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Der neue Alltag in LeverkusenStündlich eine neue Realität in Corona-Zeiten

Lesezeit 3 Minuten
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Arbeiten im Homeoffice gehört zum neuen Alltag vieler Menschen.

  • Der Freundeskreis trifft sich per Video-Konferenz.
  • Ausgehen am Wochenende, das war einmal.
  • Wie lange dauert es bis zum Lagerkoller?

Leverkusen – Tag drei seit unserer Ankunft in der Corona-Realität. Die Einheimischen treffen sich zu virtuellen Filmabenden, man startet gleichzeitig um 20 Uhr den Film und schreibt dann über das Smartphone miteinander. Hinter geschlossenen Fenster sieht man Menschen allein an Küchentischen sitzen, lachend und einem kleinen Bildschirm zuprostend. Weniger mit Technik Ausgestattete vollziehen das Ritual vor dem Spiegel.

Ausgehen ist nicht

Die Pläne, am Wochenende raus zu gehen und dem Virus zu trotzen, entpuppen sich als Schnapsidee. Manch ein (Hobby-) Historiker erkennt seine Chronistenpflicht und beginnt, Tagebuch zu schreiben.

Tag vier. Unser neuer Gott heißt Christian Drosten, und sein Wort ist Gesetz. Doch der Ungläubigen gibt es viele, bei Streifzügen durch die immer leerere Stadt sind sie in verschiedensten Charakterausprägungen zu entdecken. Beobachter vermuten, dass es sich nicht um Unwissenheit, sondern vielmehr um Ignoranz handelt. Beim Bäcker und in der Rathausgalerie werden die Kunden darum gebeten, ihren Namen und die Adresse auf einer „Corona-Liste“ zu hinterlassen, die ihrem Namen alle Ehre macht. Alle fassen den gleichen Kugelschreiber an, legen ihre Hand beim Schreiben auf dem Papier auf und niesen dabei nebensächlich anstelle einer Unterschrift.

Alles zum Thema Christian Drosten

Ein älterer Herr beginnt, sich zu echauffieren, dass die Toiletten gesperrt sind, und dass er sich nicht dicht neben andere Gäste im Café setzen darf. In einem urzeitlichen Zugmodell, das zwischen Schlebusch und Opladen verkehrt, öffnet ein Butler von der Bahn freundlicherweise die Drück-Zieh-Schwing-Klapp-Türen.

Tag fünf. Befreundete Stämme laden zu „Roter Tod“-Pestpartys ein, auch Landtagsmitglieder summen leise „Wir lagen vor Madagaskar…“ Nahrungsmittel verbrauchen sich schneller, wenn man nur noch Zuhause is(s)t. Im Internet kursieren abwechslungsreiche Rezepte mit Nudeln und Toilettenpapier, den zwei höchsten Gütern. Tag sechs. Das monatelang erhoffte Wetter ist endlich da.

Auf Abstandsslalom

Auf dem Fahrrad fahren wir einen Zwei-Meter-Abstands-Slalom um andere Bevölkerungsmitglieder. Die Straßen scheinen befreit, doch da, in der Mitte des Parks, tummeln sie sich. Kinderwagen sind um dicht besetzte Picknickdecken herum geparkt, man grillt mit Freunden, eine Gruppe spielt in verschiedenfarbigen Trikots Fußball. Angesichts der organisierten und verabredeten Dummheit möchte man zum Wutbürger werden, zumindest doch beide Hände für obszöne Gesten vom Lenker nehmen. Doch Obacht, auch auf den Wegen der Parks sind vor allem viele Kinder und ältere Menschen in fröhlich-gedankenloser Eintracht unterwegs.

Die Fanatiker leeren derweil täglich die Regale der Supermärkte, der Maxime folgend: „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht.“ Barmherzige bieten ihren älteren Nachbarn an, für sie Toilettenpapier zu kaufen. Das weiche Gold ist auf dem besten Wege, sich zur neuen Währung zu wandeln. Vergiss Schokolade, Kaffee und Zigaretten.

Der Rest der Gesellschaft entdeckt fortwährend neue Winkel seiner Wohnung. Wo kann man überall sitzen, wo arbeiten, wo ist man möglichst weit von den eigenen lagerkollernden Kindern entfernt? Der Lieblingspodcast sendet nun täglich, auch von unserem Virologen-Gott kommen jeden Tag die neuesten virologischen Informationen. Über deren schwerwiegende Ernsthaftigkeit lässt sich nur hinwegkommen, indem man laut singend durch die eigenen vier Wände putzt.

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Hoffnungen auf eine grundlegende Umwälzung der Welt zum Besseren keimen auf. Man ist dankbar für eine Politik der stabilen Mitte, niemand fragt mehr nach rechten Populisten und Zeterern. Eine Rebellion findet höchstens auf den Spielplätzen statt. Alles, was vor wenigen Tagen noch Grund zum Witzeln war, formt sich stündlich zu unserer neuen Realität. Wir müssen uns darauf gefasst machen, Monate und Jahre in unserer schönen neuen Welt zu verbringen. Arbeit gibt es keine mehr. Aber dafür auch kein Geld.

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