Die Welt-Sensation fährt weiter

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Dirk Loof hat jetzt die Schlüssel für ein Auto, das es nur zweimal gibt. Chassis und Karosserie des K 67 sind komplett aus Kunststoff.

Dirk Loof hat jetzt die Schlüssel für ein Auto, das es nur zweimal gibt. Chassis und Karosserie des K 67 sind komplett aus Kunststoff.

  • Das einzige je gebaute Vollkunststoff-Auto steht in einer Garage im Chempark - Ganz selten ist der K 67 auf der Straße

Drei Fertiggaragen, eingeklemmt zwischen Produktionsgebäuden im Covestro-Sektor des Chempark. Hans-Peter Neuwald schickt seinen Nachfolger in die Pfütze um aufzuschließen. Nächstes Jahr wird Dirk Loof das Unikum betreuen. Man könnte auch sagen: den Schatz. Das Tor schwingt hoch, die Sonne geht auf. Der K 67 leuchtet in strahlendem Orange. So ein Auto hat man ja noch nie gesehen - es sei denn, man ist dem Gerät auf einer der seltenen Ausfahrten begegnet. Gelegentlich hat Neuwald das Auto bewegt - "sonst gibt es Standschäden". Da ist das einzige Vollkunststoff-Auto der Welt auch nicht anders als andere.

Vor 50 Jahren wurde der Wagen auf die Straße gebracht. Sein Name: K 67. So hieß auch damals schon die Kunststoffmesse und si steht es auch auf dem Nummernschild, inzwischen ergänzt durch ein H - historisches Fahrzeug. Kann man wohl sagen. Denn auf der Herstellerplakette im Motorraum ist Einzigartiges eingeschlagen: F.F. Bayer AG. Wobei F.F. für Farbenfabriken steht. Ein Auto von Bayer.

Die Farbe - RAL 2000 übrigens - ist nicht das Besondere. Sondern die Konstruktion. Bayer hat vor fünf Jahrzehnten bewiesen, dass man kein Metall braucht, um ein Auto zu bauen. Auch die Bodengruppe kann man aus Kunststoff herstellen: eine Sensation, wenn man bedenkt, welch unterschiedlichen Belastungen ein Autochassis ausgesetzt ist. Deshalb beließen es andere Hersteller auch bei Karosserien aus Kunststoff. Renaults Flunder Alpine 110 hat eine Plastik-Karosse, die Corvette von Chevrolet. Und - ja - auch der Trabbi, trotz des Spitznamens Rennpappe.

Einzigartig: Die Farbenfabriken Bayer AG als Hersteller eines Autos. Die Bodengruppe wiegt nur 170 Kilogramm.

Einzigartig: Die Farbenfabriken Bayer AG als Hersteller eines Autos. Die Bodengruppe wiegt nur 170 Kilogramm.

In Leverkusen wollte man aber beweisen, dass alles geht. Anfang der 60er-Jahre fanden sich in den Vorständen von Bayer und BMW zwei Gleichgesinnte. Während die treibende Kraft bei Bayer im Dunkel der Konzerngeschichte verschwunden ist, lässt sich bei BMW der Motor des Projekts leicht ermitteln: "Nischen-Paule". Paul G. Hahnemann, Vertriebsvorstand von BMW, machte mit seiner Kunststoff-Vision seinem Namen alle Ehre: Das Bayer-Auto wurde fünfmal gebaut. Hahnemann schwebte ein Fahrzeug vor, das ganz leicht sein und bis dahin unbekannte Sicherheit bieten sollte. Etwa mit einem geschäumten Armaturenbrett. Was heute völlig selbstverständlich ist, musste damals erst mal erdacht werden. Und ausprobiert.

Wie wichtig das war, betonen Hans-Peter Neuwald und Dirk Loof immer wieder. "Bauen, Ausprobieren, Wegschmeißen hieß die Methode - Trial and Error", sagt Neuwald. Von zerstörungsfreier Materialprüfung war man weit entfernt, "es gab ja keine Computer-Simulationen", erklärt Loof.

