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Die SystemsprengerJugendamt erzieht extreme Jugendliche im Ausland

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Wie geht man mit schwer erziehbaren Jugendlichen um? Das Jugendamt Leverkusen lässt junge Menschen in extremen Lagen an Maßnahmen im Ausland teilnehmen. (Symbolfoto)

  • Wie geht man mit Jugendlichen um, die aggressiv sind und sich gegen jede Struktur wehren?
  • Das Jugendamt Leverkusen hat seit 2003 38 Jugendliche in Auslandsmaßnahmen untergebracht
  • Die Maßnahmen sind teuer – lohnt sich die individuelle Förderung?

Leverkusen – Niemand darf durch das Raster fallen. Auch nicht die extremsten Fälle. Diese Maxime gilt in der Jugendhilfe und im Sozialstaat. Doch wie hilft man Jugendlichen, die aggressiv sind, sich seit Jahren gegen Hilfen und Strukturen wehren?

Seit 2003 hat das Jugendamt Leverkusen 38 Jugendliche in Einrichtungen im Ausland untergebracht. Junge Menschen, bei denen jedes deutsche Hilfsangebot versagt hat. Im Jargon gibt es für sie seinen Begriff: die Systemsprenger.

Polizeieinsatz in der Grundschule

„Ich erinnere mich an einen Fall“, sagt Angela Hillen, „da war das Kind so aggressiv und gewalttätig, dass es einen Polizeieinsatz gab – in einer Grundschule.“ Manchmal gibt es keine andere Möglichkeit. „Manchmal können wir nur diesen Weg gehen“, sagt sie. Statt Leverkusen sind dann für mindestens ein halbes Jahr die Ukraine oder Griechenland, Frankreich oder Georgien, Spanien oder Italien das Zuhause der schwer erziehbaren Jugendlichen. „Das ist meist unsere letzte Möglichkeit, wenn andere Systeme versagen“, so die Jugendamtsleiterin.

Die Auslandsmaßnahmen – so werden sie beim Amt genannt – sind individuell auf die Jugendlichen zugeschnitten. „Im Mittelpunkt stehen jedoch immer Routine, Struktur und das Erreichen eines Schulabschlusses“, erklärt Hillen. Der Ansatz sei, die Jugendlichen bei ihren Stärken zu greifen, sie zu fördern und nicht weiter zu maßregeln oder auf Schwächen zu achten. „Das geht manchmal nur im Ausland, mit einem radikalen Wechsel der Umstände“, so Hillen. Fast immer sind es Jugendliche ab 14 Jahren bis zum jungen Erwachsenenalter, die an diesen Maßnahmen teilnehmen. Aktuell sind drei Jugendliche aus Leverkusen im Ausland.

Schule und Arbeit, Struktur und Routine

Die Förderung der jungen Erwachsenen ist dabei ganz unterschiedlich. Ein junger Mann arbeitete zum Beispiel neben der Schule bei einem Imker, um „Struktur, Routine und die Arbeit in den Alltag zu integrieren“, sagt Hillen. Ein anderer Fall: Ein Mädchen betreute ein Pferd und einen kleinen Wagen, mit dem sie Menschen durch einen Park kutschierte. Doch alles hat System, kreative Freizeitgestaltung ist das Programm nicht.

Doch müssen die Systemsprenger wirklich im Ausland untergebracht werden? „Ja, denn sie haben eine Akte“, sagt Jugendamtsleiterin Hillen. Damit meint sie die Vergangenheit der Jugendlichen – eine Sammlung der Ablehnung. „Viele von ihnen waren in diversen Einrichtungen und wenn sie dann in eine neue Unterbringung kommen sollen, dann werden sie abgelehnt“, erklärt Hillen. „Aufgrund ihrer spezifischen Probleme können sie sich nicht integrieren.“

Teure Unterbringung für die extremsten Fälle

Die Auslandsmaßnahmen gibt es nicht nur in Leverkusen. Kritik gab es zu einem Fall aus dem Ruhrgebiet: Eine Mitarbeiterin eines Jugendamts hatte selbst eine Einrichtung im Ausland eingerichtet und das Geld für die individuelle Förderung eingestrichen. Denn die Aufenthalte sind nicht billig. 

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Die Zeit der Unterbringung variiert zwischen einem halben bis zu zwei Jahren. Der Tagessatz pro Person beträgt zwischen 165 und 208 Euro. Die kürzeste Unterbringung beim geringsten Tagessatz kostet demnach 30112 Euro pro Jugendlichem – bezahlt von der Allgemeinheit. Einen Missbrauch der Förderung schließt das Jugendamt Leverkusen allerdings aus: „Jede Unterbringung im Ausland ist durch das Landesjugendamt genehmigt und wir stehen im engen Austausch“, sagt Hillen.

Ein fremdes Land, relativ hohe Kosten, individuelle Betreuung – lohnen sich die Auslandsmaßnahmen? „Oft ist es der einzige Weg, wie wir diesen Jugendlichen noch helfen können“, sagt Hillen. In jüngerer Vergangenheit konnten laut der Amtsleiterin alle Teilnehmer zumindest einen Hauptschulabschluss machen. Ein erstes Ticket für eine Chance als Erwachsener. „Das Ausland ist zudem auch manchmal ein Weckruf für die Jugendlichen. Die Veränderung des Umfelds, etwa einem zerrütteten Elternhaus, kann helfen“, erklärt Hillen.

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