„Em Schokker“ in Hitdorf schließt„Ich habe den halben Nachmittag nur geheult“

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Zwischen Zapfhahn und Geschenken (v.l.): Christoph Kürten, Barbara Kemmerling und Robert und Brigitta Seidel.

Leverkusen – 173 Jahre, fünf Generationen: Am 28. Januar schließt die Gaststätte „Em Schokker“ in Hitdorf ihre Türen. Wer weiß, wie es ihr dann gehen werde, fragt sich Inhaberin Brigitta Seidel, wenn sie an dem Tag die Schlüssel in die Hand nimmt, zum letzten Mal abschließt und dann weiß: „Da ist der Deckel drauf.“ Als die Nachricht Anfang Januar raus war, habe sie „den halben Nachmittag nur geheult“, räumt die 54-Jährige ein. Sie wirkt aber, als hätte sie ihren Frieden mit der Entscheidung gemacht. 

Die Wirtin sitzt am „runden Tisch“ im Gastraum, wo Freunde und Familie immer Platz haben, unter sich die hundertjährigen Holzbohlen, neben ihr ihre Mutter Cilli Kürten, ihr Mann Robert und ihre jüngere Tochter Anna. Dass dieses Lokal ein Familienbetrieb ist und jahrzehntelang war, spürt man.

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1849 hätten ihre Vorfahren das Haus gekauft, erzählt Brigitta Seidel, es habe davor schon eine Gaststätte hier gegeben. Das Haus selber ist älter, bei Umbauarbeiten sei ein Balken von 1727 zum Vorschein gekommen. Viele Generationen haben die Lokalität weitergeführt, meist hatten Frauen die Hosen an, nur Brigitta Seidels Vater Gerd Kürten bildet die Ausnahme. Seine Tochter wurde schon früh in den Betrieb mit eingebunden, 1988 stieg sie unter anderem nach einer Ausbildung zur Hotelfachfrau mit ein, 2006 übernahm sie dann offiziell. Wobei alle immer gemeinsam angepackt hätten, sagt sie.

Personalmangel ist ein großes Thema

Warum sie aufhört? „Wir schließen nicht wegen Corona“, betont die 54-Jährige. Der Personalmangel in der Gastronomie ist es und die schlechter werdende körperliche Verfassung ihrer Mutter, die immer noch mit anpackt. Sie bräuchten Aushilfen, doch die Leute werden von den Arbeitszeiten abgeschreckt. Für Studentinnen und Studenten sind sie zu weit weg von den Universitäten in Düsseldorf und Köln, „und die wollen ja meist in den Service“. Sie bräuchten aber Leute, die in der Küche aushelfen – und das zu Zeiten, wo andere Feierabend haben.

Ihre Tochter Anna kann sich das für die Zukunft nicht vorstellen. „Jahrelang haben alle Leute gesagt: Du bist die nächste Generation, aber ich hatte andere Hobbys, ich will es nicht nur, weil die Leute es sagen“, erklärt die 20-Jährige, die derzeit eine Ausbildung im Einzelhandel absolviert. Ihre Mutter hat dafür Verständnis: „Entweder man steht dahinter oder man lässt es.“

Lustige Anekdoten

Brigitta Seidel holt das Gästebuch vom Tresen, viele haben sich eingetragen, manche haben gezeichnet, ihre schönsten Erinnerungen aufgeschrieben. Das berührt. Leute erinnern sich, wie sie als Kind mit dem Vater, der zum Frühschoppen gegangen war, schon im Schokker bei Cola und Salzstangen saßen, wie sie hier Geburtstage, Hochzeiten gefeiert und Beerdigungen begangen haben.

Brigitta Seidel selber muss bei der Erinnerung lachen, als ihre Tochter Anna mit fünf oder sechs Jahren beschlossen hatte, sich Geld für einen Nintendo zu verdienen. „Sie hat bedient und Essen aufgetragen und auch den Gästen direkt gesagt: ,Da drüben hab ich vier Euro bekommen' – innerhalb von vier Wochen hatte sie das Geld zusammen“, sagt die Inhaberin und muss schmunzeln.

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Lange hat sie überlegt, was aus den Räumlichkeiten werden soll: Eine Eventgastronomie, ein Mehrgenerationenhaus, ein Unverpacktladen, soll man es verpachten, vielleicht auch an eine Physiotherapie, um den Seniorenmittagstisch beizubehalten? Ideen gab und gibt es. Aber noch ist nichts beschlossen oder entschieden.

Jetzt heißt es erstmal die letzten Tage zu überstehen. „Wir sind ausgebucht bis zum Ende“, bekräftigt Ehemann Robert, der Laden sei voll, oftmals stünden sie bis 1 Uhr nachts noch hinter der Theke. Es kämen Stammgäste, aber auch viele Zugezogene, die sagten, sie hätten eigentlich immer schonmal kommen wollen. Jetzt haben sie nur noch für kurze Zeit die Gelegenheit. 

Geregelte Arbeitszeiten

Doch es ist nicht nur ein weinendes Auge, mit dem Brigitta Seidel ihre Gaststätte schließt. Sie freut sich auch: auf geregelte Arbeitszeiten, wenn sie ab Februar im Einzelhandel tätig sein wird. Auf echte Wochenenden, an denen sie ausnahmsweise ganz normal Familienfeiern besuchen kann. Ausflüge am Wochenende, Elternabende, als die Töchter klein waren: ging alles nicht. „Ich hab das nie hinterfragt, das war nunmal so.“

Auf eins freut sie sich besonders: Wenn Corona vorbei ist, will sie den Karnevalszug in Hitdorf endlich mal so richtig miterleben. Wenn man hinter der Theke stand, konnte sie den nie sehen. Sie ist erleichtert, wie alles ausgegangen ist: „Ich gehe mit erhobenem Haupt hier raus, aus einem florierenden Betrieb. Ich konnte mich ordentlich verabschieden.“

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