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Sorge vor GiftstoffenIn Leverkusen beginnt die Suche nach der Explosionsursache

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Sehnsuchtsort vieler Stadtbewohner: der Kleingarten

Drei weitere Personen sind am Donnerstag tot aus den Trümmern des Tanklagers der Leverkusener Sondermüll-Verbrennungsanlage geborgen worden. Die Polizei und die Staatsanwalt verkündeten die traurige Gewissheit, nachdem sie am Morgen mit den Ermittlungsarbeiten am Unglücksort begonnen hatten. Absehbar ist, dass die Erforschung der Ursache für die Katastrophe viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Die zweigeteilte Ermittlungsgruppe der Kölner Polizei wurde bei der ersten Begehung der Anlage von Vertretern der Umweltbehörden, Sachverständigen, Kollegen des Landeskriminalamts und von Currenta begleitet. Zuvor hatten sich die Ermittler mit DNA-Proben versorgt: Verwandte der Vermissten hatten sich zur Verfügung gestellt.

Auch bei den Brand-Ermittlungen will die Polizei Drohnen einsetzen. Der Bereich des Tanklagers nahe des Sondermüllofens ist komplett zerstört und in Teilen einsturzgefährdet sowie kontaminiert. Es ist fraglich, ob der Tatort überhaupt komplett begangen werden kann.

Sorge vor Gift in der Umwelt

Die Sorge, dass durch den Brand möglicherweise hochgiftige Substanzen in die Umwelt gelangt sind, besteht nach wie vor. „Vorsicht! Es wurden Rußpartikel gefunden.“ Auf grellorangenem Papier prangt die Warnung am Eingangstor des Kleingärtnervereins Gartenfreunde in Opladen. Bis auf Weiteres sei die Anlage geschlossen.

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Mitarbeiter des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) werten derzeit Proben der Rußteilchen aus, die am Dienstag nach der Explosion im Chempark aus der gewaltigen Rauchwolke gefallen waren.

Erneut Luftmessungen

Verdächtige Gerüche sorgten am Donnerstagvormittag für eine Menge Anrufe im Chempark – auch in der Redaktion des „Leverkusener Anzeiger“ meldete sich ein Anwohner der Montanusstraße und gab einen Hinweis. Weil es zudem aus Bürrig und damit dem Umfeld der havarierten Sondermüllverbrennung Anrufe gab, ließ Currenta den Luftmesswagen durch die Stadt patrouillieren. Wegen des starken Winds war zunächst nicht auszumachen, ob die Gerüche aus dem Werk kommen oder aus dem Entsorgungszentrum. (tk)

Da in der dortigen Sondermüll-Verbrennungsanlage chlorhaltige Lösungsmittel in Brand geraten sind, ist die Sorge groß, dass giftige Stoffe freigesetzt worden sind. Die Menschen, allen voran in den angrenzenden Stadtteilen Bürrig und Opladen, wurden gewarnt, kein Obst oder Gemüse aus dem eigenen Garten zu verzehren. Wer dringend notwendige Gartenarbeiten erledigen müsse, solle unbedingt Handschuhe tragen.

In den Opladener Gartenparzellen sonnen sich derweil prallrote Tomaten, Brombeeren hängen reif und lila von ihren Sträuchern. Wenn sie allzu reif werden, fallen sie zu Boden. Zurückbleiben lila Flecken. Von schwarzen Flocken hingegen ist zumindest jetzt in Herr Müllers Garten nichts mehr zu entdecken.

