Kripo steht vor dem KollapsNRW will Polizei-Ausbildung reformieren

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NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)

Düsseldorf – NRW-Innenminister Herbert Reul hat angekündigt, dass das Land die Kriminalpolizei künftig personell besser ausstatten will: „Die Stärkung der Kriminalpolizei ist eine wichtige Aufgabe, der wir uns stellen“, sagte der CDU-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Ein Schritt auf diesem Weg sei etwa das Programm „Spezialisten zu Polizisten“, bei dem jährlich 70 Kommissaranwärter direkt nach der Ausbildung in den Kripodienst wechseln können. „Das wollen wir verlängern und ausbauen, weitere Schritte werden folgen“, kündigte Reul jetzt an. Bislang müssen die Beamten mindestens ein Jahr Steife fahren und oft noch drei Jahre bei der Bereitschaftspolizei verbringen, ehe sie eine Kripo-Laufbahn einschlagen können.

Die schlechte Aufstellung der Kripo wird unter anderem im Kampf gegen die Kinderpornografie deutlich. Die Fahnder kommen bei der Auswertung von sichergestellten Daten nicht hinterher. Viele Opfer sind ihren Peinigern weiter ausgeliefert, weil Ermittler fehlen. Auf Antrag der SPD wurde im Landtag kürzlich eine Expertenanhörung unter der Überschrift „Kripo am Limit“ durchgeführt.

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„Kripo ist nicht zukunftsfähig"

Die Sachverständigen zeichneten das Bild einer Behörde, die vor dem Kollaps steht. Die Kriminalpolizei in NRW bleibe in der derzeitigen Organisationsform „unter ihren Möglichkeiten“ und sei „so nicht zukunftsfähig aufgestellt “, erklärte Klaus-Stephan Becker, Chef der Kripo bei der Polizei in Köln.

Von den rund 40 000 Polizisten in NRW sind derzeit rund 8000 bei der Kripo tätig. Seit der 2008 müssen alle Bewerber die Fachhochschulreife mitbringen. In einem dreijährigen Studium werden die Kommissaranwärter einheitlich ausgebildet.

Ausbildung setzt Schwerpunkt auf Streifendienst

Die Akademisierung der Ausbildung sollte die Qualität der Polizei auf ein neues Niveau heben. Allerdings wurden die Lehrveranstaltungen nach Meinung mit Kritikern zu einseitig auf den Einsatz Streifendienst ausgerichtet. Ein Webfehler, der mittlerweile auch von der Chefetage des NRW-Innenministeriums eingeräumt wird.

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„Die Kripo wird heute nicht mehr gezielt für Ihre Aufgaben ausgebildet“, sagte Landeskriminaldirektor Johannes Hermanns in einem Interview mit dem Polizeimagazin „Streife.“ Man müsse sich „ganz nachhaltig Gedanken“ über die Ausbildung der Kriminalisten machen.

Aufklärungsquote sinkt

Oliver Huth ist der Chef des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in NRW. „Von der bisherigen Einheitsausbildung profitieren vor allem die Kriminellen. Seit der Einführung der Einheitsausbildung im Jahr 1995 ist die Aufklärungsquote in NRW immer weiter gesunken“, sagte der frühere OK-Ermittler. Wer heute bei der Kripo anfange, habe so gut wie kein Vorwissen darüber, wie die Ermittlungs-Instrumente der Zivil-Fahnder funktionierten.

„Die Kollegen wissen in der Regel nicht, wie man digitale Spuren verfolgt, Rechtshilfe bei Europol beantragt oder eine Telefonüberwachung einleitet“, kritisiert Huth.

Hessen hat Kripo-Ausbildungszweig eingeführt

Der BDK hält das Expertenprogramm für völlig unzureichend. „Wir stehen bei der Kripo vor einer Pensionierungswelle. Die 70 zusätzlichen Kräfte pro Jahr sind ein guter Anfang vom Minister, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein." Polizisten, die zur Kripo wollten, müssten ihr Handwerk mit dem Start der Ausbildung erlernen. „Hessen und auch Baden-Württemberg machen uns vor, wie das geht. Dort hat man einen Kripo-Studienzweig geschaffen und kann junge Leute jetzt mit der Aussicht auf eine Kripo-Laufbahn gezielt anwerben“, sagte Huth.

Dem Innenministerium fehle bislang der Mut für eine grundlegende Reform der Polizeiausbildung. Offenbar wolle man sich nicht mit anderen Gewerkschaften der Polizei anlegen: „Wenn die Politik nicht die Kraft findet, veraltete Strukturen aufzubrechen, spielt sie den Gesetzesbrechern in die Hände.“

GdP befürchtet Spaltung der Polizei

Michael Mertens, der Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, in der viele Schutzpolizisten organisiert sind, warnt das Innenministerium vor einer Ausbildungsreform. Dieser Schritt berge die Gefahr, einen Keil in die Polizei zu treiben: „Wir müssen Wege finden, um die Kripo besser zu unterstützen", sagte Mertens dem „Kölner Stadt-Anzeiger". „Die Lösung kann aber nicht darin bestehen, das Studium zu spalten.  Wir sind eine Polizei und brauchen ein Ausbildung. Die Erfahrungen aus dem Wach- und Wechseldienst sind ein wichtiges Rüstzeug für den Alltag der Kripo-Kollegen." 

SPD kritisiert zögerliches Handeln

NRW-Innenminister Reul hat jetzt eine Landesarbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge für die künftige Aufstellung der Kripo machen soll. Hartmut Ganzke, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, kritisiert, der Schritt komme kurz vor Ablauf der Legislaturperiode im Mai 2022 viel zu spät.

 „Die Überlastungssituation bei der Kripo zeichnete sich schon länger ab“, sagte der Politiker aus Unna. Innenminister Reul habe mehr als vier Jahre Zeit gehabt, um eine Verbesserung der Strukturen anzupacken. Dabei müssten alle Bereiche in der vielfältigen Arbeit der Polizei mitgenommen und einbezogen werden: „Das braucht Zeit und Ausdauer. Zeit, die nun kurz vor Ende der Wahlperiode nicht mehr vorhanden ist.“

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