Geschichte eines SkandalsWie eine Privatschule Millionen Steuergelder kassierte

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Die Eliteschule ISD in Düsseldorf soll Steuergeld zurückzahlen. 

  • Während die Ausstattung der meisten Schulen, auch in Köln, sanierungsbedürftig bis erbärmlich ist, wird an einer Düsseldorfer Eliteschule Geld verprasst mit drei Bibliotheken und einem eigenen Theater.
  • Die ISD verlangt Tausende Euro Gebühren von den Eltern. Und kassiert zugleich Millionen an Steuergeld – das ihr gar nicht zusteht. „Aufmüpfige” Eltern wurden bedroht, der Schuldirektor streicht sich ein exorbitantes Jahresgehalt ein.
  • Die Geschichte eines Skandals, die in Zeiten eines Privatschul-Booms kein Einzelfall ist.

Grau und langgezogen schmiegt sich der Bau hinter die Alleebäume. Duckt sich gar ein wenig. Nichts deutet auf die Schätze hinter den Mauern hin. Etwa darauf, dass hier an der Internationalen Schule Düsseldorf (ISD) ein Lehrer fünf Schüler betreut, wie es auf der Homepage verkündet wird, oder dass die Qualität des Unterrichts hervorragend, die Ausstattung hochwertig ist.

Tatsächlich ist die ISD eine Eliteschule, ein „Standortvorteil“ für die Stadt Düsseldorf, wie Politiker, Eltern und Lehrer betonen. Die Schule im noblen Stadtteil Kaiserswerth, bringt Glanz in die Bildungslandschaft der Region. Aber da gibt es auch einen Nachteil: Die ISD und die dazugehörige lokale Elite schotten sich ab. Es sei denn, es geht ums Geld. Und so darf die Geschichte um die Finanzierung der ISD als ein Paradebeispiel dafür gelten, wie sich ein Teil des Establishments mit beachtlicher Selbstverständlichkeit über geltendes Recht hinwegzusetzen versucht. In der Geschichte dieses Finanzskandals muss die Rede sein von einem Schuldirektor, der ein exorbitantes Jahresgehalt einstreicht, von Vorstandsmitgliedern, die auch vor Drohmails an aufmüpfige Eltern nicht zurückschrecken. Von einer Anwaltskanzlei, deren Kampf gegen die Bezirksregierung vom US-Konsulat mitfinanziert wurde.

Seit drei Jahrzehnten bekommt die ISD jedes Jahr Millionen Euro an Steuergeld. Zuletzt 3,9 Millionen Euro. Dabei steht ihr das Geld nach Einschätzung der Bezirksregierung nicht zu. Denn die ISD hat noch eine weitere Einnahmequelle: Das Schulgeld. Etwa 20 Millionen Euro jährlich bezahlen die Eltern, damit ihre Kinder die exklusive Schule besuchen dürfen. Privatschulen dürfen nur auf eine staatliche Finanzierung hoffen, wenn sie als Ersatzschulen staatlich anerkannt sind.

Alles zum Thema Jochen Ott

Diese Ersatzschulen wiederum dürfen laut Bundesverfassungsgericht nur ein geringes Schulgeld verlangen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Schule nicht gegen das „Sonderungsverbot“ verstößt, also nur gewissen Einkommensklassen Zutritt ermöglicht. Außerdem muss sie sich an den deutschen Lehrplan halten. Bei internationalen Schulen ist das anders. Eigentlich. Sie sind sogenannte Ergänzungsschulen. Das heißt: Der deutsche Staat erlaubt den Betrieb, zahlt aber nichts. Deshalb dürfen Ergänzungsschulen über die Höhe des Schulgelds frei entscheiden.

