Kriminelle Clans in NRWWie die Leverkusener Al-Zeins ihre Opfer mundtot machen

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Leverkusen Clan Villa Razzia

Polizisten sichern den Einsatz in der Leverkusener Clan-Villa im Juni 2021.

  • Schutzgelderpressung, Überfälle, Entführungen, Geldwäsche, Sozialleistungsbetrug - nach der Razzia und Verhaftung führender Köpfe des libanesischen Al-Zein-Clans haben die Ermittler neue Erkenntnisse.
  • Ein internationales Verbrechersyndikat geht seit Jahrzehnten vom Rhein aus seinen illegalen Geschäften nach.
  • Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ begibt sich in einer Serie auf Spurensuche.

Leverkusen/Köln – Diese Geschichte handelt von der Macht des libanesischen Al-Zein-Clans. Von einem Einfluss, der selbst vor Gerichtssälen nicht Halt macht. Diese Geschichte zeigt, wie hilflos die Justiz zuweilen den kriminellen Machenschaften eines der größten Familiensyndikate der Republik gegenübersteht. Der Plot ist simpel: Es geht um die Bedrohung von Zeugen, die sich anschließend interessanterweise an nichts mehr erinnern können. Es geht um Schweigegeld. Am Ende stehen Freisprüche, weil alle belastenden Aussagen zurückgenommen werden.

All das ereignete sich im Herbst 2019 während eines Strafprozesses. Verhandelt wurde ein Überfall auf das Café „Olympia Grill“ in Essen knapp zwei Jahre zuvor. 26 Mitglieder der arabischen Großfamilie sollen an einem Dezemberabend den Olympia-Wirt überfallen haben. Gleich mehrfach sauste ein Schlagstock nieder.

„Schlag ihn auf den Kopf, damit er stirbt“, soll einer der Tatverdächtigen laut Anklage gerufen haben. Das Opfer erlitt durch Schüsse aus einer Gaspistole eine Schädelprellung. Zugleich zerstörten die Angreifer das Mobiliar der Gastwirtschaft.

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Schutzgeldforderung über 5000 Euro

Als mutmaßlicher Anführer der Truppe stand Badia Al-Zein seit September 2019 vor dem Essener Schöffengericht. Der Clan-Chef aus Leverkusen soll mit einer Pistole bewaffnet gewesen sein. Der Anklage zufolge soll der Hartz-IV-Empfänger von dem Lokalbetreiber 5000 Euro Schutzgeld eingefordert haben.

Eine Art Schadenersatz, weil der Café-Besitzer für eine Silvesterfeier einen irakischen Sänger gebucht hatte, den ein Bekannter der Al-Zein-Familie ebenfalls für sein Fest einkaufen wollte. Als der Olympia-Wirt nicht zahlte, erfolgte die Strafaktion.

Badia Al-Zein zählt nicht nur zur Spitze des hierzulande auf 3000 Mitglieder geschätzten libanesischen Clans. Der Leverkusener Bandenchef fungierte nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft auch als eine Art „Friedensrichter“ und verdonnerte diejenigen zur Zahlung von Strafen, die sich gegen das Al-Zein-Syndikat auflehnten. Diesmal traf es den Olympia-Wirt.

 „Pumpgun-Bilal“ auf der Anklagebank

Im September 2019 saßen neben dem Leverkusener Chef führende Essener Clanmitglieder wie Bilal H. auf der Anklagebank. In der Szene nennt man ihn „Pumpgun-Bilal“. Bei dem Sturm auf das Café soll er ein Messer und eine Pistole getragen haben. Die Ankläger stützten sich damals auf ein Dutzend Zeugen.

Vor allem der attackierte Wirt hatte bei der Polizei die Angeschuldigten schwer belastet. Im Prozess aber widerrief der Überfallene seine Aussagen. Die anderen elf Zeugen erschienen erst gar nicht vor Gericht. Der Prozess endete mit Freisprüchen.

Lange blieb im Dunkeln, warum das Opfer der Attacke im Zeugenstand die überraschende Kehrtwende vollzog. Recherchen dieser Zeitung liefern nun Antworten.

Sozialleistungsbetrug, Geldwäsche, illegales Glücksspiel

Etwa zur gleichen Zeit als der Prozess lief, hatten die Polizei und die landesweite Zentralstelle gegen die Organisierte Kriminalität (OK) bei der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft einen neuen Komplex eröffnet. Dabei ging es um Sozialleistungsbetrug von gut 400.000 Euro sowie Geldwäsche, illegales Glücksspiel und eine Reihe weiterer Straftaten.

Im Blickfeld stand ebenfalls der Leverkusener Clan-Chef Badia Al-Zein und seine Familie. Knapp zwei Jahre später wanderte er in Untersuchungshaft.

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Die abgehörten Telefonate der Verdächtigen zeichnen das Bild einer kriminellen Vereinigung, die seit Jahrzehnten von Leverkusen aus international operierte. Und so wurde die Ermittlungskommission (EK) Panda der Düsseldorfer Polizei Zeuge, wie Badia Al-Zein und weitere Clan-Chefs den Prozessverlauf um den Sturm auf den „Olympia Grill“ zu ihren Gunsten manipuliert haben sollen.

