Kilometerweite BohrungIn NRW könnten erneuerbare Energien in 5000 Metern Tiefe liegen

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Blick in den Tagebau Inden, im Hintergrund das Kraftwerk Weisweiler

Blick in den Tagebau Inden, im Hintergrund das Kraftwerk Weisweiler

  • In NRW führt die Suche nach erneuerbaren Energien 5000 Meter unter die Erde.
  • In Weisweiler wird untersucht, ob Erdwärme ökonomisch und sicher gefördert werden kann.

Wenn es am Ende eines lauen Frühlingstages dann doch wieder mal zu kalt ist, um weiter draußen zu sitzen, vergisst man das gerne – aber gleich unter der Oberfläche ist unser Planet ein brodelnder Feuerball. Die geologischen Eckdaten sind erstaunlich: Mehr als 99 Prozent des Erdmaterials sind heißer als 1000 Grad Celsius, in Richtung Erdkern steigt die Temperatur auf 7000 Grad an.

Umgerechnet in Energie schätzen Wissenschaftler die, na ja, Leistung des Planeten auf mehrere Tausend Milliarden Watt. Die Idee, dieses unerhörte Potenzial zu erschließen, liegt natürlich nahe. Schon die Römer heizten, wenn möglich, ihre Villen und Thermen mit dem Wasser heißer Quellen. Sehr viel weiter sind wir 2000 Jahre später immer noch nicht – vielleicht ein Beleg dafür, dass das alles nicht so einfach ist.

Kraftwerk Weisweiler ist symbolträchtiger Ort

Das Kraftwerk Weisweiler ist als gewaltige Kathedrale industrieller Funktions-Architektur und zugleich kapitaler Schadstoff-Emittent ein symbolträchtiger Ort in Zeiten des energiepolitischen Wandels: Jährlich liefert der Tagebau Inden 20 Millionen Tonnen Braunkohle, aus denen mit 15000 Gigawattstunden (GWh) etwa zwei Prozent des Stroms in Deutschland erzeugt werden.

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Nebenher entstehen 400 GWh Fernwärme, mit denen etwa die Stadt Aachen und das Forschungszentrum Jülich versorgt werden. Im Jahr 2030 geht das Kraftwerk vom Netz. In die ausgekohlte Tagebau-Grube läuft das Grundwasser und bildet bis 2050 den 1200 Hektar großen Indesee, um den herum die Gemeinde Inden ihre maritime Zukunft plant. Das weiß man.

Was man nicht so genau weiß, sagte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), als er unlängst zu Gast war in Weisweiler: „Wie geht es weiter mit der Energieversorgung? Wie geht es weiter mit der Region?“ Seine Antwort: „Das Energieland NRW will sich neu erfinden.“ Das muss das Energieland NRW auch, denn nach dem Ende der Steinkohle und dem Betriebsschluss in Weisweiler soll bis 2038 auch die letzte Baggerschaufel Braunkohle gefördert sein. Als künftige Alternativen nannte der Minister: „Sonne, Biomasse, Wind und Wasser und Geothermie.“

Erd-Wärme nutzen

Das Wort Geothermie stammt aus dem Griechischen und heißt Erd-Wärme; in technischer Hinsicht umschreibt der Begriff den Versuch, diese Wärme zu nutzen. Es gibt Bereiche, da funktioniert das ganz ordentlich: Die oberflächennahe Geothermie wird genutzt zur Beheizung oder Kühlung von Wohn- oder Funktionsgebäuden – im Jahr 2018 waren bundesweit bereits 370 000 solcher Anlagen in Betrieb.

Wasser wird dabei mittels Sonden oder Kollektoren im Erdboden erwärmt, Wärmepumpen entziehen dem Wasser die Wärme und verdichten sie auf höhere Temperaturen, die Wärme wird gespeichert und steht zur Nutzung bereit. Das alles spielt sich ab in einer Tiefe von ein paar Metern (bei Kollektoren) bis hin zu ein paar hundert Metern (bei Sonden).

