Meistgelesen 2022Der niedrige Rhein gibt jahrzehntealte Geheimnisse frei

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Der Hungerstein in Leverkusen von 1959.

Der Hungerstein von 1959.

  • Sommer 2022: Anhaltende Trockenheit lässt den Rheinpegel sinken.
  • In Leverkusen kommen Dinge zum Vorschein, die seit Jahrzehnten im Flussbett liegen. Darunter ist viel Müll – aber auch ein Hungerstein, der an eine historische Dürreperiode erinnert.
  • Dieser Text ist zuerst am 17. August 2022 erschienen.

Ob sich viele im Winter nach diesen Hitzetagen sehnen werden? Zurzeit können sich über die ungewohnt hohen Temperaturen und vor allem den ausbleibenden Regen nur Uninformierte freuen. Ein Blick an den Rhein macht die besondere Lage klar.

Der Rheinpegel ist so stark gesunken, dass die Hitdorfer Fähre den Betrieb jetzt erstmal einstellen musste.

Aber auch andere Anzeichen zeigen an, dass eine besondere Wasserarmut herrscht. Nahe an der Wuppermündung gleich gegenüber der Kirche Sankt Amandus liegen seit kurzem wieder Steine mit Inschriften frei. Sie werden Hungersteine genannt.

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Hungersteine im Rhein bei Leverkusen entdeckt

Die älteste Ritzung lautet neben ein paar Kreuz-Ornamenten „B.E. T.L 1959“. Das ist ein bekannter Stein, den der Rhein alle paar Jahre frei gibt. Eine zweite Inschrift auf einem Stein nebenan „HS 2003 DP“ ist jünger. 

Der Begriff der Hungersteine entstammt einer alten Rheindorfer Geschichte. An der Wuppermündung, die vor der Anschüttung der heutigen Currenta-Deponie etwas weiter südlich der heutigen Mündung lag, soll es einen größeren Steinbrocken im Rhein geben, dessen Inschrift nichts Gutes verheißt: „Wenn Du mich siehst, dann wirst Du weinen“. Denn Dürre bedeutete Hunger und Hunger bedeutet Leid. 2003, als der Rhein ebenfalls extrem wenig Wasser führte und die Interessierten Ausschau nach dem Hungerstein hielten, meldeten sich Zeitzeugen, die Hitdorfer Josef Kappes und Christine Dick, beim „Leverkusener Anzeiger“. Sie hatten diesen legendären Stein kurz nach dem Krieg als Kinder gesehen.

Bisher kein Foto, nur eine Zeichnung der Dürresteine

Es gibt aber kein Foto und niemand hat diesen Stein in den letzten Dürrejahren gefunden, er könnte im schlimmsten Fall durch die Rheinvertiefung oder bei der Umlegung der Wuppermündung verarbeitet und verschwunden sein.

1947 stand der Kölner Pegel bei 83 Zentimeter, Freitagfrüh bei 85 Zentimetern. Die Wupper lässt sich zur Zeit, da, wo sie breit genug ist, zu Fuß durchschreiten. Der Pegel in Opladen beträgt am Freitag 19 Zentimeter. Normal fließen 17 Kubikmeter jede Sekunde ab, derzeit sind es drei bis vier, keine 20 Prozent.

Nur noch 30 Prozent der Wassermenge im Rhein

Dass im Rhein gerade auch nur 30 Prozent seiner normalen Wassermenge fließen, sieht man den langsam vorüberziehenden Schiffen an. Alle haben einen sehr hohen Freibord, sie transportieren nur wenig Ladung, stehen hoch aus dem Wasser.

Der Boden am Rhein zwischen den Kribben ist an einigen Stellen aufgerissen. Landeinwärts, wo das trockene Gras und Disteln hoch stehen, zirpen Grillen. An den Plätzen, an denen Menschen am Ufer abends grillen, liegen Müllhaufen und gebrauchte Roste.

Unten am Rhein wachsen an manchen Stellen kleine Tomaten, sie vertragen Trockenheit, leider haben sie nur wenig Aroma.

Obwohl die Pontonbrücke über die Wupper nach wie vor gesperrt und sie nur als Kletterer zu überwinden ist, sind am Ufer südlich der Wuppermündung Menschen unterwegs. Radfahrer haben den Weg außen um die Deponie genommen. Ein Angler mit osteuropäischem Akzent möchte Zander fangen, er steht bis zu den Knien in der Sonne im Wasser.

Weiter gilt: Das freigelegte Rheinufer sollte nicht betreten werden. Die Stadt warnt eindringlich davor. Es besteht die Gefahr, dass Munition bis hin zu Granaten aus dem Zweiten Weltkrieg bei Niedrigwasser plötzlich trocken liegen.

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