Für die ISD galten offensichtlich andere Regeln. Trotz üppiger Elternbeiträge verlieh man ihr 1990 den förderungswürdigen Titel Ersatzschule. Die Unterstützung aus der öffentlichen Hand wurde über die Jahre hinweg zur Selbstverständlichkeit. Die Führung der Schule entwickelte eine Anspruchshaltung, die schließlich auch der Behörde übel aufstieß. Insider erzählen: Die Leitung habe Schreiben unbeantwortet gelassen, nicht auf Nachfragen zu geplanten Stipendienprogrammen reagiert. „Die haben immer so getan, als ginge sie das überhaupt nichts an. Da war viel Arroganz im Spiel“, erzählt ein Insider. Vor zwei Jahren schauten sich die Revisoren die Akte ISD genauer an. Das Ergebnis: Die Schule muss für die vergangenen drei Jahre gut elf Millionen Euro Steuergeld zurückzahlen. Ob die 25 Jahre zuvor verjährt sind, ist noch unklar. Seither sind Eltern, Lehrer und Politik in Aufruhr.

Privatschulen erleben einen nie dagewesenen Boom. Seit 1992 hat sich die Zahl der Schüler, die keine öffentliche Schule besuchen laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung verdoppelt. Insgesamt geht fast jedes zehnte Kind in NRW auf eine Privatschule. Die meisten dieser Schulen – oft mit kirchlichen Trägern – werden zum Großteil öffentlich finanziert. Daneben gibt es aber auch etwa 20 Internationale Schulen in NRW. Sie finanzieren sich nur über Elternbeiträge.

In den vergangenen Monaten kamen zweifelhafte Ausnahmen ans Licht. Die Berlin Brandenburg International School erhielt seit 1990 etwa 20 Millionen vom Staat – obwohl die Eltern dort schon für einen Grundschüler gut 15000 Euro jährlich zahlen. Und auch in Bremen zweifelt der Landesrechnungshof daran, dass die Förderung der International School of Bremen sich mit der Verfassung in Einklang bringen lässt. In den vergangenen 13 Jahren hat die Schule etwa zehn Millionen Euro Steuergeld erhalten, obwohl die meisten Eltern das Schulgeld von 1000 Euro im Monat abdrückten.

Kaderschmiede für die Elite

In der Landeshauptstadt war man stolz auf die private Kaderschmiede für den Nachwuchs der Managementelite: RWE Power, Bertelsmann, Henkel, Eon – viele Eltern der etwa 1000 Schüler sind in Top-Positionen beschäftigt. Häufig bezahlt die Firma das Schulgeld. Bis zu 20 100 Euro im Jahr, 20 126 000 Euro nahm die Schule laut Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, auf diese Weise im Schuljahr 2017/2018 ein. Dennoch verzichtete sie nicht auf die Millionen vom Staat.

Schulgeld plus Steuergeld versetzten die ISD in eine komfortable Lage. Die Eliteeinrichtung leistet sich eine Luxus-Ausstattung: Drei Bibliotheken, zwei Sporthallen, ein Theater, drei Cafeterien, sieben Wissenschaftslabore, Tanz- und Kunsträume, ein Fitnesscenter. Das Personal gilt als exzellent. Mehrere Abschlüsse, darunter auch das International Baccalaureate, stehen zur Wahl. Lehrpläne werden ständig angepasst. Tablets sind in Kaiserswerth schon lange Normalität. Auf der prominenten Liste der Absolventen finden sich Schauspieler, Pianisten, Firmengründer und Menschen, die es bis ins US-amerikanische Innenministerium oder die UN geschafft haben. Ein Leuchtturm einerseits. In einer Bildungslandschaft, deren Schulen meist nicht genug Geld haben, um kaputte Toiletten zu sanieren, aber auch ein Ärgernis.

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Eine öffentliche Schule in NRW mit 1000 Schülern hat laut Statistischem Bundesamt im Schnitt gut sechs Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. An einem normalen Gymnasium muss das Geld, das an der ISD für einen Schüler zur Verfügung steht, also für vier Kinder reichen.