Bereits kurz nach dem Überfall starteten die mutmaßlichen Angreifer per WhatsApp mit ersten Drohungen. Den Wirt werde es in Essen nicht mehr geben, denn nur der Clan habe in der Stadt das Sagen, hieß es.

„Schlampenbruder“ habe es sich anders überlegt

Seit dem 19. September 2019 registrierten die Ermittler laut einem Vermerk 46 Telefonate in der Causa „Olympia Grill“. Die Gespräche legen den Verdacht nahe, dass der Leverkusener Chef sowie Clan-Oberhaupt Mahmoud Uca, genannt El Presidente, den überfallenen Lokalbetreiber derart eingeschüchtert hatten, dass dieser seine belastenden Vernehmungen bei der Polizei im Gerichtssaal widerrief.

Mit Blick auf den Kronzeugen ist vom „Schlampenbruder“ die Rede, der es sich nun anders überlegt habe. Badia Al-Zein bemerkte hierzu: Wenn der Café-Besitzer vor dem Richter bekunde, dass er nicht wisse, wer ihn geschlagen habe, sei das Thema erledigt.

Aus dem weiteren Gespräch ging hervor, dass sich auch der Oberboss „El Presidente“ massiv einmischte. Er soll auf den Olympia-Wirt eingewirkt haben. Sein Ziel: Der Wirt sollte nicht erzählen, dass ein hochrangiges Familienmitglied aus Essen bei der Attacke eine Pistole getragen habe.

25.000 Euro Bestechungsgeld für den Wirt

Ende September belauschten die Strafverfolger eine weitere brisante Unterhaltung: Der Chef der Leverkusener Großfamilie sollte 25.000  Euro zahlen, „damit der Eine“ auf seine Aussage verzichte und Badia Al-Zein nicht verurteilt werde. Bei dem Einen handelte es sich um den Olympia-Lokalbesitzer und Hauptbelastungszeugen. Er sollte das Schweigegeld erhalten. Offenbar setzten die Clan-Bosse auf eine Misch-Strategie: Zuckerbrot und Peitsche.

Mal drohte das Familiensyndikat mit Gewalt, mal offerierte man finanzielle Anreize. Die Taktik verfing. Anfang Oktober 2019 wurden die Verfahren gegen Badia Al-Zein und einen Großteil der Angeklagten gegen Zahlung einer Geldauflage von 500 Euro eingestellt.

Kompromittierendes Video unterdrückt

Nur noch einer aus der mutmaßlichen Angreifertruppe musste sich weiter im Prozess verantworten. Er soll auf den Wirt geschossen haben. Aber auch für ihn fanden die Al-Zeins eine Lösung: El Presidente persönlich soll ein Treffen von Clan-Größen mit dem geschädigten Olympia-Wirt im Düsseldorfer Hotel Nikko Anfang November 2019 arrangiert haben.

Die EK Panda geht davon aus, dass der Olympia-Besitzer bei der Zusammenkunft nochmals massiv bedroht wurde. Die Al-Zein-Anführer sollen bei dieser Gelegenheit außerdem ein weiteres kompromittierendes Beweismittel unterdrückt haben. Ein belastendes Video aus einer Überwachungskamera zum Überfall sollte die Justiz nie erreichen.

Das Drohszenario aus dem Hotelmeeting führte zum Erfolg: Auch der letzte Angeklagte aus dem Sturmkommando auf das Café „Olympia Grill“ wurde im Dezember freigesprochen. Leutselig übermittelte er dem Leverkusener Clan-Chef per Handy die gute Nachricht aus der Hauptverhandlung.

Der Olympia-Wirt habe im Zeugenstand alles zurückgenommen, berichtete das freigesprochene Clan-Mitglied. Demnach seien die Al-Zeins die beste Familie überhaupt. Danach schallte lautes Gelächter durch den Hörer.  

Opfer mussten büßen

In ihrem schriftlichen Resümee zu den Geschehnissen folgern die Kriminalbeamten, dass die Oberhäupter des Familiensyndikats „durch Bedrohung und Einschüchterung es schaffen, Zeugenaussagen zu ihren Gunsten abzuändern und so einer Verurteilung entkommen“.

Aus Sicht der EK Panda handelt es sich um ein typisches Vorgehen: Wer seine Strafe nicht an den Al-Zein-Clan begleiche, müsse mit einem „Hausbesuch rechnen und mit seiner körperlichen Unversehrtheit dafür büßen“.

Zugleich kritisierten die Ermittler das Urteil. Die Angeklagten seien beinahe gänzlich „ungeschoren davongekommen, dabei konnten sie mit dem Überfall auf das Café ihre Machtposition und Stärke demonstrieren“. Nach Einschätzung der Kriminalbeamten sendete der Richterspruch ein fatales Signal: Clan-Kriminelle könnten bei potenziell weiteren Erpressungshandlungen „einen hohen Nutzen bei minimalem Risiko einkalkulieren“.

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