Der neue Alltag in LeverkusenKontaktlos ist das neue Socializen

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dpa Bahn

Kein ungewöhnliches Bild in diesen Tagen...

  • Reicht es, beim Türöffnen in der Bahn den Knöchel zu nehmen? Hat man endlich Zeit zum Fensterputzen?
  • Und was passiert wirklich, wenn das Toilettenpapier (Gott bewahre!) ausgeht?
  • Unsere Autorin Rosanna Großmann über den veränderten Alltag und neue, kuriose Situationen. Mal witzig, mal nachdenklich.

Leverkusen – Vor zwei Wochen noch sah man leicht amüsiert und leicht bestürzt den italienischen älteren Herrn vor leergekauften Regalen stehen und sich über das mangelnde Nudel-Angebot beschweren. Der Loriot-Kenner kam wahrscheinlich nicht umhin, über den Unterschied zwischen einem breiten Angebot an langen Nudeln und einem langen Angebot an breiten Nudeln zu sinnieren. „Näher“ titelten die Zeitungen, und flugs war das Virus auch bei uns angekommen. Der erste Gedanke, der dem Deutschen kam, war jedoch nicht „Nudeln!“, sondern „Toilettenpapier!“.

Nicht auszudenken, was geschieht, wenn einem das ausginge. Für wie lang reichen 100 Rollen? Und bricht mein ganzes System zusammen, wenn jemand anders mir eine Super-Maxi-Packung wegkauft?

In der Bahn und im Bus erübrigt sich der Versuch, gebotene ein bis zwei Meter Abstand zu anderen Menschen zu halten, schnell. Sitzen will man ja dennoch, und irgendwann ist nun mal nur noch jeder zweite Sitz frei. Ein paar Meter den Gang runter niest jemand, Gefahr liegt prickelnd in der Luft.

In unserem Newsblog halten wir Sie zu allen Corona-Entwicklungen in Leverkusen auf dem Laufenden.

Die Türen des RB48 öffnen sich nicht, wenn man den Knopf nicht drückt, auch sekundenlanges Anstarren zeigt leider keine Wirkung. Reicht es, wenn man die Knöchel nimmt? Diese Hand darf dann aber auf keinen Fall mehr ins Gesicht. Ein kräftiger Stoß mit dem Unterarm oder eine schon fast akrobatische Ellenbogentaktik helfen zum Glück auch.

Andere Themen erscheinen seltsam

Mittlerweile erscheint alles, was sich nicht um Corona dreht, seltsam. In der Zeitung steht ein Artikel über die neue Flüchtlingskrise? Über die Klimakatastrophe? Wie können sich Menschen überhaupt noch mit anderen Themen beschäftigen? Absurditätsgefühle steigen auf, wenn man Sport macht, Mittag isst oder einfach nur Geschirr spült – es gibt noch Dinge, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Krise stehen?

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Über die neuesten Informationen und Vorgänge muss man sich nicht einmal selbst informieren. Der Vater hat endlich wieder eine Aufgabe gefunden und fasst jeden Tag in einer halben Stunde am Telefon das Wichtigste zusammen. Den Rest erfährt man von Freunden und Bekannten per Whatsapp. In den Cafés, in der Bahn und im Supermarkt wehen die bedeutungsschwangeren Gespräche von allen Seiten heran. Ein archaischer Trieb sagt von innen heraus, nun müsse man einkaufen gehen. Und zwar viel. Dass Menschenmengen gemieden werden sollten, muss dafür zweitrangig sein. Vor den Geschäften sammeln sich um acht Uhr morgens pulkartige Verdichtungen, drinnen schließlich stehen die Schlangen bis zum Ende des Ladens. Einer in der Mitte der Menge hustet.

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Die eigentliche Herausforderung ist ab jetzt nicht mehr der Virus, darüber sind sich die Psychologen des Landes einig. Es sind die Vereinsamung und die Langeweile. Soziale Kontakte meiden steht auf der einen Seite – aber bloß nicht das Telefonieren und Skypen vergessen. Manch ein eremitisch Veranlagter sieht seine Zeit gekommen. Die in den letzten Jahren häufig gehörte Klage, zu wenig Zeit für alles zu haben; das Beschweren über eine zu aktive Freizeit finden nun ein jähes Ende.

Endlich kann man die Fenster putzen, den Zeitungsstapel lesen, die Blätter der Pflanzen entstauben, die Regale aufräumen und Kleidung aussortieren. Es gibt endlich keine Ausreden mehr. Nicht zu vergessen das Malen, Schreiben und Basteln – wie viele Strickpullover werden in den kommenden Wochen entstehen? Und wie viele Babys werden in neun Monaten geboren?

Der Konsum stirbt zuletzt

Dagegen schlittern reihenweise Schauspieler, die nicht schauspielern dürfen, in Depressionen, Musiker müssen ihre Touren abbrechen, und Selbstständige bleiben auftrags- und einkommenslos. Solange die Hausbar gut bestückt ist, sollten diese Probleme jedoch auf angemessen ungesunde Art gelöst werden können. Online-Kleidungsläden liefern noch, der Konsum stirbt zuletzt. Pünktlich kommt eine E-Mail an, dass man sich das Essen per Online-Bringdienst jetzt auch kontaktlos liefern lassen kann. Kontaktlos, ein wunderbares Wort, und in diesen Tagen bezeichnender denn je.

Eltern aber können wieder mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, und wenn beide arbeiten, dann können eben die Nachbarn oder die Freunde der Eltern mehr Zeit mit den Kindern verbringen. Bloß nicht die Großeltern fragen. Es wäre fatal, die Nummer-Eins-Virenüberträger mit den Nummer-Eins-Gefährdeten zusammen zu bringen. Mitdenken ist gefragt. Das archaische Bauchgefühl ist in unseren postmodernen Zeiten nicht mehr verlässlich. Lebensmittel-Engpässe entstehen Gott sei Dank nicht einmal durch Hamsterkäufe.

Anstatt Toilettenpapier kann man notfalls auch Zeitungspapier nehmen. Weltuntergangs-Träumer sehen ihre Stunde gekommen. Viel Spaß.

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