Geothermie-Projekt in Weisweiler

Die tiefe Geothermie ist eine ganz andere Sache und um die geht es in Weisweiler. Ziel ist es, mittels einer „Dublette“ genannten Vorrichtung mit einer Förderbohrung 90 bis 150 Grad heißes Wasser an die Oberfläche zu holen, die Energie über Wärmetauscher nutzbar zu machen und das abgekühlte Brauchwasser über eine zweite Bohrung (Injektionsbohrung) zurückzupumpen in den Untergrund, wo sich das Wasser erneut erwärmt und dann wieder in den Kreislauf gelangt. Am Ende könnte der Standort Weisweiler auch nach 2030 als Lieferant für Fernwärme aus der Tiefe erhalten bleiben.

Im größeren Stil wird die tiefe Geothermie derzeit im Großraum München und im Pariser Becken betrieben. In beiden Regionen waren die Geologen auf verkarstete und wassertragende Erdschichten gestoßen; dieselben Bedingungen erhofft man sich auch im Rheinland. „Schließlich haben wir Daten von 300 000 Bohrungen aus ganz NRW in unseren Datenbanken, über 30 000 Bohrkerne lagern in unserem Bohrkernarchiv“, sagt Martin Salamon vom Geologischen Dienst NRW.

Er leitet das Geothermie-Projekt in Weisweiler, an dem neben RWE ein grenzüberschreitend tätiges Konglomerat von Hochschulen, Unternehmen und staatlichen Einrichtungen beteiligt ist. Zwar gilt der Großraum NRW/ Niederlande/Belgien als Region mit hohem Potenzial für die „ökonomische und sichere Nutzung von tiefer Erdwärme“, wie Salamon sagt, aber so tief hat in Weisweiler noch niemand nachgeschaut.

Der Boden dort ist zwar gut untersucht durch den Tagebau. „Aber dabei ging es um die Suche nach dem nächsten Braunkohle-Flöz“, sagt Salamon, „uns interessieren die Erdschichten in 3000 bis 5000 Metern Tiefe.“ Im Jahr 2006 wurde im schweizerischen Basel ein Projekt der tiefen Geothermie gestoppt.

Kleine Beben als Brauchwasser zurückgepumpt wurde

Als Brauchwasser zurück gepumpt wurde in 5000 Meter Tiefe, kam es zu Verwerfungen im Untergrund. Es wurden mehrere kleine Beben gemessen, der größte Erdstoß erreichte einen Wert von 3,4 auf der Richterskala. Es gab keine Verletzten, zu den gemeldeten Schäden gehörten zum Beispiel ein paar Straußeneier, die aufgrund des Bebens vom Tisch gepurzelt sein sollen. Alles nicht so richtig schlimm, aber die Schweizer sind vorerst ausgestiegen.

Jens-Peter Lux, Ingenieur beim Unternehmen DMT (Deutsche Montan Technology) Bergbau, kennt das Problem aus München. Auch dort bebt hin und wieder ein bisschen die Erde, die Aufregung im Freistaat hält sich in Grenzen. „Die Erfahrungen von dort bringen wir mit ins Rheinland. Für die Standort-Analyse nutzen wir ein seismisches Observatorium.“ Da weiß man dann, wo es bebt und warum.

Projekt in Weisweiler bis Ende 2022 geplant

Rolf Bracke vom Geothermie-Zentrum Bochum (GZB) plädiert mit großen Zahlen für Erforschung und Ausbau der tiefen Erdwärme. Alljährlich werden in Deutschland etwa 9000 Petajoule Energie (2,5 Millionen GWh) verbraucht, erklärt er, davon entfallen 56 Prozent (5040 Petajoule) auf Wärmenutzung. Hier könnte tiefe Geothermie erhebliche Beiträge leisten – zumal die notwendige Fernwärme-Infrastruktur bereits besteht.

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Das Projekt in Weisweiler ist bis Ende 2022 geplant. Bis dahin hoffen die Beteiligten auf praktikable Lösungen, wie die fossilen Energieträger dauerhaft ersetzt werden können; ersetzt durch die unerschöpflichen Energie-Vorräte direkt unter der Oberfläche des Feuerballs, auf dem wir leben.

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