der Mitarbeiter einer öffentlichen Verwaltung, habe er auch seinen Kollegen gegenüber erfolgreich Versteckspiel betrieben, habe seine Sucht geheim gehalten. Der passionierte Weintrinker wusste, wie man trotz Alkoholgenuss völlig unbefangen erscheint, wie man eine Fahne versteckt. „Ich hatte immer Pfefferminzbonbons dabei.“

Drei Flaschen Wein beim Discounter

Es habe lange gedauert, bis er selbst erkannt habe, dass er endlich vor seiner Krankheit kapitulieren müsse, um mit ihr umgehen zu können. Das sei nach einem Absturz gewesen. Da habe er sich bei einem Discounter drei Flaschen Wein gekauft.

Und weil die nicht alle in seinen Rucksack passten, habe er zwei gleich ausgetrunken. Wenig später habe man ihn volltrunken in einem Straßengraben gefunden neben seinem Fahrrad, das er aber geschoben habe. Polizeibeamte lieferten ihn zu Hause ab.

Und A. beschloss, sich zu offenbaren. Nicht bei seinem Arbeitgeber, denn das hätte schwere dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Nein, A. fasste den Entschluss, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen.

„Dann bin ich erst mal eine halbe Stunde vor dem Termin, an dem der Gesprächskreis beginnen sollte, um das Gebäude herumgeschlichen. Bis irgendwann zwei Männer herauskamen, die mich sahen und sagten: ’Herzlich willkommen. Schön, dass du da bist. Den ersten Schritt hast du selbst getan.’“

„Ich habe erst mal zugehört“

Seitdem habe er erfahren, dass er mit seinen Selbstzweifeln und Ängsten dort gut aufgehoben sei, dass er sich nicht verstecken müsse. „Ich habe erst mal zugehört und festgestellt, dass jeder dort von sich selbst erzählte. Und doch war es meine Geschichte.“ Im Gesprächskreis werde er ermutigt, immer wieder 24 Stunden trocken zu sein, also nicht zu Wein oder Bier zu greifen.

Info-Meeting der AA

Die Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker (AA) Euskirchen laden zum öffentlichen Informationsmeeting für Samstag, 17. Juni, 12 Uhr, in den Gemeindesaal der evangelischen Kirche Euskirchen, Kölner Straße 41, ein.

Das Meeting beginnt mit einem Imbiss, ab 14 Uhr gibt es einen Bericht über die Entwicklung der AA-Gruppen in Euskirchen, ab 14.30 Uhr berichten Referenten.

Nach dem Erlebnisbericht eines Alkoholikers spricht der Chefarzt der Psychiatrie und Psychotherapie am Marien-Hospital Euskirchen, Dr. Dirk Arenz, über medizinische Aspekte der Suchtbehandlung, eine Angehörige eines Erkrankten gibt einen Erfahrungsbericht ab, und eine Therapiekraft der AHG-Kliniken Daun spricht über Alkoholismus und die Auswirkungen auf die Familie eines Kranken. (bz)

Begonnen, so erinnert sich Günther A., habe seine Alkoholabhängigkeit mit einem einschneidenden Erlebnis in jüngster Kindheit. Da habe sich ein naher Verwandter, der für ihn eine der wichtigsten Bezugspersonen war, das Leben genommen. Wenig später habe er festgestellt, dass er seine Verlustängste mit Alkohol betäuben konnte.

„Da habe ich schon mal im Keller am Wermut genippt“, sagt er rückblickend. „Ich habe Alkohol für mich als Problemlöser gesehen“, beschreibt er seine einstige Situation. Als er erwachsen war, stellte er fest, dass es unwahrscheinlich viel Kraft kostet, sich ständig zu verstecken und die Fassade aufrechtzuerhalten. Seine Ehe ist daran zerbrochen.

Übermäßiger Weinkosum ruinierte Magen

Dass übermäßiger Weinkonsum den Magen ruinieren kann, merkte der Mann aus dem Kreis Euskirchen auch bald. Er stieg nach und nach auf Grauburgunder um, weil der wenig Säure enthält. Die Alkoholmenge aber blieb gleich hoch.

Wie viel er trank, darüber redet er, wie alle aus seinem Gesprächskreis, ungern. „Das hätte etwas von einer Heldentat. Aber genau das ist es ja nicht.“ Ganz anders die Erfahrung, ohne Alkohol auskommen zu können. „Da kommen die Gefühle wieder zurück, die man jahrelang betäubt hat“, so Günther A. heute. Und die nimmt er heute an, setzt sich mit ihnen intensiv auseinander und akzeptiert sie auch.

Günther A. nimmt, wann immer es ihm möglich ist, an einem der drei Gesprächskreise der Anonymen Alkoholiker teil, die jede Woche im Kreis Euskirchen stattfinden.

www.anonyme-alkoholiker.de

KStA abonnieren