Fehlbildungen bei BabysChefarzt berichtet über fünf Fälle in 1990er Jahren

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Symbolbild Hand Baby

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  • Um 1996 sind innerhalb von zwei Jahren im St. Remigius Krankenhaus in Leverkusen-Opladen fünf Neugeborene mit einer Handfehldiagnose auf die Welt gekommen.
  • Bei der Suche nach der Ursache habe man verblüffende Parallelen entdeckt.
  • Der damalige Oberarzt habe das dem Gesundheitsamt gemeldet, aber niemand habe reagiert.

Leverkusen – „Wir brauchen Besonnenheit und gleichzeitig Aufmerksamkeit“, sagt Detlev Katzwinkel, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe am St. Martinus Krankenhaus in Langenfeld. Als er über den Fall der drei Neugeborenen aus Gelsenkirchen mit Handfehlbildungen innerhalb von drei Monaten las, hat ihn das unwillkürlich an das Jahr 1996 erinnert.

Damals – Katzwinkel war Oberarzt in der Geburtshilfe am St. Remigius Krankenhaus in Leverkusen-Opladen – gab es dort innerhalb von zwei Jahren fünf Neugeborene mit einer vergleichbaren Diagnose. Bei der Suche nach der Ursache habe man festgestellt, dass die Mütter alle im Umfeld der alten Giftmülldeponie Dhünnaue an der Leverkusener Rheinbrücke wohnten. Er habe das damals dem Gesundheitsamt gemeldet, aber niemand habe reagiert.

„In meinem Fall damals ist man dem nicht nachgegangen“

„Ich habe mir damals nur Gedanken gemacht, ob es da einen Zusammenhang gibt“, sagt Katzwinkel. „Wir wissen das bis heute nicht, weil es nicht untersucht wurde. Ausschließen kann man es nicht. Dass sich alle jetzt um die drei Fälle in Gelsenkirchen kümmern, finde ich ausgesprochen gut.“

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Dabei gehe es zuvorderst nicht „um die vorgeburtliche Diagnostik“ sondern schlicht um die Abfrage, ob in den vergangenen zwei Jahren im Umkreis in Gelsenkirchen gehäuft Dysmelien – das sind Fehlbildungen an Händen und Füßen – aufgetreten sind und durch welche Substanz solche Fehlbildungen entstehen könnten. „In meinem Fall damals ist man dem nicht nachgegangen“, sagt Katzwinkel. „Man stelle sich vor, damals wäre eine Ursachenforschung zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen Zusammenhang mit der Deponie gibt. Glauben Sie, man würde das Ding heute wieder aufmachen?“

Bundesweites Melderegister für Missbildungen sollte eingeführt werden

Katzwinkel ist entschieden dafür, ein bundesweites Melderegister für Missbildungen einzuführen: „Es würde viel helfen zu wissen, welche Missbildungen sich genetisch nicht erklären lassen.“

Ruhe bewahren und die Fälle systematisch und koordiniert aufarbeiten. Das fordert auch Christian Schaaf, Direktor der Abteilung Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg. Grundsätzlich gibt es dem Experten zufolge drei Kategorien von Ursachen für Fehlbildungen von Händen oder Füßen: Deformationen, Disruptionen und Dysplasien.

Wenn eine Fehlbildung deformationsbedingt ist, waren mechanische Einflüsse während der Entwicklung im Mutterleib im Spiel. „Typisches Beispiel sind Klumpfüße, die durch einen Mangel an Fruchtwasser entstehen können. Der Embryo kann sich dann nicht ausreichend bewegen und Waden- und Fußmuskulatur entwickeln sich dadurch nicht richtig“, erläutert der Experte.

Stehen genetisch Ursachen dahinter?

Bei Fehlbildungen durch Disruptionen sind die betroffenen Körperteile normal angelegt, werden aber im Laufe der Entwicklung durch äußere Einflüsse gestört. „Das kann eine Infektion der Schwangeren sein. Ein Medikament wie damals Contergan oder eine Droge, die eingenommen wird, kommen aber ebenso infrage wie ein Umweltgift“, sagt Schaaf. Zu den Disruptionen zählt darüber hinaus der Einfluss von sogenannten Amnionbändern.

Dabei handelt es sich um bindegewebige Strukturen, die in der Fruchtblase mitunter zufällig entstehen. „Sie können dazu führen, dass zum Beispiel eine Hand abgeschnürt wird und sich nicht weiterentwickelt“, so der Mediziner. Diese Ursache sei als Erklärung für die Gelsenkirchener Fälle besonders intensiv zu prüfen, denn gerade das einseitige Auftreten ist dabei typisch.

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Wenn eine Dysplasie die Erklärung für eine Fehlbildung ist, stecken in der Regel genetische Ursachen dahinter. „Die Erbinformation enthält dann Fehler und die körperliche Entwicklung läuft nicht richtig ab“, erläutert Schaaf. Bei den erblichen Ursachen kann es zwar auch mal vorkommen, dass Fehlbildungen einseitig auftreten. „Typischerweise sind aber beide Hände oder Füße betroffen, wenn genetische Ursachen zugrunde liegen.“

Fehlbildungen der Hände entstünden in einem sehr frühen Stadium zwischen der fünften und achten Schwangerschaftswoche. 

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