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Leverkusener PianistinFür Nina Gurol ist klar: Die Urgewalt der Musik schlägt den Tod

Lesezeit 5 Minuten
Ein Leben für die Musik – und Musik fürs Leben: Nina Gurol versucht, den Kern der Musik, das Menschliche, zu ergründen.

Ein Leben für die Musik – und Musik fürs Leben: Nina Gurol versucht, den Kern der Musik, das Menschliche, zu ergründen.

Leverkusen  – Wer ihre Wohnung betritt, der merkt sofort: Nina Gurol ist von Musik umgeben. Überall stehen Instrumente – im Zentrum, dem Wohnzimmer, als schwarzer Blickfänger ein Flügel, darauf ein aufgeschlagenes Notenheft.

Gerade einmal 24-jährig gilt die Leverkusenerin und ehemalige Schülerin der hiesigen Musikschule hierzulande schon als angehender Star an den Tasten. Längst gibt Nina Gurol Konzerte überall in der Republik und über deren Grenzen hinweg, am kommenden Wochenende etwa in Berlin. Kurzum: Sie trägt die Musik so oft es nur geht hinaus in die Welt, um den Menschen das Leben schöner zu machen.

Aber: Sie geht weit darüber hinaus. Sie bringt Musik nämlich auch zu denen, deren Leben bald endet. Nina Gurol ist als Musikerin auch Sterbebegleiterin.

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Hospiz statt Elbphilharmonie

In diesen Momenten wird sie nicht von 2000 Leuten in der Hamburger Elbphilharmonie umjubelt. In diesen Momenten spielt sie in Hospizen, in Seniorenheimen, in Privatwohnungen vor Menschen, die nicht mehr viel Lebenszeit vor sich haben. Die mitunter derart vom Alter oder von einer Krankheit gezeichnet sind, dass sie ihr eigenes Leben nicht mehr erinnern können. Es sei denn: Die Musik kommt ins Spiel.

„Eine meiner ersten Sterbebegleitungen war ein dementer Mann mit Down-Syndrom“, erzählt Nina Gurol. Das sei „schwierig“ gewesen. Zugegeben. Aber: „Er hatte früher selbst musiziert. Mundharmonika gespielt. Und auch wenn er zwischendurch nicht mehr ansprechbar war: Sobald er Musik hörte, war er sofort da. Sagte, dass er jetzt am liebsten seine Mundharmonika haben wolle.“

„Magische“ Musik

Erlebnisse wie diese zeigten ihr, wie „magisch“ Musik sein könne. Die Sterbebegleitung, für die Nina Gurol generell eine Ausbildung durchlief, welche sie dann eigenhändig um die Komponente Musik erweiterte, sei ihr Versuch, den Ursprung von Musik zu ergründen. Was das ist?

Nina Gurol holt aus bei der Antwort: „Natürlich wird man in unserem Job als professionelle Musikerinnen und Musiker zum Perfektionismus hin trainiert“, sagt sie. „Und man verliert sich darin auch. Die Ausbildung ist darauf ein Stück weit ausgelegt.“ Aber sie habe nichtsdestotrotz mittlerweile festgestellt, was für sie am Musikerinnensein wirklich relevant sei. „Und das ist immer: das Menschliche.“

Es sei ihr seit jeher ein Bedürfnis, diese menschlichen Hintergründe auf der Konzertbühne zu beleuchten. „Aber es ist mir jetzt, mit den Erfahrungen als Sterbebegleiterin, noch wichtiger geworden, das zu tun.“

Positiv radikal

Und was Nina Gurol dann hinterherschiebt, zeigt wie positiv radikal und beeindruckend weise sie agiert: „Ich will wegkommen vom Perfektionismus und von der Künstlerin, die bejubelt wird. Das strebe ich schon lange nicht mehr an.“ Das strebe überhaupt ihre Generation von Musikerinnen und Musikern nicht mehr an. Nein: „Wir stehen für einen anderen Weg. Wir wollen ganzheitliche Konzerterlebnisse schaffen.“ Denn wenn sie vor Menschen spiele, die dem eigenen Ende entgegenblickten, „dann ist mir die Stelle, die ich vielleicht nicht richtig gespielt habe, wurscht. Dann verschwinden sämtliche Allüren, die ich in der Laufbahn zur Konzertpianistin so entwickelt habe“.

Dann gehe es nicht um Konzertunterhaltung, und schicke Konzertkleider. Dann zähle nur das Gefühl. „Und die Tatsache, dass die Menschen, vor denen ich dann sitze, ihre intimsten und verletzlichsten Momente mit mir teilen und von der Musik berührt werden.“

Sonaten von Bach und Schubert

Was sie in diesen Momenten spiele, hänge natürlich von der jeweiligen Person ab, für die sie dies tue. Manchmal würden ihr auch mal alte Noten der Bewohnerin oder des Bewohners in die Hand gedrückt. Und einen Spruch wie „Dieses Stück haben meine Frau und ich immer gehört“ bekomme sie häufig zu hören, sagt Nina Gurol. Doch meist habe sie ihr eigenes Repertoire, auf das sie zurückgreifen könne und das sie vortrage: Sonaten von Bach oder Schubert etwa. „Die passen perfekt auf das, was man emotional am Ende des Lebens durchlebt. Und ganz wichtig: Ihr Ende ist immer friedlich.“

Ihr selbst sei der Tod übrigens nie suspekt gewesen, betont Nina Gurol. „Ich fand ihn immer schon eher faszinierend.“ Nicht zuletzt weil er in vielen klassischen Stücken eine Rolle spiele. „Und seitdem ich als Sterbebegleitern aktiv bin, habe ich eine totale Ruhe in mir, weil ich mir sage: Es ist egal, wie wüst ein Sterbeprozess sein mag, welche Kämpfe man gefochten hat – es gibt diesen Moment ganz am Ende, der friedlich ist.“

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Sie habe anfangs zwar durchaus Sorge gehabt, „ob es nicht seltsam ist, wenn jemand am Ende seines Lebens mich, die mitten im Leben steht, vor sich hat“. Aber diese Sorge sei bislang unbegründet gewesen. Das sei nie der Fall gewesen. Im Gegenteil: „Ich bekomme viel über das Leben erzählt und Ratschläge mit auf dem Weg. Das ist schön. Ich habe auch keine Angst mehr vor dem Älterwerden.“

Arbeit mit jungen Menschen

Und das versucht Nina Gurol nun auch jungen Menschen – noch jünger als sie selbst – zu vermitteln: Sie ist nicht nur aktiv beim bundesweiten „TONALi“-Projekt, in dessen Namen sie sich der Musikvermittlung sowie innovativen Konzertformaten widmet. Sie gehört auch dem Vorstand des Vereins „Hospiz Leverkusen“ an. Und demnächst beginnt sie in dieser Position ein Projekt an hiesigen Schulen, bei dem sie Jugendlichen die Kraft der Musik in der Sterbebegleitung nahebringen und das sie irgendwann auch überregional aufziehen will – neben ihrem Leben als Konzertpianistin. Aber nicht getrennt davon. Denn: „Beides befruchtet sich gegenseitig.“ Weil die Kraft der Musik nämlich ganz einfach: eine Urgewalt ist.

www.ninagurol.com

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