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KlimaschutzWarum junge Menschen aus NRW Verfassungsbeschwerde einreichen

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Windräder vor dem Braunkohlekraftwerk Niederaußem bei Bergheim.

Düsseldorf – Zwei Tage bevor der NRW-Landtag am 1. Juli sein verschärftes Klimaschutzgesetz beschließt, erreichen die Temperaturen im kanadischen Ort Lytton nie dagewesene 49,6 Grad Celsius. Dass die schwarz-gelbe Landesregierung am Donnerstag per Gesetz festschreibt, Nordrhein-Westfalen solle bereits im Jahr 2045, also fünf Jahre früher als geplant, Klimaneutralität erreichen, hat allerdings weniger mit den aktuellen Extremwetterereignissen zu tun, als vielmehr mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Im März wurden Teile des bis dahin geltenden Bundesklimaschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Der Grund: Es fehlten Maßnahmen, wie die Emissionsverringerung nach dem Jahr 2030 gelingen soll. Daher, argumentierten die Richter, werde die Verantwortung zulasten der jüngeren Generationen nach hinten verschoben, die dann wesentlich strikter und radikaler handeln müssten, um den durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg noch auf unter zwei Grad – möglichst auf 1,5 Grad – zu begrenzen.

NRW-Regierung beschließt 1000-Meter-Abstandsregel für Windräder

Das Bundesklimaschutzgesetz musste also nachgeschärft werden und NRW sein Landesklimaschutzgesetz anpassen. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent, bis zum Jahr 2040 um mindestens 88 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. 2045 sollen sie bei Nettonull liegen. Wie genau diese Ziele erreicht werden sollen, findet sich jedoch nicht in dem Gesetz. Zudem hat die NRW-Landesregierung am selben Tag eine 1000-Meter-Abstandsregelung für Windkraftanlagen von Wohnbebauungen beschlossen – ein Hemmnis für den Ausbau der erneuerbaren Energien, die für das Erreichen der Ziele unabdingbar sind. So jedenfalls sieht es die Opposition, die gegen das Gesetz gestimmt hatte.

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Auch Klimaschützer sind empört. Schon nach wenigen Tagen verkündete die Deutsche Umwelthilfe (DUH), sie habe gemeinsam mit 21 jungen Menschen zwischen sechs und 21 Jahren drei Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe eingereicht – darunter auch gegen das Landesklimaschutzgesetz NRWs.

NRW-Energieminister Andreas Pinkwart (FDP), aus dessen Haus das kritisierte Gesetz stammt, zeigt sich verwundert über die Klage: „Der Landtag hat vergangene Woche nach intensiver Beratung und Expertenanhörung das mit Abstand ambitionierteste Klimaschutzgesetz aller 16 Bundesländer verabschiedet. Es verwundert vor diesem Hintergrund, dass die Umwelthilfe ausschließlich Länder beklagt, an deren Landesregierungen die Grünen nicht beteiligt sind“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Im Vergleich zum bisherigen Gesetz blieben die Ziele für Nordrhein-Westfalen „nicht mehr hinter jenen des Bundes zurück, sondern entsprechen dessen neuen ambitionierten Zielen vollumfänglich.“

Pauline Brünger, Kölner Aktivistin bei Fridays for Future, widerspricht: „Das Gesetz ist eines, das seinen Namen nicht verdient.“ Schon im Bund habe man gesehen, dass die Verschärfung nicht mit dem Pariser Klimaschutzabkommen vereinbar sei. Um das 1,5-Grad-Ziel von Paris noch erreichen zu können, müsse das Land bereits im Jahr 2035 klimaneutral sein. „Zusätzlich“, sagt Brünger, „ist in NRW aber auch nicht die Grundlage dafür geschaffen worden, dass diese Ziele überhaupt irgendwann eingehalten werden.“

Die größte Kritik gibt es an den Abstandsregelungen für Windkraftanlagen. „Mit der pauschalen 1000-Meter-Abstandsregelung zur Wohnbebauung sowie dem faktischen Ausschluss sämtlicher Waldflächen – auch jenen Flächen, wo der Borkenkäfer bereits massiv die Wälder zerstört hat – bleibt für den Ausbau fast nichts mehr übrig“, moniert Reiner Priggen vom Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW).

