Brand im ChemparkLanuv erhielt entscheidende Auskunft über Giftstoffe erst am Freitag

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Der Luftmesswagen des Chempark war während der Katastrophe im Einsatz und ist es auch weiterhin. 

Leverkusen – „Ein erhöhtes Gesundheitsrisiko durch brandbedingte Dioxin-, Furan- und PCB Immissionen ist nicht anzunehmen.“ Diese Festlegung von Ulrich Quaß mutet zunächst beruhigend an. Aber der Bericht des Chemikers vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz wirft auch viele Fragen auf. Seit dem Wochenende ist das Papier auf den Seiten der Landesbehörde wie auch der Stadtverwaltung im Internet einsehbar.

Die Dioxin-, PCB- und PAK-Entwarnung fußt auf vier Proben, die von einer Chemikerin in Bürrig genommen wurden, nachdem der Großbrand am Sondermüllofen gelöscht war. In andere Stadtteile oder Städte, die ebenfalls den Ruß-Regen abbekommen haben, sind die unabhängigen Experten nicht mehr gefahren. Und nach dem Regen sahen sie zunächst keinen Sinn mehr darin, weitere Proben zu nehmen – bis sie im Bereich Alte Garten doch noch etwas fanden, was zur Analyse taugte.

Nur vier Proben wurden untersucht

Die letztlich im Lanuv-Labor untersuchten Partikel stammen von der Scheibe eines Lieferwagens, der in den Blechenhöfen stand. Dort wurde auch auf dem Boden ein Ruß-Partikel aufgesammelt; die beiden anderen Fundstellen sind der Heinrich-Lützenkirchen-Sportplatz und eben Alte Garten.

Was noch in die Luft und in den Boden gelangt sein kann, ist nach wie vor völlig unklar. Zwar heißt es bei Currenta, es sei bekannt gewesen, welche Stoffe sich in den drei an der Explosion beteiligten Tanks befanden. Das jedenfalls war die Aussage von Technik-Geschäftsführer Hans Gennen am Mittwoch. Im Bericht des Lanuv heißt es aber: „Dem Sondereinsatz lagen bis Einsatzende keine offiziellen Informationen vor, welche der Tanks genau betroffen waren und was diese enthielten.“ Was man bei der Landesbehörde nur erfuhr, war dies: Die drei in Brand geratenen Tanks hätten jeweils ein Volumen von 200 bis 300 Kubikmetern und seien etwa zur Hälfte gefüllt gewesen, als einer von ihnen explodierte und danach zwei weitere in Flammen aufgingen.

Problematischer Cocktail

Von Currenta gab es zunächst lediglich die Auskunft, dass in den Tanks chlorhaltige Lösungsmittel ihrer Entsorgung harrten. Erst am Samstag veröffentlichte die Bezirksregierung Köln, dass es sich konkret um flüssige Reststoffe aus der Produktion von Chemikalien für die Landwirtschaft gehandelt habe, deren Hauptbestandteil phosphor- und schwefelhaltige Chemikalien sind. Was das bedeuten kann, macht Paul Kröfges vom BUND am Montag deutlich: „Das bedeutet eine große Palette von giftigsten Stoffen, die einerseits durch die Explosion in die Umgebung verdriftet sein können, andererseits wohl auch eine bisher unbekannte Zahl und Menge an Verbrennungs- und Reaktionsprodukten mit wahrscheinlich hoher Toxizität, die hierbei entstanden und weiträumig verteilt werden konnten.“ Tiefgehende weitere Untersuchungen seien also unabdingbar, so der BUND.

Dass zumindest das Lanuv von Beginn an vollumfänglich über die beteiligten Stoffe informiert worden sei, nahmen die meisten als selbstverständlich an. Dem war jedoch offenbar nicht so. Wie auf der Pressekonferenz am Freitag bekannt wurde, wurde dem Amt die vollständige Liste der enthaltenen Stoffe erst eben an jenem Freitag übergeben. Auf Nachfrage, weshalb das für die Analyse von möglicherweise freigesetzten Giftstoffen zuständige Amt diese entscheidende Information erst Tage nach der Explosion erhielt, verweist ein Sprecher des Lanuv auf die Zuständigkeit der Betreiberfirma und der Bezirksregierung. „Wir haben natürlich darauf gewartet“, so der Sprecher, doch das Lanuv könne nur aktiv werden, wenn es beauftragt werde, „das heißt wir sind immer erst der Dritte in dieser Reihe.“

Nachdem Currenta dem Amt am Freitag die Liste der beteiligten Stoffe übergeben hat, erarbeiteten seine Kollegen seit dem Wochenende ein vollständiges Screening-Programm, erklärt der Lanuv-Sprecher. Auf dessen Grundlage würden weitere Feststoffanalysen durchgeführt, um das Vorliegen anderer giftiger oder schädlicher Substanzen in den Bodenablagerungen zu überprüfen. Das werde nach Beginn der Arbeiten aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Liste der zu überprüfenden Stoffe lag noch nicht vor.

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Weitere Fragen wirft auch der späte Zeitpunkt auf, zu dem das Lanuv am Dienstag mit den Luftmessungen um den Explosionsort in Bürrig begonnen hat. Alarm war um 9.40 Uhr, um 12.20 Uhr war der Brand nach Currenta-Angaben gelöscht. Doch die Messungen des Amtes begannen erst um 13 Uhr.

Auch in diesem Fall verweist der Sprecher der Landesbehörde auf die vorgelagertere Zuständigkeit der Feuerwehr. In Bürrig kämpften Kräfte der Chempark-Werkfeuerwehr und die der Stadt gegen das Inferno. Erst nachdem die Einsatzkräfte die Unterstützung des Lanuv angefordert hatten, hätten die Kollegen ausrücken können. Das sei gegen 12 Uhr geschehen. Da das Amt seinen Standort in Essen hat, seien die Kollegen erst gegen 13 Uhr am Ort gewesen.

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