Gegründet 1968 als American International School, um den Kindern ausländischer Mitarbeiter großer Firmen eine standesgemäße Ausbildung zu bieten, lag die ISD besonders dem früheren Ministerpräsident Johannes Rau, aber auch allen seinen Nachfolgern am Herzen. Intern hätten aber eigentlich „immer alle Bescheid gewusst“, erzählt eine ehemalige Mitarbeiterin der Schule. „Wir kriegen diese vier Millionen völlig unberechtigt“, sagt sie. „Jeder weiß das.“ Mit dem Skandal drängten auch andere unangenehme Details ans Licht. Vom üppigen Budget wird nicht nur die neuste Ausstattung für die Schüler angeschafft, es sichert auch dem Direktor ein auskömmliches Leben.

Laut Gehaltsabrechnungen, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, geht der Schulleiter am Jahresende mit rund 415 000 Euro brutto nach Hause. Diese Summe ergibt sich, weil der Direktor zusätzlich zum beachtlichen Monatsgehalt von einer Nettolohn-Vereinbarung profitiert – die man sonst vor allem von internationalen Fußballstars kennt. Hinzu kommen Einmalzahlungen, kostenfreies Wohnen in einer Villa und ein Reisebudget für Erste-Klasse-Flüge um die Welt. An der Schule spricht man von einem „marktkonformem“ Gehalt. Dennoch zieht man nach öffentlicher Kritik Konsequenzen, im April wird bekannt, dass der Vertrag des Schulleiters über den Sommer 2020 hinaus nicht verlängert wird.

Zwischendurch plante die ISD dem Anschein nach gar ihre eigene Insolvenz. Eine Satzungsänderung vorab, so steht es in einem Papier, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger vorliegt“ sollte sicherstellen, dass bei Schulschließung alle Immobilien im an den Förderverein der Schule fallen – als Startkapital für einen geplanten „Neustart“. Der Plan scheiterte an einer Zweidrittelmehrheit. Statt Entgegenkommen zu signalisieren, baut die Schule eine Drohkulisse auf.

So geschehen etwa einer Mutter, die sich einem Fernsehsender gegenüber öffentlich über die Schule geäußert hatte. Ein Vereinsmitglied der ISD beantragte daraufhin ihren Ausschluss aus dem Schulverein. Kurz darauf suchte ein Vorstandsmitglied der Schule die Alleinerziehende für eine Unterredung auf. Am Morgen nach dem Gespräch schrieb das Vorstandsmitglied, das auch amerikanischer Handelskonsul ist, eine „inoffizielle“ Mail von seiner Dienstadresse aus. Ein freiwilliger Rückzug aus dem Schulverein „bis Montag, zehn Uhr“ – so schreibt er der Mutter – würde sich günstig auswirken, da in diesem Fall die Angelegenheit „vertraulich“ gehalten werden könne – ohne „öffentliche Bekanntmachung“. Da die Mutter sich weigerte, boxte die Schule eine öffentliche Abstimmung durch. Diese scheitert allerdings an der Zweidrittelmehrheit.

Opposition fordert Verzicht

Die ISD könnte sich einreihen in die Ergänzungsschulen dieses Landes. Sie tut das nicht. Viele Politiker halten das Beispiel der „International School on the Rhine“ (ISR) aus Neuss für den Weg, den die ISD nun einschlagen sollte. Auch die ISR ist eine prestigeträchtige Bildungseinrichtung. Sie erhält ähnlich hohes Schulgeld, agiert aber unabhängig von staatlichen Zuschüssen. Ihr Budget ist daher auch geringer. So lag der Etat der ISR nach Informationen dieser Zeitung 2017/2018 bei knapp zwölf Millionen Euro für 860 Schüler. „Auch die ISD muss sich ganz von öffentlichen Mitteln verabschieden“, sagt Sigrid Beer, schulpolitische Sprecherin der Grünen.

