Tanztheater der Musikschule LeichlingenMit zitternden Beinen im Großstadt-Dschungel

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Yasmin Mika als Melina und Felix Wolf in der Rolle des Nick im Tanztheaterstück „Move“ der Musikschule Leichlingen.

Yasmin Mika als Melina und Felix Wolf in der Rolle des Nick im Tanztheaterstück „Move“ der Musikschule Leichlingen.

Leichlingen – Aufatmen: Die Kultur ist noch nicht verloren! „Seit März letzten Jahren haben wir versucht, eine Aufführung zu realisieren“, denkt Maximilian Zelzner, der Leiter der Musik-schule der Stadt Leichlingen, zurück, „da kam erst der Lockdown und beim zweiten Anlauf im Oktober das Wupperhochwasser.“

Nun war es aber soweit. Mit „Move!“ ist es Sabrina Wöhler, der Leiterin der Tanzabteilung, geglückt, aus der Not eine Tugend zu machen: „Der Tanzunterricht war auf Zoom-Videokonferenzen umgestellt.“ So haben alle Tänzerinnen – bei denen von vier bis 22 Jahren alle Alter vertreten sind – zu Hause vor dem Computer geprobt. „Daraus konnten wir ganz neue Ideen und Inspirationen schöpfen“, erklärt Wöhler, „die unsere Regisseurin Dagmar Rösch dann zu einer zusammenhängenden Tanzgeschichte gezaubert hat.“

Vorstellungen im Erholungshaus

Davon konnte man sich am Sonntag im Erholungshaus in Leverkusen überzeugen. Weil die heimische Aula Am Hammer seit der Flutkatastrophe nicht benutzt werden kann, hat das Leichlinger Ensemble im Theater der Bayer-Kulturabteilung in Wiesdorf ein Ausweichquartier gefunden.

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Die Handlung des Stücks: Die junge Melina, getanzt von Yasmin Mika, ist aus der Blütenstadt für ihr Journalismus-Studium in die schnelllebige fremde Großstadt umgezogen und braucht dringend ein WG-Zimmer. „Hier ist es cool, aber anstrengend“, sind ihre ersten Eindrücke und Erlebnisse. Mika tanzt schon seit der Gründung der Tanzabteilung vor 17 Jahren mit. „Move!“ ist die achte Produktion, an der sie mitwirkt. „Und das heißt nicht nur Tanzen, was die Tanzpädagogen sagen, sondern wirklich aktiv an den Choreographien mitwirken“, erklärt Zelzner.

Zoom als Notlösung und Inspiration

So wisse die 22-Jährige aber auch die Vorteile von Präsenzunterricht zu schätzen. Zoom sei für sie zwar nur eine Notlösung – aber immerhin eine Lösung: „Es ist ja klar, dass das Gemeinschaftserlebnis fehlt, wenn jede in ihrem Kinderzimmer ums Bett rum tanzt und womöglich noch irgendwo anstößt. Das hat sich eher angefühlt wie ein normales Video-Homeworkout.“

Wie es viele wohl aus der Corona-Zeit nachvollziehen können, fühlt sich Melina in dem Stück einsam und allein, denn neue Leute kennenzulernen ist gar nicht so einfach. Die „Beautiful people“ sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie sie gar nicht wahrnehmen. Sie versucht sich Yasmin Schichterich, die die Wohnungslose Jana verkörpert, anzunähern. Doch diese pflaumt sie an und zieht auch weiter. Melina beginnt also Tagebuch zu schreiben, nimmt ihr Schicksal in die Hand, besichtigt Wohngemeinschaften, schaut Disneys „Vaiana“ im Kino.

Dabei kann die Produktion jetzt vom Zoom-Unterricht profitieren. „Die Tänzerinnen hat das Raster, in dem man bei Zoom die Kamerabilder der Anderen sieht, an ein Hochhaus mit verschiedenen Wohnungen erinnert, in die man hereinsehen kann – damit haben wir gespielt“, erklärt Wöhler. So werden Video-Clips aus dem Lockdown auf die große Leinwand projiziert, die zusammen ein Hochhaus oder einen Kinofilm ergeben. Danach fährt die Leinwand hoch und die „Vaianas“ aus dem Film werden lebendig, das Erholungshaus wird zur Wasserkante am Meer.

Außerdem besucht Melina die Tiere im Zoo. „Die haben wir vorher schon getanzt, aber dann in den Zoom-Tanzstunden perfektioniert und weiterentwickelt“, so die zwölfjährige Josy. Melina wagt eine Reise ins Nachtleben. Kaum ist sie im hippen und coolen Tanz-Club „Reno“ angekommen, lernt sie bei einem Tango-Flirt Frauenschwarm Nick kennen.

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Er wird von Felix Wolf getanzt, der schon seit 15 Jahren dabei ist. Auch wenn er sich freuen würde, wenn sich mehr Jungs für sein Hobby begeistern könnten, stört es ihn nicht, dass er der einzige Mann im Ensemble ist.

„Kindergarten oder Straßengang?“, faucht Aleksandra Szelag, als Leaderin der Kelly-Gang. Entschlossen ertönt „Straßengang!“ in hohen Stimmen aus dem Off. Dann entert die Gang die Bühne und klaut Melina, die gerade glücklich ist, ihren wertvollsten Besitz. Die zehnjährige Maria ist stolz, Teil der bösen Kelly-Bande zu sein: „Das erste Mal die Bühne zu betreten war ein komisches Gefühl – alles so groß. Da haben am Anfang sogar meine Beine gezittert.“

Großes Drama

Ronja kann das gut nachvollziehen: „Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, zu tanzen und zu schauspielern. Das Gefühl, in eine andere Rolle zu schlüpfen, ist einfach unbeschreiblich“, so die Zwölfjährige. Milla ist froh, im Lockdown nicht gänzlich ohne Tanzen auskommen zu müssen: „Zum Glück gibt’s bei uns an der Schule DUG – das heißt Darstellen und Gestalten – so konnten wir zumindest ein wenig weiter tanzen.“

Den großen Wendepunkt „Homeless and Survivor“ zu tanzen, genießt Wolf jedes Mal am meisten. „Die Ausdrucksstärke, die Dramatik, die Kraft dahinter ist einmalig“, schwärmt er von dem Stück. Die Melodie von Destiny's Child rahmt das Stück perfekt ein. Was schon als ruhige Piano-Version im Hochhaus anfängt, gipfelt als starkes Tanztheater unter der Brücke. Am Ende bekommt Melina so Hilfe von unerwarteter Seite und zieht überraschend mit Gesichtern in eine WG, die für sie nicht unbekannt sind. Das ist lebensverändernd, lässt sie endlich in der großen Stadt ankommen – und nicht mehr einsam sein.

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