Abo

BER, Stuttgart 21 und jetzt LeverkusenDas denken die Bürger über das Brückendesaster

Lesezeit 3 Minuten
Wiesdorfer Klaus Stamm

Wiesdorfer Klaus Stamm

Leverkusen – Am Aussichtspunkt an der Wacht am Rhein drehten sich die Gespräche am Wochenende meist um ein Thema: Die Autobahnbrücke und die jüngsten Ereignisse, die durch den „Kölner Stadt-Anzeiger“ aufgedeckt wurden. Schließlich kann man von dieser Stelle nicht nur die vorüberziehenden Rheinschiffe betrachten, von da sieht man auch die Brücke besonders gut. Dass Straßen NRW am Freitag die Verträge mit der ausführenden Firma Porr gekündigt hat und die Behörde jetzt eine verlängerte Bauzeit bis 2023 für die erste Brücke veranschlagt, haben die meisten Leute mitbekommen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Leverkusener Robert Gelens ist mit seinem Schulfreund Rolf Buschmann zur Wacht am Rhein gekommen. Gelens lebt seit 1962 in Leverkusen, Buschmann ist aus Frankfurt zu Besuch. Auf das Brückendesaster angesprochen, schüttelt Gelens den Kopf: Man wollte billigen Stahl in China kaufen, aber jetzt käme die Rechnung. Man könne zwar jetzt noch nicht so ganz beurteilen, wer tatsächlich Schuld an der Sache habe – Straßen NRW oder die Firma Porr.

Für die Schulfreunde steht fest: Juristen werden gut verdienen, denn ein Rechtsstreit sei da doch sicher. Davon unabhängig wäre es aber schön gewesen, wenn Leverkusen das Stauproblem nicht noch ein paar Jahre länger gehabt hätte und es bald wenigstens eine funktionierende Brücke gegeben hätte. Auch wenn die Stadt die Brücke und Autobahn nicht zahlen müsse, koste das Ganze die Leverkusener doch auch viel Geld, vermutet Gelens.

Jetzt lache die Welt doch erst recht

Und über die ehemals berühmte deutsche Ingenieurskunst lache die Welt nach dem Berliner Flughafen und Stuttgart 21 jetzt doch erst recht, sagt er.

Helmut von Fragstein betrachtet einen Schafs-Umtrieb: Hunderte Tiere ziehen über den schmalen Radweg von Köln auf die Leverkusener Rheinwiesen um. Trotz des selten schönen Bildes skizziert er eine ganz düstere Vision: Vielleicht werde auf der Baustelle erstmal gar nichts mehr geschehen, also Stillstand. „Wer weiß, was da noch nachkommt.“ Von Fragstein vermutet, dass für die Bauzeitverlängerung niemand verantwortlich zu machen sein werde. Das der Rhein-Radweg jetzt noch viel länger gesperrt sei, ärgert ihn, für Wiesdorf sei das ein empfindlicher Verlust. Ein Tunnel unterm Rhein wäre die bessere Alternative gewesen, sagt er.

Willi Sürk aus Köln-Stammheim sagt zu den Vorgängen zwischen der Straßenbehörde und Porr: „Man blickt da nicht durch. Einer wechselt von Porr als Staatssekretär ins Verkehrsministerium und hat dann mit der alten Firma zu tun.“ Die ganze Logistik-Branche werde über den Haufen geworfen, findet er, und dass die Steuergelder jetzt nur so durchs Fenster rausflögen. Das werde ja ganz sicher noch teurer als die genannten 300 Millionen Mehrkosten.

Alte Brücke könne man stehen lassen

Der Wiesdorfer Malermeister Klaus Stamm macht auf einer Radtour kurz Halt an der Wacht am Rhein: „Nach allem sollte Straßen NRW es jetzt bei nur noch einer Brücke mit drei Spuren in jede Richtung belassen“, betont er. Nach Fertigstellung der ersten ist eine zweite baugleiche Brücke geplant, die sofort nach dem Abbruch der bestehenden 55 Jahre alten Brücke gebaut werden soll. Die alte Brücke könne man dann stehenlassen, so Stamm. Darauf hätten Platz: Ein ordentlicher Radweg und Mopeds und Motorräder. Man könne Linienbusse und sogar eine Straßenbahnlinie von Merkenich nach Leverkusen fahren lassen, so seine Idee.

In der alten Brücke, vermutet Stamm, könnten noch sehr viel mehr Schadstoffe in den Schutzanstrichen stecken als Asbest und PCB, wie Straßen NRW sagt. Man habe damals als Korrosionsschutz Blei und später Chrom- und andere metallische Verbindungen verwendet: „Diese alte Brücke abzureißen ist wie ein riesen Fass aufzumachen, deshalb soll man sie besser stehen lassen“, sagt der Malermeister, der in seinem Handwerk auch als Gutachter tätig ist.

KStA abonnieren