Sollte die Schule weiter taktieren, hält sie auch „eine Prüfung der Jahre vor 2015 für unverzichtbar“. Auch Jochen Ott von der SPD hält die ISD für eine „klassische Ergänzungsschule“ und fordert eine „kurzfristige Lösung“. Die elf Millionen müssten komplett zurückbezahlt werden: „Es handelt sich um Strafzahlungen. Das ist, wie wenn Sie über Rot fahren. Da können Sie auch keinen Rabatt erwarten.“ Aber die ISD bleibt hartnäckig. Es steht viel auf dem Spiel, Rücklagen soll es nicht geben, sagen Eingeweihte.

Wenn der Zuschuss wegfiele, wäre die Existenz der Schule bedroht. Nach Aussage verschiedener Politiker habe man bei der Stadt Düsseldorf angefragt, gegen ein Darlehen der Stadt eine Grundschuld auf die Gebäude eintragen zu lassen. Die Stadt Düsseldorf teilt auf Anfrage mit, sich dazu nicht äußern zu wollen, da Grundbuch-Einträge „generell vertraulich“ zu behandeln seien.

Verwaltung baute Brücken

Zugute kommt der Schule nicht nur ihre Verwurzelung in Wirtschaft und Stadtgesellschaft, sondern auch ihre Beziehungen zu Vertretern aus Politik und Verwaltung. Auf Anfrage schreibt die ISD: „Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass in den mehr als 50 Jahren seit Gründung der Schule Schülerinnen und Schüler die ISD besucht haben, deren Familienmitglieder in Politik oder Verwaltung tätig sind.“ Eine Bevorteilung sei aber ebenso selbstverständlich ausgeschlossen worden. Dennoch: Auch die Bezirksregierung, versucht erstaunlich lange, Brücken zu bauen. Um die Zuschüsse nicht zu gefährden, forderte die Verwaltung die Schule in zahlreichen Schreiben zwei Jahre lang dazu auf, die Schulgeld-Verträge mit den Eltern zu ändern. Nach vielen Monaten beauftragte die ISD schließlich einen auf Privatschulrecht spezialisierten Verwaltungsrechtler, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Die Anwaltsrechnung soll nach internen Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen zum Teil das US-Konsulat beglichen haben.

In den neuen Elternverträgen ist nun von „freiwilligen“ Beiträgen für den schuleigenen Förderverein (FIS) statt von Schulgeld die Rede. De facto ändert sich aber nichts. Die Eltern zahlen weiterhin die etwa 20 000 Euro „Fördergeld“. Sie bekommen über den Beitrag auch eine Rechnung. Man könnte auch sagen: es handelt sich um eine eigenwillige Definition von Freiwilligkeit. Ob und wie viele Schüler ein Stipendium erhalten, darüber will die ISD auf Anfrage „aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine Angaben“ machen.

Die Bezirksregierung verweist auf Anfrage darauf, bis zu einer Entscheidung keine Auskunft zu geben. „Ein Termin, wann“ die Gespräche „beendet sein werden“, könne aber „noch nicht benannt werden.“ Das Schulministerium verweigert ebenfalls Antworten. Die Schule hat nach eigener Aussage einen Stundungsantrag für die Rückforderungen vorgelegt, zudem Klage gegen den Bescheid eingelegt. „Zu den Inhalten der Gespräche mit der öffentlichen Hand, insbesondere auch Fragen der laufenden Finanzierung und des künftigen Geschäftsmodells“, könne man auf Anfrage keine Aussagen machen. Intern hört man: Geld erwarte man von russischen und chinesischen Investoren, an die sich verzweifelte Eltern gewandt hätten.

Immerhin meldet das Ministerium, die vorläufig letzte kreative Idee des Vorstandes sei mittlerweile vom Tisch: Man diskutierte, das Schmuckstück für die Stadtgesellschaft statt mit Geld vom Schulministerium mit freundlicher Unterstützung des Wirtschaftsministeriums zu fördern. Als Dankeschön für das internationale Flair, das die Eliteschule mit Kindern von Topverdienern aus Holland bis China der Stadt verleiht.

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