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Bayer 04 vor TopspielWie ein Fan von Bayern München offizieller Club-Chronist wurde

Lesezeit 8 Minuten
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Jubel 1988 beim UEFA-Sieg

  • Alex Feuerherdt ist Fußballfan, Schiedsrichterausbilder, Autor und Verfasser der ersten offizielle Chronik über Bayer 04 Leverkusen.
  • Für unsere Fanserie „Familie in Schwarz-Rot“ sprachen wir mit ihm über den Verein und dessen Historie.
  • Dabei ging es natürlich auch um das legendäre UEFA-Pokal-Finale 1988.

Leverkusen – Alex Feuerherdt ist Schiedsrichter, Fußballfan, Autor - und Verfasser der ersten Chronik über Bayer 04 Leverkusen, die 2011 erschien. Im neuen Teil unserer Bayer-04-Fanserie sprachen wir mit ihm über die Nähe des Westerwalds zu Leverkusen, coole Englischlehrer als Bayer-Fans und das UEFA-Cup-Finale 1988.

Herr Feuerherdt, wie wurden Sie damals Autor der ersten offiziellen Chronik von Bayer 04 Leverkusen?

Alex Feuerherdt: So um 2009 herum sprach mich Hardy Grüne darauf an, der Autor und Lektor des „Werkstatt“-Verlages. Mit dem Verlag hatte ich zuvor schon zu tun gehabt, da er sich auf Fußballbücher spezialisiert hat und bereits zuvor einige  Chroniken über Vereine   herausgebracht hatte. Unter anderem Bayer Leverkusen fehlte aber noch. Also hieß es: „Hast Du nicht Interesse?“

Weil Sie nicht nur Autor, sondern auch Fan der Werkself sind?

Nein. Fußballfan bin ich mit acht geworden. Und da spielte Bayer noch nicht in der ersten Liga und war folglich nicht auf meinem Schirm. Ich bin seit Kindheitstagen Fan des FC Bayern.  

Oha!

Ja. (lacht) Aber: Solche Projekte sind immer eine schöne Aufgabe für einen Autoren. Ich mag es, zu recherchieren und in die Archive hinabzusteigen, die alten „Kicker“-Sonderhefte zu durchforsten. Und: Es ist für eine Vereinschronik ja nicht Voraussetzung, Fan des jeweiligen Vereins zu sein. Bayer – das passte einfach auch so. Schließlich hatte ich als Schiedsrichter und Schiedsrichterausbilder auch damals schon häufig in Leverkusen zu tun, lebe  recht nah in Bonn – und mag den Club durchaus. Das war für mich von Anfang an ein spannendes Projekt. Außerdem hatte ich durchaus einen Bezug zum Verein. Auch ohne Fan zu sein.

Welcher Bezug war das?

Viele aktive Erinnerungen. Ich hatte Bayer nämlich immer schon verfolgt und war als Jugendlicher häufiger dort im Stadion. Wir lebten damals im nördlichen Westerwald. Und wenn wir Fußball sehen wollten, sind wir auf die A3 rauf und waren schnell eben nicht nur in Köln, Mönchengladbach oder dem Ruhrgebiet, wo ich auch manchmal gewesen war, sondern eben auch in Leverkusen. Später kam dann noch mein Englisch-Lehrer hinzu. Der war glühender Bayer-Fan. Seine Eltern wohnten in Leverkusen direkt neben dem Stadion. Ich war ziemlich gut in Englisch.  Und als er dann mal mitbekam, dass ich mich stark für Fußball interessiere, nahm er mich immer wieder mal mit zum Spiel.  In seiner Ente. Für mich war damals klar: Wenn mein cooler Englisch-Lehrer Fan dieses Clubs ist, dann muss das definitiv ein netter Verein sein.

Sie sprechen von „aktiven Erinnerungen“. Erzählen Sie doch mal!