NRW wird Stromimportland

Am Wuppertal Institut war Clemens Schneider, Senior Researcher im Forschungsbereich Sektoren und Technologien, an einer Studie beteiligt, die berechnete, wie Deutschlands Weg zur Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 gelingen könnte. Er sieht strenge Regeln für den Ausbau erneuerbarer Energien – wie jetzt in NRW für die Windkraft – kritisch. Gerade dann, wenn man sich von fossiler Energiegewinnung trennen will. Denn dass das Land bis 2030 vollständig aus der Kohleverstromung aussteigen muss, um seine Klimaziele zu erreichen, gilt als sicher.

Abschied von der Kohle, fehlende Förderung von erneuerbaren Energien: Die Lücke, die sich in Nordrhein-Westfalen auf diese Weise in den kommenden Jahren auftue, müsse andernorts geschlossen werden. NRW werde ein Stromimportland werden, sagt Schneider, „das zeigen eigentlich alle Szenarien.“ Eine solche Entwicklung, meint Priggen, koste aber Arbeitsplätze und gehe zu Lasten der Versorgungssicherheit. Um sich etwas Unabhängigkeit zu bewahren, sei es wichtig, den „heimischen Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung – in erster Linie Windenergie“ zu fördern so Schneider. Nur so bewahre man sich die Möglichkeit, selbst in großem Umfang Wasserstoff für die Industrie des Landes zu produzieren.

Energieminister Pinkwart verteidigt das Vorgehen der Landesregierung, man habe sich „von Anfang an für einen akzeptanzfördernden Ausbau der Windenergie eingesetzt “. Denn zur Wahrheit gehört auch: Oft sind es Bürgerinitiativen und Anwohner vor Ort, die sich vehement gegen die Errichtung von Windrädern in ihrer Nachbarschaft wehren. Ein Muster, das sich im Umgang mit der Klimakrise oft zeigt: Ob in der Debatte um ein Tempolimit auf Autobahnen, in der Frage, wie billig Fleisch sein darf, wie teuer der Flug nach Mallorca. Veränderungen unterstützt jeder, aber bitte ohne Auswirkungen auf das eigene Leben.

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Kritik gibt es auch daran, dass im NRW-Klimagesetz keine konkreten Maßnahmen und keine spezifischen Einsparungsziele für die einzelnen Sektoren genannt werden. Es ist also nicht festgeschrieben, wie viel weniger CO2 beispielsweise bei Gebäuden oder dem Transportsektor genau anfallen soll. Auch bei der generellen Überprüfung hapert es. Ein so genanntes Klimaschutzaudit soll zwar feststellen, ob Ziele erreicht oder verfehlt wurden. Eine Frist für die Erstellung eines solchen Berichts gibt es jedoch nicht. Die jungen Kläger und Klägerinnen, die mit der DUH nun erneut vor das Verfassungsgericht ziehen wollen, sorgen sich deshalb, dass das Gesetz nicht in der Lage sei, zeitnah auf Zielverfehlungen zu reagieren.

Schneider indes gibt zu bedenken, dass „nicht vorhersehbar ist, welche Lastenverteilung zwischen den Sektoren die effizienteste ist.“ NRW müsste sich zudem mit eigenen Sektorzielen stark an den bestehenden Bundes-Sektorzielen orientieren, denn vor allem in der Energiewirtschaft und in der Industrie habe das Land sehr große Anteile an den bundesdeutschen Emissionen.

Für Klimaaktivistin Pauline Brünger steht fest: Je länger der Wandel verschoben wird, desto härter müssen zu einem späteren Zeitpunkt die Einschränkungen ausfallen. Der Blick in die Zukunft mache ihr deshalb Angst. Sie sagt: „Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die Klimaschutzpolitik machen wollen, immer erst vor das Bundesverfassungsgericht ziehen müssen.“

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