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„Das ist mein Opus Magnum“Architekt des Leverkusener Forums blickt zurück

Lesezeit 9 Minuten
Blick zurück: Ulrich S. von Altenstadt blättert am Gartentisch in Münster in archivierten Dokumenten zum Forumsbau. Foto: Frank Weiffen

Blick zurück: Ulrich S. von Altenstadt blättert am Gartentisch in Münster in archivierten Dokumenten zum Forumsbau. Foto: Frank Weiffen

  • Das Leverkusener Forum wurde vor 50 Jahren als modernes Kulturhaus eröffnet.
  • Architekt Ulrich S. von Altenstadt stach damals mit seinem Bau-Entwurf internationale Konkurrenten aus.
  • Ein Gespräch über die Freude des Siegers, vergebene Chancen und welche Verunstaltungen am Haus ihn am meisten ärgern. Auch lüftet er das Geheimnis, warum man überall im und am Gebäude dem Sechseck begegnet.

Leverkusen – 50 Jahre Forum: Wir haben Architekten Ulrich S. von Altenstadt getroffen. Er spricht über den Bau des Leverkusener Kulturhauses und welche Verunstaltung ihn am meisten ärgert.

Wissen Sie noch, was am 12. Oktober 1960 war?

Nein. Beim besten Willen nicht.

An diesem Tag kürte das Preisgericht in Leverkusen Ihren Entwurf zum Siegesentwurf im Architektenwettbewerb für das Forum.

Das Datum war mir wirklich nicht mehr präsent. Aber: Ich weiß noch, dass ich diesen Entwurf in meinem damaligen Essener Büro mit eigener Hand schön gezeichnet und abgegeben hatte – und dann erst einmal mit einer Freundin im Auto durchs damalige Jugoslawien nach Griechenland gefahren war. Und als ich nach drei, vier Wochen zurückkam, fand ich aufgeregte Anrufe vor: „Ja, wo bleiben Sie denn? Sie haben doch gewonnen!“ Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet! Das war fantastisch! Denn ich hatte mich ja gegen eine große, teilweise internationale Konkurrenz – etwa Alvar Aalto, van den Broek und Bakema – durchgesetzt. Wobei ich noch bangen musste...

Warum?

Mich erreichte kurz darauf der Anruf eines mir unbekannten Architekten. Und der sagte mir, dass in Sachen Forum ein anderer für den Auftrag ausgewählt worden sei. Nämlich Paul Bode, der Theater-Architekt aus Kassel. Ich wendete mich daraufhin sofort an den damaligen Oberbürgermeister Wilhelm Dopatka. Und der sagte mir: „Nein! Machen Sie sich keine Sorgen! Sie sind der Sieger! Und das bleibt auch so.“ Erst dieses Machtwort beendete meine Bedenken – und es begann die Entwurfsphase.

Die sich als schwierig erwies: Unter anderem wurde das Forum, entgegen Ihrem Entwurf um 180 Grad gedreht.

Das ist richtig. Das war allerdings ein gutes Ergebnis der Diskussionen mit dem Bürgermeister. Gravierender war: Es gab Probleme mit dem Stadtrat. Die CDU sagte damals schon: „Das ist alles viel zu groß und teuer. Das brauchen wir gar nicht.“ Und als sie bei der nächsten Wahl die Mehrheit im Stadtrat erlangt hatte, wurden die Planungen eingestellt und erst ein Jahr später wieder angeworfen. Das wiederholte sich mehrfach, auch mit der SPD. So dauerte es zehn Jahre bis zum fertigen Bauwerk. Und selbst dann traute sich die Politik ja nicht mehr, meinen kompletten Entwurf zu bauen. Das Museum, das Haus der Jugend, die Bibliothek und die Musikschule, die ich alle im Forum unterbringen wollte, fielen weg.

Wie schwer war der Verzicht auf diese nicht unbedeutenden Teile des Entwurfes für Sie?

Der Verzicht auf diese anderen Funktionen war und ist nachteilig. Sie hätten sich gegenseitig gestützt und ergänzt, speziell in Bezug auf das Restaurant. Das habe ich damals auch allen Handelnden mitgeteilt. Ich habe immer wieder gesagt: „Ihr müsst diese einmalige Konstellation eines Kulturzentrums nutzen. Das gibt es sonst nirgendwo. In allen anderen Städten sind diese Institutionen verstreut.“ Überhaupt hatte mich die isolierte, von Bahn und Straßen eingezwängte Lage des Forums, ja sehr lange und intensiv beschäftigt. Meine Planungen zielten ja ursprünglich auf ein Publikum ab, das schnell vorbeigeht, beziehungsweise die Gelegenheit hat, beim Besuch der City automatisch am Forum vorbeizukommen.

Diese Situation gibt es bis heute nicht.

