Erfolg der Kölner FahnderErmittler können 65 Kinder aus Missbrauch befreien

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Ein Haus wird im Zusammenhang mit einem Missbrauchsfall von der Polizei durchsucht

Köln – Es ist das schiere Grauen, das einen aus den sonst so nüchternen Polizeiakten anspringt. Das missbrauchte Mädchen sei mit einem Stofftier zur Anhörung gekommen, heißt es in einem Protokoll der Polizei Aachen. Die Kleine habe sich „vor, während und nach der Vernehmung verzweifelt“ an dem Hasen festgeklammert. Das Kuscheltier mit Schlappohren, das ihr „Sicherheit und Vertrauen“ gebe, habe sie von ihrem „geliebten Onkel geschenkt bekommen“, sagte die Elfjährige.

„Die Tragik in dieser Aussage nahm uns alle mit“, heißt es anschließend im Polizeiprotokoll: „Denn der Onkel war der Täter, der ihr unbeschreibliches Leid angetan hatte. Selbst die erfahrensten Ermittlerinnen und Ermittler waren über die Schwere des Missbrauchs erschüttert.“

439 Tatverdächtige identifiziert

Traumatisierte Kinder und Jugendliche, zutiefst erschütterte Beamte und ein großer Ermittlungserfolg: Die Kölner Fahnder im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach haben in den vergangenen 26 Monaten insgesamt 65 Kinder aus der Gewalt von Tätern befreit. 439 Tatverdächtige, davon 102 aus Nordrhein-Westfalen, konnten identifiziert werden. Bundesweit gab es 27 Festnahmen. Was Verurteilungen angeht, fehlen zwar deutschlandweite Zahlen, aber die Daten aus NRW deuten an, wie schwerwiegend die Taten waren: In mehreren Verfahren wurden zusammengerechnet mehr als 80 Jahre Freiheitsstrafe verhängt.

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Das geht aus einer Bilanz der Kölner Polizei-Ermittlungsgruppe „Berg“ hervor, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Das jüngste Kind, das aus einer Missbrauchssituation befreit wurde, sei nur drei Monate alt gewesen, sagte Ermittlungsgruppen-Leiter Michael Esser. Die Blicke der Opfer oder ihre Schreie: Seine Mitarbeiter hätten „enormes Leid gesehen, erlebt, gehört und aufschreiben müssen“. Die Taten hätten auch die Vorstellungskraft einiger in Missbrauchsdelikten erfahrenen Kollegen gesprengt. Und die Bereitschaft, sich diesen menschlichen Abgründen zu stellen, sei nicht spurlos an den Kolleginnen und Kollegen vorbei gegangen. „Nicht jeder hat das ertragen, einige Mitarbeiter sind erkrankt“, so Esser.

Missbrauch, der die Vorstellungskraft der Ermittler übersteigt

Dies und das Leid der Opfer ist die eine Seite der Geschichte. Die andere Wahrheit aber ist: Mit ihrer Arbeit haben die Ermittler ein Stück nordrhein-westfälischer Polizeigeschichte geschrieben. Erstmals in der Geschichte der Kölner Polizei hat es eine Sonderkommission gegeben, die derart lange Bestand hatte. Erstmals wurden NRW-weit zeitweise bis zu 350 Ermittler für die Verfolgung von Kindesmissbrauch koordiniert. Neun Staatsanwälte arbeiteten monatelang ausschließlich für die Fälle der „EG Berg“.

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Michael Esser, Leiter der BAO Berg

Die Ermittler zogen landesweit alle Register, die der polizeiliche Handwerkskasten hergibt. Bei der Auswertung der sichergestellten Fotos und Videos beispielsweise wurden die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz fortlaufend aktualisiert. Im Netz wurden verdeckte Ermittler eingesetzt, in einer vom Amtsgericht Köln genehmigten Rasterfahndung wurde systematisch nach bestimmten Tätergruppen gesucht und Schulleiter sowie Lehrer wurden vermehrt bei der Identifizierung von Opfern um Hilfe gebeten.

Wenn man dann einen dringenden Haftbefehl außerhalb von NRW benötigte, weil es konkrete Hinweise fortlaufenden Missbrauchs gab, wurden die Beweismittel auch schon einmal per Hubschrauber zur zuständigen Behörde gebracht.

Die Ermittlungen laufen weiter

Für einige der Abläufe habe es keine Blaupause gegeben, bestätigte der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob. „Keinerlei Dienstvorschriften, die uns Hinweise geben konnten, wie man mit solch einem Verfahren umgeben kann.“ Die Beamten agierten trotzdem. Die Erfahrungen, die man dadurch gemacht habe, hätten „die NRW-Polizei verändert“, sagt Jacob. Dadurch seien „Maßstäbe gesetzt“ worden.

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Uwe Jacob, Polizeipräsident von Köln, spricht bei einer Pressekonferenz.

Insgesamt stellte die Ermittlungsgruppe rund 4700 Datenträger sicher. „Um es mal ganz platt zu sagen: Die Keller hier im Polizeipräsidium sind voll mit sichergestellten Festplatten, Computern und Handys“, sagte Jacob. Diese würden jetzt ohne die besondere Ermittlungsgruppe ausgewertet. Fälle, in denen Kinder aktuell gefährdet sind, seien aller Voraussicht nicht darunter.

Zwölf Jahre Haft für Vater aus Bergisch Gladbach

Die „Besondere Aufbauorganisation Berg“ (BAO Berg) der Kölner Polizei war im Herbst 2019 eingerichtet worden. Im Haus eines Vaters in Bergisch Gladbach hatten Ermittler damals riesige Mengen kinderpornografischer Daten gefunden. In der Folge stießen sie auf ein weit verzweigtes Geflecht von Verdächtigen, die sich im Netz über Kindesmissbrauch austauschten.

Auch der Mann aus Bergisch Gladbach, der seine eigene Tochter missbraucht hatte, wurde 2020 zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe und Unterbringung in Sicherungsverwahrung verurteilt.

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