Da war zum Beispiel das Ökland-Tor - was ja vergleichbar war mit dem Phantom-Tor von Stefan Kießling in Hoffenheim vor einigen Jahren. Das war Anfang der 80er. Da stand es im Heimspiel von Bayer gegen Bayern München schon 3:0 für Leverkusen. Arne Larsen Ökland traf zum vermeintlichen 4:0. Ich dachte nur: „Oh weih, jetzt gehen die Bayern ja mal so richtig unter.“ Aber dann gab es viel Aufregung, weil der Ball eben doch nicht im Tor gewesen war, wie man später auch in der „Sportschau“ sehen konnte. Er war ans Außennetz geflogen. Und diese Verwirrung auf dem Feld drückte das eigentliche Ergebnis dann völlig in den Hintergrund und war lange Gesprächsthema, denn: Ökland hatte dem Schiedsrichter letztlich fairerweise gestanden, dass es kein Treffer von ihm war. Es sind Geschichten wie diese, die natürlich auch jeder Fan kennt und aus denen man als Chronist viel machen kann.

Als Chronist müssten Sie ja auch beurteilen können: Was zeichnet Bayer 04 Leverkusen aus?

Ohne despektierlich zu sein: Leverkusen war lange die graue Maus. Das Stadion war nie voll. Es gab keine großen Namen im Team. Drumherum saßen Clubs mit großer Anhängerschaft wie Köln. Und es stand zudem eben überall „Bayer“ drauf. Ein Werksclub also. Ein Plastikclub mit einer eher kleinen Fanszene, auf denen sich niemand wirklich stürzte. Aber dann wurde aus Bayer eben der Club, der den Bayern die Stirn bot. Der Champions-League spielte. Ein Spitzenclub und „Vizekusen“ mit Leuten, die alles andere als unbekannt waren: Calmund, Völler, Daum. Sprich: Der Verein positionierte sich. Ins Grau kam viel Farbe rein. Und von der Schiene „Plastikclub ohne Tradition“ ist Bayer 04 mittlerweile schon lange runter.

Derlei Worte eines Außenstehenden sind  Balsam auf die Wundern vieler Bayer-Fans.

Nun ja:  Der Verein, der ja auch schon früh gegründet wurde,  spielt seit 1979 ununterbrochen in der ersten Liga und besitzt mittlerweile seine eigene sportliche Geschichte. Außerdem hat man sich in Leverkusen irgendwann dieser Kommunikationsguerilla-Methode bedient, die ich sehr mag. Nach dem Motto. „Wir nehmen unsere vermeintliche Schwäche in unser Image mit auf.“ Seitdem heißt es  ganz offiziell „Werkself“. Ganz klar: Das negative Image haben heutzutage viel eher RB Leipzig, Hoffenheim oder auch Wolfsburg inne. Auf die konzentriert sich die Abneigung vieler Fans.

Wie nehmen Sie die aktive Fanszene in Leverkusen wahr? Haben Sie die im Rahmen Ihrer Arbeit am Buch auch näher kennengelernt?

Was mir aufgefallen ist: Die dortige Ultra-Szene ist meines Erachtens nach keine, die sonderlich links geprägt ist. So wie das bei vielen anderen Vereinen der Fall ist. Ich habe bei Bayer aus der Kurve zumindest noch relativ lange üble Parolen gehört. Und zwar zu einer Zeit, als das andernorts schon ganz anders war. Ich kann mich da beispielsweise an einen über längere Zeit dauernden Spruchband-Streit mit Fans von Werder Bremen vor eingen Jahren erinnern, wo es um homohobe Sprüche ging. Aber generell muss ich sagen, dass ich mit der Fanszene an sich eher weniger zu tun hatte und habe. Es ging mir bei dem Buch ja primär darum, den sportlichen Weg des Clubs aufzuzeigen.

Was haben Sie denn im Rahmen Ihrer Recherche über Bayer 04 gelernt, was Sie vorher nicht wussten?

Es waren zugegebenermaßen keine großen Überraschungen dabei. Aber natürlich muss ich diesbezüglich Personen wie Reiner Calmund erwähnen: Ich merkte, wie findig er als Manager war, damit er es schaffte, Spieler wie etwa Thom und Kirsten nach Leverkusen zu lotsen. Und dann waren da die Gespräche, die im Hintergrund der Daum-Affäre liefen. Das alles Revue passieren zu lassen, war hoch interessant.