Nein. Weil die Anbindung an die City so schlecht ist. Die Ypsilonbrücke war damals die einzige Verbindung. Und sie ist es ja quasi heute noch, weswegen das Forum auch bis heute unter dieser Verkehrsführung leidet.

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Welche Rolle nimmt das Forum in der Rangliste Ihrer Projekte als Architekt ein?

Das Forum ist schon mein Opus Magnum, mein Lebenswerk. Auch wenn es nur ein Fragment blieb. Und auch wenn es immer wieder bedroht war. Allein dass es unter Denkmalschutz gestellt wurde, war lange Zeit umstritten gewesen. Die Stadt hat dies immer abgelehnt. Das Argument: „Wenn das Forum unter Denkmalschutz steht, dann können wir damit ja nicht mehr machen, was wir wollen.“ In den Ämtern gab es später ohnehin immer wieder Personen, denen es völlig egal war, was wie verändert wurde. Wenn ich dann Einspruch erhob, hörte ich häufiger: „Ach so, da dürfen wir gar nicht so ohne Weiteres ran? Da müssen wir erst Sie fragen?“ Erst seit einigen Jahren ist das Forum geschützt. Wobei ich – unabhängig vom Denkmalschutz – als Architekt ohnehin ein Recht darauf habe, alle Veränderungen und Verunstaltungen am Gebäude, die mir nicht passen, zu verhindern.

Verunstaltungen?

Ja. Da ist eine dauernde, die mich seit jeher ärgert: Es gibt ja im Forum diese zentrale Treppe, die ein – das muss man so sagen – geometrisches Kunstwerk ist. Aber ausgerechnet vor dieser Treppe, unten im Garderoben-Foyer, steht nun unablässig dieser blecherne Bierausschank. Über den habe immer wieder gesagt: „Das Ding muss weg! Diese Treppe ist ein Kunstwerk. Das kann man nicht mit so etwas zustellen.“ Aber genützt hat es bislang nicht. Darüber hinaus wurden früher mehrfach Anstriche im Haus verändert. Oder der Terrassensaal wurde zugehängt, so dass kein Licht mehr hinein kam.

Aber: Als Marion Grundmann als Leiterin der städtischen Kultur 2000 nach Leverkusen kam und sich sofort begeistert zeigte vom Forum, kehrte eine neue Ägide ein. Wir hatten engen Kontakt. Und ich werde seitdem stets gerufen, wenn etwas am Hause verändert werden soll. So wie es sein sollte. Denn es lässt sich ja über alles reden und für alles eine Lösung finden. Veränderungen sind mit mir durchaus zu machen und möglich, denn ein Haus wie dieses ist auch Leben. Das weiß auch ich. Es muss nur der besondere Charakter des Baus gewahrt werden.

Einen besonderen Charakter hat vor allem der große Saal.

Ja. Weil er auch eine ganz eigene Entwicklungsgeschichte hat, denn: Er ist ja ein Mehrzwecksaal für alle möglichen Arten von Veranstaltungen – was von Beginn an Probleme bezüglich der Akustik aufwarf. Um die zu beheben, hörte ich mich um – und fand in Göttingen einen Professor für Unterwasserakustik, der auch Raumakustik machte. Ich sprach ihn an und schilderte ihm mein Anliegen. Und daraufhin ließ er von uns ein Modell des Saales im Maßstab eins zu 50 erstellen. In dieses Modell baute er in die Bühne eine Art kleiner Zündkerzen ein. Und dann machte er mit Computertechnik mehrere Aufnahmen von deren Knallen und Knacken, um beispielsweise festzustellen: Wie hört sich das Geräusch in Reihe drei auf Platz XY an, wenn es von vorne kommt? Wie hört sich das bei einem Symphoniekonzert, beim Auftritt eines Kammerorchesters, bei einem kleinen Theaterstück an? Und: Wie verhält es sich mit Echos und Nachhall? Das gefiel auch den Verantwortlichen. Und daher haben wir dann den Raum mit Schalldämpfungen sowie den unregelmäßig gestalteten, violetten Wänden ausgestattet. Dadurch wird ein Flatter-Echo zwischen den parallelen Wänden verhindert. Der Schall fliegt nicht mehr hin und her. Dieses Prozedere wurde übrigens auch in Hamburg bei der Elbphilharmonie angewendet – nur um ein Vielfaches teurer.

Heutzutage sorgt Leverkusen vor allem für negative Schlagzeilen: Es geht um Nothaushalt, Steuerdumping, die drohende Schließung des Museums. Machen Sie sich Sorgen um die Stadt – und um Ihr Forum?

