Feinstaub in LeverkusenPrivate Messstationen widersprechen amtlichen Ergebnissen

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Einen der 40 privaten Feinstaubsensoren in Kunststoffröhren betreibt Peter Schmidt auf seinem Balkon.

Einen der 40 privaten Feinstaubsensoren in Kunststoffröhren betreibt Peter Schmidt auf seinem Balkon.

  • Privat betriebene Messstationen widersprechen amtlichen Ergebnissen - Spitzenwerte nach dem Silvester-Feuerwerk

Leverkusen – Für die Stadtverwaltung gibt es in Leverkusen kein Feinstaubproblem. Folgerichtig steht das Wort "Feinstaub" nicht ein einziges Mal im kürzlich vorgestellten Maßnahmenkatalog zur Luftreinhaltung in den kommenden Jahren. Die Begründung: An beiden offiziellen Messstellen in der Stadt würden die Grenzwerte relativ selten überschritten. Aber es gibt Fachleute, die sehr wohl eine Gefahr im Feinstaub sehen. Und privat erhobene Daten zeigen, dass die Verwaltung mit ihrer Einschätzung ziemlich daneben liegen könnte.

Seit diesem Jahr gibt es ein Messnetz aus privat betriebenen Feinstaubsensoren. Mittlerweile hängen an etwa 40 Häusern, verteilt auf fast alle Stadtteile, gebogene graue Rohre, deren elektronische Bauteile automatisiert ständig aktuelle Werte auf eine Karte der Internetseite levmussleben.eu hochladen. Einige Werte an den windstillen und vernieselten, aber extrem verkehrsreichen vier Tagen vor Heiligabend ließen manchem Betrachter die Haare zu Berge stehen.

Extreme Differenzen

Der Lungenfacharzt Norbert Mülleneisen schrieb am 21. Dezember: "Schauen Sie mal auf die Feinstaubkarte. Was auffällt, sind die starken Unterschiede zwischen grünen und dunkelroten Messstellen. Das bedeutet, es gibt erhebliche Unterschiede (zwischen den Luftwerten innerhalb der Stadt, d. Red.). Und die Stadt bzw. das Land messen nur an zwei Stellen in Leverkusen und meinen, damit könnte man die ganze Stadt sicher beurteilen. Das ist sicher Quatsch."

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Erhebliche Überschreitungen in der Zeit vor Weihnachten beschrieb auch Eberhard Ritter, Lehrer an der Realschule im Stadtpark, wo er mit einer Gruppe Schülern eine Messstelle eingerichtet hat, deren Werte er und seine Schüler online unter Beobachtung haben. Auch wenn die Geräte nicht geeicht sind: Die Gruppe pinnt die aktuellen Luftschadstoff-Grafiken regelmäßig ans Schwarze Brett, damit Schüler und Lehrer informiert werden.

In tiefem Dunkelrot, also mit extremen Werten von über 200 µg, fielen besonders die Ergebnisse der privaten Messstellen in Küppersteg nahe am Leverkusener Autobahnkreuz auf. Aber auch eine Messanlage an der Realschule am Stadtpark in Wiesdorf zeigte einen über Tage anhaltenden Ausschlag von deutlich über 100 µg an. Andere, weiter entfernte Sensorenwerte hielten sich in Grenzen: Ihre Farbe zeigt dann Grün auf der Internetkarte. Die amtliche Messung an der Gustav-Heinemann-Straße zeigte auch hohe Werte, aber nicht in "Peking-Qualität"; sie blieben im Vergleichszeitraum stets knapp unter 50 µg.

Werte nicht gerichtsfest

Wer den privaten Messröhrchen Fehler unterstellen will, kann das tun, denn die Geräte sind nicht geeicht, ihre Werte sind nicht gerichtsfest, und bei hoher Luftfeuchte, wie vor Weihnachten, geben die Bürger-Geräte wohl auch erhöhte Zahlen aus. Aber: Laut "Lev muss leben"-Vorsitzendem Horst Müller bindet die Stadt Stuttgart das inzwischen bundesweite Bürger-Messnetz in ihre Entscheidungen ein; die Leverkusener Politik hat ein ähnliches Vorgehen mehrheitlich abgelehnt. Der Antrag kam von der Bürgerliste.

Dabei könnte die Staub-Suppe von vor Weihnachten ein Nichts sein gegen die Feinstaubbelastung durch das Feuerwerk, die ab der ersten Minute im neuen Jahr wie das Amen in der Kirche in exorbitante Höhen schnellen wird. Karl Lauterbach, Bundestagsabgeordneter für Leverkusen und Gesundheitsexperte der SPD, manchmal geschmäht als Gesundheitsapostel, war sich noch nie zu schade, eine Spielverderber-Position einzunehmen. Am Telefon sagte er: "Ich werde mir das Feuerwerk wohl hinter verschlossenen Fenstern ansehen. Denn im Gegensatz zum Alkohol, den ich in Form von gutem Wein ausgiebig trinken werde, baut mein Körper nämlich den Feinstaub nicht ab."

Die Zahlen vom letzten Neujahrstag zeigen, dass die Belastung je nach Windstärke und Wetterlage lange anhalten kann: Der Saugrüssel des offiziellen Messcontainers an der Gustav-Heinemann-Straße sog in den Stunden nach dem Feuerwerk Luft ein, deren Feinstaubgehalt bis 23 Uhr des Neujahrstags extrem bis über 100 µg anschwoll. Erst am 2. Januar 2017 um 8 Uhr morgens wurde der nach Expertenmeinung eh zu hoch angesetzte Grenzwert von 50 µg in Manfort erstmals wieder unterschritten.

Für Lauterbach, der nach wie vor für die Verlegung der Autobahnen in Tunnel kämpft, ist das ein Hinweis. Darauf nämlich, dass der Schadstoff - egal ob er aus einem Böller oder aus einem Auspuff stammt - wie unter einer Glocke über Tage in der Leverkusener Luft schweben kann und über lange Zeitspannen eingeatmet wird. www.levmussleben.eu

Freiwillige gesucht

Das mittlerweile bundesweite Feinstaub-Bürgermessnetz ist eine Erfindung des Stuttgarter "OK-Lab" (Open-Knowledge-Labor). Die etwa 40 privaten Leverkusener Feinstaub-Messsonden geben ihre Daten automantisch auf die Internetseite http://luftdaten.info. In Leverkusen kümmert sich die Bürgerinitiative "Lev muss Leben" um das Netz, man sucht noch weitere Freiwillige, die für knapp 40 Euro eine Messstation einrichten. Voraussetzung ist ein Wlan. http://levmussleben.eu

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