„Es war ja kein freiwilliger Rückzug“Ulrich Jung ersetzt durch Harald Jüngst

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Ulrich Jung, hier bei einer Ehrung im Jahr 2016, leitete den Bayer-Männerchor 24 Jahre.

Ulrich Jung, hier bei einer Ehrung im Jahr 2016, leitete den Bayer-Männerchor 24 Jahre.

Herr Jung, die Weihnachtskonzerte Nummer 98 und 99 des Männerchores Bayer Leverkusen in dieser Woche werden Ihre letzten Konzerte als Dirigent dieser traditionsreichen Truppe sein. Hätten Sie denn nicht noch ein Jahr dranhängen und die Nummer 100 dirigieren können?

Ulrich Jung: Für mich persönlich sind es ja nur die Weihnachtskonzerte Nummer 75 und 76, die ich leite. Die anderen leiteten meine Vorgänger. Trotzdem wäre es natürlich schön gewesen, diese 100 zu machen. Aber: Es war ja kein freiwilliger Rückzug.

Wie lief Ihr Aus denn ab?

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Ohne ins Detail zu gehen, muss ich sagen: Die Verhältnisse auf Seiten Bayers haben sich eben ein wenig geändert. Der Chor hat ja nicht nur mich als Chorleiter, sondern mit Harald Jüngst auch einen Stellvertreter. Und das war wohl der Knackpunkt. Das ist zukünftig wohl nicht mehr finanzierbar. Der Vorstand fühlte sich dadurch offenbar unter Druck – und entschied sich zunächst dafür, uns beide aus unseren Verträgen zu entlassen. Im Nachhinein wurde dann aber entschieden, Herrn Jüngst weiter zu beschäftigen. Ich kann nur mutmaßen, dass es daran liegt, dass Herr Jüngst jünger ist als ich und man sich gesagt hat: „Wir lassen jetzt mal den Jüngeren ran und bringen frischen Wind rein.“ Ich bin ja schon 69.

Es ging also um Geld.

So, wie ich es erfahren habe, ist das der Hauptgrund, ja. Wissen Sie: Der Männerchor ist über viele, viele Jahre ausgesprochen großzügig von der Bayer AG unterstützt worden. Und da hat sich jetzt eben ein Sinneswandel eingestellt. Der Chor ist ja auch kleiner geworden, sodass man sich vielleicht gesagt hat, man benötigt nicht mehr zwei Leiter.

Fühlen Sie sich ausgebootet?

So hart will ich es nicht ausdrücken. Ich fand aber schon, dass es komisch gelaufen ist und hätte es mir auch anders vorstellen können…

Weiterzumachen?

Ja. Aber ich hatte das eben nicht zu entscheiden. Ich möchte aber auch keine schmutzige Wäsche waschen.

Dann drücken wir es so aus: Mit einigen Chormitgliedern verstehen Sie sich besser als mit anderen?

Ja. Die Mehrzahl der Sänger steht, so denke ich, geschlossen hinter mir. Aber manchmal ist ein Vorstand eben auch in der Pflicht, Entscheidungen zu treffen.

Zur person

Ulrich Jung (69) leitete den Männerchor Bayer Leverkusen (gegründet 1904) 24 Jahre lang. Er lebt in Mülheim an der Ruhr und leitet unter anderem noch einen Bochumer Chor – dies allerdings schon seit 49 Jahren. Seine offizielle Verabschiedung soll am 22. Januar im Erholungshaus erfolgen.

Am Mittwoch, 12. Dezember, sowie am Donnerstag, 13. Dezember, wird Harald Jung jeweils ab 20 Uhr noch die diesjährigen Weihnachtskonzerte des Männerchores Bayer Leverkusen im Altenberger Dom leiten. Eintrittskarten zum Preis von 17 Euro sind im Kartenbüro des Erholungshauses (☎ 0214/ 304 12 83) sowie im Altenberger Dom-Laden erhältlich. (frw)

www.mcb-lev.de

An was denken Sie am liebsten zurück, wenn Sie die 25 Jahre als Chorleiter Revue passieren lassen?

Es war eine tolle Zeit. Einen Chor dieser Größenordnung zu leiten, der zwischenzeitlich um die 160 Mitglieder hatte und der diese große Rückendeckung Bayers erhielt, das war schon einmalig. Ich konnte mich mit den Sängern ganz andere Chorliteratur widmen. Der deutschen Romantik um Johannes Brahms und Max Reger etwa. Das sind Sachen, die ich mit anderen Chören gar nicht hätte machen können. Und: Wir hatten wunderbare Auslandsreisen. Ins europäische Ausland. Und in die USA. Es war eine große Zeit. Aber allein die Tatsache, dass dieser immerhin schon seit 115 Jahren existierende Chor nur sechs Leiter in seiner Geschichte hatte, zeigt ja schon, dass es ein besonderer Chor ist.

Wie sehen Sie die Zukunft des Chores?

Der Chor befindet sich in einem Umbruch. Wir sind weniger Aktive als früher. Und allein die Konzertform, dass da viele gleich gekleidete Herren in fünf Reihen hintereinander auf der Bühne stehen, ist nicht mehr zeitgemäß. Da muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Man muss thematische Projekte stärker in den Vordergrund stellen, um die Zuhörer zu locken.

Werden Sie dem Chor verbunden bleiben?

Natürlich. Zumal es mich natürlich interessiert, wie mein Nachfolger Harald Jüngst – wir beide verstehen uns sehr gut – das alles fortsetzen wird. Macht er etwas ganz anderes? Ändert er etwas? Und wenn ja: Was? Ich denke, es wird sich einiges ändern. In der Chorliteratur und der Außendarstellung. Das ist wie bei einem neuen Trainer um Fußball. Da hat auch jeder seine eigenen Vorstellungen.

Ich habe nur den Wunsch, dass sich der Männerchor Bayer Leverkusen diesem allgemeinen Trend entgegenstellen kann: Überall liest man ja, dass sich Chöre auflösen oder zusammentun müssen, um zu überleben. Es kommen kaum junge Leute nach. Die Form des Männerchores ist in der heutigen Form offenbar nicht attraktiv für junge Männer. Ich hoffe, dies wird hier anders sein.

Sie leben in Mülheim an der Ruhr. Lassen Sie mich also raten: Immerhin werden Sie die regelmäßigen Fahrten über die stets verstopfte A 3 nach Leverkusen nicht mehr vermissen.

Ja, das stimmt. Aber eigentlich war das ganz gut auszuhalten: Ich bin diesen Weg so häufig gefahren – Hunderte, vielleicht Tausende Male. Diese Strecke fuhr mein Auto quasi schon automatisch.

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