KokainschmuggelErfolge der Ermittler versetzen Mafiosi in Panik

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Polizisten Razzia Duisburg

Polizisten stehen in einem Eiscafé in der Duisburger Innenstadt. Ermittler in Deutschland, Italien, den Niederlanden und Belgien sind mit einer großangelegten Razzia gegen Mitglieder der italienischen Mafiaorganisation 'Ndrangheta vorgegangen.

  • Bei einem Neukunden geriet Serkan B. an einen verdeckten Ermittler. Das wusste er jedoch nicht.
  • Zwei Deals gingen schief. Die Polizei fing Drogenlieferungen ab. Das versetzte die Mafiosis in Panik und machte die Geldgeber nervös.
  • Ein Blick in das komplexe italienisch-türkische Netzwerk des Kokainschmuggels.

Die Verhandlungen zogen sich über Monate: Misstrauen beherrscht das Drogengeschäft. Vor allen Dingen bei Neukunden. Serkan B., der offiziell eine KFZ-Werkstatt in Wesseling betrieb, schaute sich den Kaufinteressenten genau an. Er reiste eigens nach Karlsruhe, inspizierte die Wohnung des Mannes und kehrte beeindruckt zurück. Das war einer, der einen Kokaindeal im ein- bis zweistelligen Kilobereich finanzieren konnte.

Serkan B. ahnte nicht, dass er auf einen verdeckten Ermittler der Polizei (VE) gestoßen war, als er ihm am 6. September 2018 auf dem Parkplatz eines Baumarktes in Leverkusen eine Tüte mit zwei Kilogramm des weißen Pulvers in die Hand drückte. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ überreichte der Under-Cover-Agent, Deckname „Kara“, dem Großdealer im Gegenzug 63.000 Euro. Das Vertrauen war hergestellt.

Wenige Wochen später vermittelte der Verkäufer ein Treffen mit hochrangigen Mafiosi der kalabresischen ’Ndrangheta in Mönchengladbach. Die, so hieß es, könnten problemlos hochwertigen Stoff aus Südamerika mit einem Reinheitsgehalt von 96 Prozent beschaffen. Und so lernte der VE Guiseppe M. kennen. Letzterer gilt als Größe des ’Ndrangheta-Clans „Giorgi-Ciceri“, einer der führenden Gruppierungen aus dem Bergdorf San Luca, die ihre Geschäfte längst auf die Benelux-Staaten und Deutschland ausgeweitet haben.

Alles zum Thema Herbert Reul

Amtsträger aus NRW gaben Dienstgeheimnisse weiter

Die Geschichte ist Teil einer der größten Razzien gegen die mächtigste italienische Mafia-Connection: In einer konzertierten Operation namens „Pollino“ setzten italienische, belgische, niederländische und deutsche Ermittler vorgestern in einer Joint-Venture-Kommission 84 Verdächtige fest. Als einer der Schwerpunkte der Aktion galt NRW.

Allein einem Osteria-Besitzer aus Pulheim legt die Kölner Staatsanwaltschaft den Schmuggel von gut 1,8 Tonnen Kokain zur Last. 18 Haftbefehle seien vollstreckt worden, berichtete NRW-Innenminister Herbert Reul. Der CDU-Politiker bezeichnete die Razzia als „extrem erfolgreichen Vorgang auch europaweit“.

Wie berichtet, zählen zu den Beschuldigten auch fünf Amtsträger, die Dienstgeheimnisse an die Mafiosi durchgestochen haben sollen. Dabei handelt es sich um zwei Polizeibeamte, sowie eine Regierungsbeschäftigte der Polizei nebst einer ehemaligen Mitarbeiterin der Stadt Duisburg sowie einer Bediensteten aus Wesseling. Als Sofortmaßnahme habe man „die Mitarbeiterin  vom Außendienst in den Innendienst versetzt“, sagte Andrea Kanonenberg, Pressesprecherin der Stadt Wesseling dieser Zeitung.  Nun müsse man die weiteren Ergebnisse der Ermittlungen abwarten.

Transport der Drogen über große Häfen

In Duisburg wird gegen 47 Protagonisten der italienisch-türkischen Mafia-Verbindung ermittelt.  Ganz oben auf der Beschuldigtenliste steht Giuseppe M. Laut Vermerken soll er mit anderen ’Ndrangheta-Ablegern das Rauschgiftgeschäft gesteuert haben. Im Kokshandel ist die kalabresische Mafia international führend. 40 Milliarden Euro jährlich fließen laut italienischen Quellen in die schwarzen Kassen am südlichen Stiefel.