Natürlich mache ich mir Sorgen. Das alles ist eben unter anderem eine Folge davon, dass Kultur hierzulande nicht mehr zu den Pflichtausgaben für die Kommunen gehört und den Kommunen ohnehin immer mehr aufgebrummt wird vom Bund. Ich bin zumindest erstmal froh, dass das Forum unter Denkmalschutz steht. Wobei ja auch das nicht zwangsläufig etwas heißen muss: Das Hallenbad Bismarckstraße stand ja auch einmal unter Denkmalschutz. Und das stammte auch von mir. Aber irgendwer kam irgendwann und sagte: „Wir brauchen kein Sport-Bad mehr. Wir brauchen ein Spaßbad.“ Der Stadtrat suchte damals Kontakt zum damaligen Bauminister und obersten Denkmalschützer Michael Vesper, von dem bekannt war, dass er nicht viel Interesse an Baukultur hat. Und all das zeigte mir: Gegen einen Abriss bin auch ich als Autor, als Urheber eines Gebäudes machtlos.

Welche besonders kuriose Episode fällt Ihnen ein, wenn Sie auf die lange Geschichte des Forums zurückblicken?

Vor allem diese: Eines Tages erhielt ich einen Anruf. An einem ersten April. Von einem Theateragenten aus München. Der fragte mich: „Hätten Sie nicht Lust, in Kiew ein Theater zu bauen?“ Ich antwortete erstmal: „Danke für diesen schönen Aprilscherz.“ Aber er stellte gleich klar: „Nein, nein. Ich meine es ernst. Es gibt in Kiew einen Opernhausdirektor, der vor einiger Zeit im Forum mit seiner Truppe eine Aufführung hatte und möchte das nun auch in Kiew haben.“ Ich reiste mit meiner Frau dann auch tatsächlich nach Kiew. Wir wurden empfangen. Wir fuhren mit dem Schiff auf dem Dnjepr hin und her und besichtigten das entsprechende Grundstück und konnten sehen: Die meinen es ernst! Das war gedacht als riesiges Projekt! Eine ukrainische Delegation kam später auch nach Leverkusen. Das waren alles sehr bewegende Begegnungen. Leider fanden sich aber keine Geldgeber bei uns, die für diesen Bau jedoch nötig gewesen wären. Firmen wie etwa Siemens, die ich damals kontaktierte, war all das noch zu früh. Sie wollten erstmal abwarten, was sich nach Glasnost so tut. Zudem gab es in der Ukraine dann politisch einen Rückschlag, der eher in Richtung sowjetischer Zeit ging. Der Operndirektor wurde abgesetzt. Seine progressive Gruppe trat ab. Das war leider das Ende unserer Beziehungen.

Abschließend noch eine Frage an den wissenden Architekten: Warum sieht man im Forum eigentlich überall ein Sechseck?

Ganz einfach: Mein damaliger Partner in Essen, Eckhard Schulze-Fielitz, hatte sich immer intensiv mit Geometrie beschäftigt – und hatte damals vor der Sache mit dem Forum an einem Wettbewerb für das Opernhaus in Essen teilgenommen, bei dem er einen auf der Struktur des Sechsecks basierenden Entwurf einreichte. Den Wettbewerb gewann dann zwar Alvar Aalto. Aber ich war begeistert von diesem Entwurf. Denn ich merkte: Ein Sechseck lässt einem als Architekt mehr Möglichkeiten als etwa das klassische Rechteck. Mit diesem Raster kommt man besser um Ecken, als mit dem starren Rechtecks-Raster. Man muss dafür noch nicht einmal die geometrische Ordnung verlassen.

Das Gespräch führte Frank Weiffen

Ein Leben als Soldat, Lehrling und Architekt

Der Architekt des Forums, Ulrich S. von Altenstadt, wurde 1928 in Insterburg (Ostpreußen) geboren. Er erlebte den Zweiten Weltkrieg als Flakhelfer und Soldat mit. Nach dem Krieg absolvierte er eine Lehre als Holzschnitzer, Zimmermann und Drucker, studierte von 1948 bis 1953 Architektur in Aachen an der RWTH (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule ) und schloss dieses Studium 1953 mit Diplom ab.1955 gründete er eine Bürogemeinschaft mit den Architekten Eckhard Schulze-Fielitz und Ernst von Rudloff in Essen. 1958 eröffnete er dort sein erstes eigenes Büro, gewann in der Folgezeit mehrere Wettbewerbe ( unter anderem den für das Forum) und ließ sich 1968 schließlich als Architekt in Leverkusen nieder. Ulrich S. Von Altenstadt war Preisrichter im Bund Deutscher Architekten und in der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen, Stadtplaner in Leipzig und Mitglied des Gestaltungsbeirates in Halle/Saale. Er hat drei Kinder und zwei Stiefkinder und lebt heute in Münster (Quelle: NRW-Architekturdatenbank). (frw)

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