Folgen des HochwassersTränen, Frust und Hoffnung in Leichlingen

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Alle Hände voll zu tun haben die Fachkräfte der Telekom. Noch immer sind einige Haushalte ohne Netz. 

Leichlingen – „Das Leben geht weiter.“ Obwohl alle Maschinen kaputt sind. Obwohl der Boden, die Wände, die Decke raus muss. Obwohl die Kundschaft vorübergehend ausbleibt. Aber Orhan Ilhan, seit zwanzig Jahren Schneidermeister, bleibt optimistisch. Sein Textilpflege-Geschäft ist in den Arkaden der Marktstraße, also direkt an der Wupper. Nun durchleidet Ilhan den dritten Wasserschaden in drei Jahren. „Ich bin jetzt auch fast Sachverständiger“, sagt Ilhan ironisch und nimmt die Misere mit Humor.

2018 war es das Regenwasser, vermischt mit Schlamm, das aus höheren Lagen kommend in seine Räume lief. Im vergangenen Jahr verursachte ein Rohrbruch von oben die Überschwemmung. Und dieses Mal kam es von einer dritten Seite: die Wupper floss auf einmal durch sein Ladenlokal. Dabei waren die vielen Nähmaschinen und Reinigungsanlagen erst neu gekauft. „Ich habe viel geweint, aber ich will nicht noch mehr weinen“, sagt der Vater von drei Kindern. Seine Textilpflege möchte Orhan Ilhan schnellstmöglich wieder öffnen, in sechs Monaten soll es so weit sein.

Die gesamten Arkadengeschäfte sind ausgeräumt und statt Kundschaft tummeln sich nun die Handwerker. Der Zeitschriftenladen wird gar nicht mehr öffnen. Im Bungalow des Friseurs Creazioni stehen fast nur noch die gläsernen Schaufenster. Quasi Amtshilfe leistet hier der Salon Jennessen in der Gartenstraße. Die nicht vom Hochwasser betroffene Konkurrenz wurde zu Kollegen und Kolleginnen, denn sie bieten Creazioni einen Stuhl in ihrem Salon an, um weiter frisieren zu können.

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„Alles muss raus“, hört man auch immer wieder in der Brückenstraße. Noch immer getrennt durch die gesperrte Marly-Brücke ist der tiefer gelegene Bereich auf der Sparkassen-Seite stark vom Hochwasser betroffen. Der Kiosk hat schon wieder auf, nebenan stehen noch die verschlammten Teedosen im Schaufenster. In den kommenden Wochen soll hier stattdessen Eis verkauft werden, heißt es aus der Nachbarschaft. Eine Eisdiele zieht hier angeblich ein.

Wasser stand im Erdgeschoss

Den Elektrohändler Fiebrandt hat es doppelt schlimm getroffen. „Bis auf 1,50 Meter ist alles abgesoffen“, erzählt Dirk Fiebrandt über die Verkaufsfläche im Erdgeschoss. Das größere Problem fand er im Keller vor, wo die Ölheizung ausgelaufen war. Eine Spezialfirma hat ihn gereinigt. Alles weitere plant der Leichlinger Unternehmer bei laufendem Betrieb, er hat nämlich schon wieder auf. Ein fünf mal fünf Meter großer Bereich ist wieder betretbar für Kunden. Und die kommen, denn zum Beispiel neue Waschmaschinen werden in der Stadt dringend gebraucht. 

Das Haarstudio N auf der Ecke am Kreisverkehr bedankt sich nur noch für die Treue per Schild im Fenster und verkündet das endgültige Aus. Neue Pläne werden jedoch gegenüber geschmiedet. Dort betrat Architekt Timo Bertrams den Bergischen Hof. Die Traditionsgaststätte war ebenfalls vor drei Jahren vollgelaufen, nun stand das Wasser 1,20 Meter hoch. Der Boden ist teilweise rausgerissen, Rohre und Leitungen ragen in den leeren Raum. Das Gebälk der Wände trocknet langsam. Jetzt wird modernisiert. Weihnachten soll hier der Ausschank wieder laufen und warmes Essen aus der Küche getragen werden.

Auf der nächsten Ecke des Kreisverkehrs hatte nur eine Woche nach der Flut die Montanus-Apotheke wieder auf. So schnell sei das nur im Team gegangen, erzählt eine pharmazeutisch-technische Assistentin. Mit Hochdruckreinigern, Lappen und vereinten Kräften habe die Belegschaft von morgens bis abends geputzt, um „provisorisch zu öffnen“. Für sie ist es wichtig, dass die Versorgung mit Medikamenten auch in Krisenzeiten sichergestellt ist.

Auch in der Gartenstraße hat das Wasser eine zerstörte Geschäftsmeile zurückgelassen. Trotz des um mehrere Stufen erhöhten Bürgersteigs, standen die Restaurants und Läden im Schlamm. Ihre Keller und Tiefgaragen sind bis unters Dach vollgelaufen, tagelang pumpten Fahrzeug des THW. Mittlerweile sind die Räume fast alle leer geräumt. Einzelne bunte Regenschirme sind in einem Schaufenster aufgespannt, wo sich sonst die Taschen und Schulrucksäcke gestapelt hatten. Es wirkt wie ein verzweifelter Versuch, die graue Leere zu füllen.

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