Herr Müller, der eigentlich anders heißt, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat in seiner Parzelle gerade Erdbeerpflänzchen umgesetzt. „Wegen dem Ruß mache ich mir hier keine Sorgen“, sagt er, „ich habe hier nichts davon gesehen.“ Er deutet auf ein paar gelbe Gartenhandschuhe: „Die trage ich trotzdem – zur Sicherheit.“

Auf einem Tisch vor der Gartenlaube steht eine große Schale voller Beeren, frisch gepflückt. Ob er vorhabe, die zu essen? Herr Müller schüttelt den Kopf. „Erstmal nicht, wir warten noch die Ergebnisse vom Landesumweltamt ab.“ Wenn sich die Befürchtung vor giftigen Ablagerungen bestätigen sollte, dann wollen Herr Müller und seine Frau ihre Ernte vernichten. „Mit so etwas muss man rechnen, wenn man nach Leverkusen zieht“, meint Frau Müller und ihr Mann fügt hinzu: „Wenn ich aus dem Urlaub zurück in die Stadt komme, bekomme ich jedes Mal Kopfschmerzen. Was hier so alles in der Luft ist, das will man besser gar nicht wissen.“

Was hat sich gebildet?

In Bürrig liegt die städtische Kleingartenanlage nicht weit vom Unglücksort entfernt. Frank Sunder steht im blauen Overall in seinem Garten und zeigt auf seine Pflanzen. Kleine weiße Pünktchen breiten sich auf einigen Blättern aus. „Die kommen bestimmt von den Stoffen, die aus der Rauchwolke gefallen sind“, vermutet er. Er habe die Explosion bei sich zuhause in Rheindorf mitbekommen, erzählt Sunder. „Der Knall war gewaltig und die Rauchsäule sah aus wie ein Atompilz!“

Neben ihm steht Andreas Keglevic, seine Parzelle liegt nahe der von Sunder. Er arbeite selber im Chempark, habe aber derzeit Urlaub. „Mit Chemie kenne ich mich aus, das wird nichts Gutes sein, was da runtergekommen ist, da bin ich mir sicher“, sagt Keglevic und sucht das saftig grüne Gras sorgenvoll mit den Augen ab.

Nachdem das Lanuv am Mittwoch verkündet hatte, dass über die Rauchwolke vermutlich Dioxin,- PCB- und Furanverbindungen in die angrenzenden Wohngebiete getragen worden seien, geht in der Bevölkerung Angst um - auch über die Stadtgrenzen Leverkusens hinaus. Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer über soziale und traditionelle Medien verbreitet. Am Abend stellte das Lanuv klar: „Bislang liegen aus diesen Untersuchungen noch keine Ergebnisse vor.“ Erste Erkenntnisse aus der Analyse der abgelagerten Partikel am Boden werden frühestens am Freitag erwartet. Luftmessungen am Dienstag hatten bereits überprüft, „ob neben der sichtbaren Rauchwolke weitere Stoffe emittiert wurden, die potenziell gesundheitsgefährlich sein könnten, wie zum Beispiel Kohlenstoffmonoxid und Schwefeldioxid. Dies konnte nicht festgestellt werden“, so das Landesumweltamt.

Die Explosion im Leverkusener Chempark versetzt jedoch auch Experten in Unruhe. So äußerte die Wiener Toxikologin Doris Marko im Interview mit dem „Spiegel“die Sorge, möglicherweise seien „Substanzen in die Umwelt gelangt, die dort persistent sind, die wir also nicht leicht wieder loswerden.“

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Die entscheidende Frage, so Marko, sei jetzt: „Welche Substanzen sind hier gebildet und freigesetzt worden? Sind sie »nur« akut reizend und nur nahe der Anlage aktiv – oder haben wir das Fass der Pandora geöffnet?“ Nicht nur die Müllers, Frank Sunder und Andreas Keglevic erwarten die Analyseergebnisse der Experten vor Ort daher mit banger Spannung.

In einer Ecke von Frank Sunders Garten in Bürrig steht ein Apfelbaum, einige Früchte liegen bereits am Boden. Auch auf den Äpfeln und den Blättern hätten sie seltsame Spuren entdeckt, berichten Sunder und Keglevic. „Essen werden wir hiervon nichts mehr“, sagt Sunder. „Und auf der Wiese liegen, werden wir diesen Sommer auch nicht mehr“ – da ist sich Keglevic ganz sicher.

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