Ein Team von rund 50 Leuten brauchte rund drei Jahre, bis sich herauskristallisiert hatte, wie man Kunststoff-Auto bauen muss. Für das Chassis verwendeten die Bayer-Leute Epoxidharz und glasfaserverstärktes Material. Eine feste Hülle wurde ausgeschäumt. Sandwich-Bauweise also. Motorhaube und Kotflügel sind aus verstärktem Polyurethan, und für den Tank mussten sich die Konstrukteure wieder etwas Anderes einfallen lassen. Die Wahl fiel auf gegossenes Polyamid.

Vorne Talbot-Spiegel mit integrierten Blinkern (links), hinten BMW-Leuchten. Die Bayern lieferten auch den Antrieb des wegweisenden Autos.

Vorne Talbot-Spiegel mit integrierten Blinkern (links), hinten BMW-Leuchten. Die Bayern lieferten auch den Antrieb des wegweisenden Autos.

In der Konstruktionsphase wurden drei Kunststoff-Autos "gecrasht", berichtet Neuwald. Zwei blieben übrig: Eins kam nach München ins Deutsche Museum, das andere ist als Bayer-Erbe inzwischen zu Covestro übergegangen. Und fährt. Die Antriebstechnik stammt von BMW, auch die Leuchten erinnern an den damals aktuellen BMW 2000, natürlich in der stärksten Version. Die 120 PS der Zweiliter-Maschine machen das Auto locker 170 Stundenkilometer schnell. Kein Wunder, bei 850 Kilogramm Leergewicht. "Die wollen Sie aber nicht fahren", sagt Neuwald. Nicht, dass er sich unsicher fühlen würde in der Kunststoff-Kiste. Aber der Fahrkomfort ist doch auf dem Niveau der späten Sechziger. Außerdem ist das Auto sehr frontlastig. So sehr, dass man Batterie und Ersatzrad ins Heck verfrachtete. Von einem Kofferraum möchte man bei dem schnittigen Renner lieber nicht reden. Erst recht nicht, weil die kleine Klappe nicht besonders weit zu öffnen ist. Eine Sache der Statik. Denn die tolle, gewölbte Heckscheibe trägt nicht zur Stabilität des Autos bei: Die ist ja auch aus Glas. Ein Werkstoff, der damals für Bayer und heute für Covestro nur insofern interessant ist, als es ihn zu ersetzen gilt.

Und wer sollte ein derart aufregend gedachtes Auto formen? Da kam natürlich nur jemand aus der ersten Reihe des Designs in Frage. Hans Gugelot hat mit dem großen Dieter Rams für Braun gearbeitet und unter anderem den berühmten "Schneewittchensarg" gezeichnet, die Radio-Plattenspieler-Kombination Phonosuper SK 4. Oder den Rasierer Sixtant. Alles Ikonen des Industriedesigns. Den großen Auftritt des Kunststoff-Autos auf der Messe 1967 hat Hans Gugelot nicht mehr erlebt: Er starb 1965 an einem Herzinfarkt. Den K 67 zu zeichnen war eines seiner letzten Projekte.

Für die Linienführung des Unikums begeistert sich Dirk Loof nicht weniger als Hans-Peter Neuwald. Der geht jetzt in den Ruhestand. Er weiß, dass der Garagenschlüssel in guten Händen ist, der K 67 weiter lebt. Und fährt.

Vorne Talbot-Spiegel mit integrierten Blinkern (links), hinten BMW-Leuchten. Die Bayern lieferten auch den Antrieb des wegweisenden Autos.

Vorne Talbot-Spiegel mit integrierten Blinkern (links), hinten BMW-Leuchten. Die Bayern lieferten auch den Antrieb des wegweisenden Autos.

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