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Und wie interessant war der UEFA-Pokalsieg 1988 als größter Erfolg der Vereinsgeschichte?

Dem habe ich mit besonders großer Lust hinterher geforscht. Auch weil ich damals im Stadion dabei war. Um dieses Spiel ranken sich so viel Geschichten! Nehmen wir die von Tita, dem Brasilianer, und Klaus Täuber. Tita hatte mich damals als Fußballfan total begeistert. Und ausgerechnet im  Rückspiel gegen Espanyol Barcelona musste er früh raus. Täuber, eher ein Mann fürs Grobe, kam rein. Und alles schien vorbei. Und dann haut der mit seinem zweiten oder dritten Ballkontakt die Kugel auf den Kopf von Falko Götz,  der das Tor zum 2:0 macht. Wahnsinn!  Und diese Geschichte ergibt wiederum Anschlussgeschichten: Als ich 2005 meine letzte Partie als Oberliga-Schiedsrichter pfiff, da traf ich Täuber nämlich einmal persönlich. Er trainierte damals Schwarz-Weiß Essen, die gegen Borussia Mönchengladbach II spielten. Und als wir dann nach dem Spiel zusammensaßen, erzählte ich ihm die Geschichte von damals und sagte zu ihm: „Klaus, es tut mir leid, aber damals dachten wir im Moment deiner Einwechslung für Tita: „Oh, Gott, der Boxer kommt. Jetzt geht alles den Bach runter.“ Und dann haust Du da diese Flanke raus!“ Und er hat sich total darüber gefreut, dass sich noch jemand daran erinnern konnte. Er war richtig gerührt.

Und Sie waren damals tatsächlich vor Ort? Als Nicht-Fan? Aus dem Westerwald?

Ja. Ich habe 1988 Abi gemacht. Am Wiedtal-Gymnasium in Neustadt-Wied. Das war eine Zeit, in der wir in unserer Jahrgangsstufe eine ziemlich eingeschworene Gemeinschaft waren. Wir wollten daher vor dem Schulende noch einmal etwas gemeinsam machen – und da kam uns die Idee, zum Finale nach Leverkusen zu fahren. Wir waren 20 Leute. Ich hatte die Aufgabe, Tickets zu besorgen und schrieb den Verein an: „Ich hätte gerne 20 Stehplatzkarten.“ Und das war kein Problem. Die kosteten acht Mark das Stück. Das weiß ich noch genau. Tja, und dann kam das Hinspiel, Bayer verlor 0:3. Wir dachten: „So ein Mist. Das kann man ja gar nicht mehr aufholen.“ Aber wir entschieden uns, trotzdem zu fahren. Haben sogar ein Banner gemalt, auf dem stand: „Tschö, Espanyol!“ Unten drunter „MSS13“. Das war die Abkürzung für „Mainzer Studienstufe“. So heißt bis heute die Oberstufe in Rheinland-Pfalz und wir waren der Jahrgang 13. Und das Banner hing dann hinter dem Tor, auf das am Ende die Elfmeter geschossen wurden. Vor meinem inneren Auge sehe ich noch den wie wild mit den Armen rudernden Rüdiger Vollborn. Und ganz ehrlich: Dieser Spielverlauf, Verlängerung, das Elfmeterschießen, all das Chaos auf dem Platz – das war ein Erlebnis, das ich bis heute nicht vergessen habe! Damals haben wir alle für Bayer gebrüllt! Und ich bin auch am nächsten Tag nicht zur Schule gegangen, weil wir erst sehr spät zuhause waren und ich völlig fertig und  entsprechend heiser war. Auf meine Entschuldigung, die ich mir ja schon selber ausstellen konnte, schrieb ich damals wahrheitsgemäß: „Fehlt aufgrund der Nachwirkungen des UEFA-Pokalsieges von Bayer 04 Leverkusen.“ Und das wurde von den Lehrern auch so akzeptiert.

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