Seit die Anti-Mafia-Jäger jenseits der Alpen den Schmuggel der Ware von den kolumbianischen und mexikanischen Kartellen direkt nach Italien erschweren, sollen Männer wie Giuseppe M. die Transporte zu den Seehäfen in Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen umgelenkt haben. Von dort aus ging es weiter nach Italien, Deutschland oder Großbritannien. Viele Stränge bündelten sich offenbar bei Giuseppe M. Er habe mit den Lieferanten aus Übersee geredet, die Transporte zu den Häfen organisiert, Scheinfirmen betrieben.

Mehrfach beobachteten niederländische Beschatter der Polizei, wie Komplizen in Wohnanlagen Geldtaschen überbrachten und mit Plastiktüten voller Drogen wieder herauskamen. Zudem soll der Mafioso Investoren für die Deals angeworben haben.

Zöllner fangen eine Lieferung an der Grenze ab

Das Bundeskriminalamt sowie das Landeskriminalamt NRW und die Kölner Polizei ermittelten in verschiedenen Komplexen seit 2016 gegen Drogenschieber mit ’Ndrangheta-Bezug. Dabei bekamen die Strafverfolger auch mit, dass türkische Unterwelt-Größen wie Serkan B. mindestens 600.000  Euro in das Rauschgiftunternehmen der Italiener investiert haben sollen. Dafür kassierten B. und die anderen Investoren monatlich Zinsen.

Zudem stellten sie speziell präparierte Kurierfahrzeuge zur Verfügung. Kommunikation lief nur über Krypto-Handys, die Botschaften verschlüsselt weiterleiteten. Bald aber tauchten Probleme auf.

21. März 2017. Der deutsche „’Ndrangheta-Statthalter Giuseppe M. traf im holländischen Amstelveen einen Mittelsmann. Es soll um knapp 16 Kilogramm Koks gegangen sein. Das Geld für den Deal stammte wohl großteils von türkischen Finanziers. Tags darauf habe ein Kurierfahrer den Stoff übernommen und sei damit nach Italien gefahren. Durch die hiesigen Behörden informiert, fingen Zöllner an der Schweizer Grenzstelle Novazzone die Lieferung ab.

In dem durch einen elektronischen Code gesicherten Versteck in der Lehne der Rücksitzbank fanden sich 14 Pakete Kokain. Als die Nachricht die türkischen Investoren erreichte, herrschte Entsetzen: „Meine 140.000, mein ganzes Geld weg, ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen Alter“, jammerte einer der türkischen Geldgeber aus Wesseling in einem abgehörten Telefonat.

Weiterer Fehlschlag macht Geldgeber nervös

Dasselbe Malheur soll einem weiteren Kurier im Juni 2017 widerfahren sein. Knapp acht Kilogramm Stoff sollen die Mafiosi im Auto versteckt gehabt haben. Bei Meran in Südtirol stoppte eine Streife den Fahrer und förderte die Fracht zutage.

Per SMS soll der Schmuggler seinen Hintermännern in Deutschland geschrieben haben: „Die Guardia di Finanza hat mich verhaftet.“ Man möge bitte einen guten Anwalt suchen. Der neuerliche Fehlschlag soll bei den türkischen Geldgebern Panik ausgelöst haben. Zumal ihre italienischen Geschäftspartner ausgleichende Zahlungen wohl schuldig blieben. Im August 2017 sollen türkische Finanziers nach San Luca, gereist sein, um die Geschäftsbeziehungen wieder ins Reine zu bringen und Schadenersatz einzufordern.

Er habe um sein Leben gefürchtet, wird später einer der Türken dem verdeckten Ermittler „Kara“ erzählen. Doch die Zusammenkunft verlief friedlich. Der ’Ndrangheta-Clan beglich seine Schulden.

Der Kölner Strafverteidiger Markus Loskamp zweifelt allerdings noch an den Darstellungen der Ermittler. Der Anwalt vertritt einen der inhaftierten, türkischen Investoren. „Es stellt sich doch die Frage, wieso ein derart mächtiger Mafia-Clan sich von türkischen Mittelständlern Geld für Drogengeschäfte leihen muss.“ Und weiter: „Sollten diese Darlehen tatsächlich gewährt worden sein, bleibt offen, ob die Türken gewusst haben, worum es wirklich ging.“

Die Ermittlungen ergeben ein anderes Bild: So reiste der führende Mafioso Giuseppe M. mit dem Wesselinger Kfz-Werkstattbesitzer Serkan B. 2017 nach Mailand. Letzterer schwärmte nach seiner Rückkehr, man habe dort einen sehr guten Kunden getroffen. Um das Geschäft abzuschließen, bräuchte es aber neue Geldmittel. Und zwar reichlich.

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