Erste Hilfe für GehörloseMit Gebärden angeleitet

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Reanimation wird an einer speziellen Puppe geübt. Stefanie Schmidt erläutert in Gebärdensprache.

Reanimation wird an einer speziellen Puppe geübt. Stefanie Schmidt erläutert in Gebärdensprache.

  • Erstmals gab es in Leverkusen eine Schulung in Erster Hilfe für Gehörlose.
  • Handgriffe kann man zeigen, manche Erklärungen sind aber nur schwer in Gebärden zu fassen.
  • Wie kann ein Gehörloser selbst einen Notruf absetzen?

Leverkusen – Wenn Stefanie Schmidt den Unterschied zwischen einem Herzinfarkt und einem Schlaganfall erklärt, ist es fast mucksmäuschenstill im Raum – durcheinander geredet wird trotzdem, für die Anwesenden jedoch nicht „hörbar“. Schmidt ist Erste-Hilfe-Ausbilderin mit dem Schwerpunkt Gehörlosenschulung und leitet für „med1plus“ Erste-Hilfe-Kurse sowohl für Gehörlose, als auch für Hörende.

Erster Kurs seiner Art

Der Kurs am vergangenen Samstag in Manfort war in Leverkusen der erste seiner Art und richtete sich speziell an Gehörlose und Menschen mit einer Hörbehinderung, ein Konzept, das es in Deutschland nur sehr selten gibt. „Wenn Gehörlose einen Erste-Hilfe-Kurs machen wollen, müssen sie an einem normalen Kurs teilnehmen und selber einen Gebärden-Dolmetscher mitbringen“, erklärt der Geschäftsführer von „med1plus“ Lothar Havenstein. Seit einem Jahr bietet „med1plus“ Kurse für hörbehinderte Menschen an und ist damit einer der wenigen Anbieter im Rheinland und Ruhrgebiet. „Es gibt drei andere Anbieter, die jedoch mit Dolmetschern arbeiten und das sehen wir als Handycap“, erklärt Havenstein.

Schwer zu übersetzen

Häufig sei es schwierig mit Gebärden eins zu eins zu übersetzen: Die Gebärde für das Wort „tot“ macht keinen Unterschied zur Gebärde für „bewusstlos“, ein Unterschied, der jedoch für die Erklärungen im Erste-Hilfe-Kurs höchst relevant ist. Zudem werden Fragen gestellt, die ein normal hörender Ausbilder oft nicht beantworten kann.

Eine Erfahrung die auch Michael Eymann gemacht hat. Er besucht Schmidts Erste-Hilfe-Kurs, da er einen Motorrad-Führerschein macht. Der 39-jährige hat schon einmal einen Kurs für normal Hörende besucht, habe dort jedoch nicht alles verstanden. „Hier verstehe ich 100 Prozent. In dem anderen Kurs benutzen die Leute manchmal Abkürzungen, die ich dann nicht verstehe“, übersetzt Schmidt für ihn. Zudem fühle er sich in einer Gruppe mit anderen Gehörlosen wohler.

Wie in einem normalen Erste-Hilfe-Kurs arbeitet auch Schmidt mit ihren Teilnehmenden siebeneinhalb Stunden lang die geläufigen Themen ab. Was ist als erstes am Unfallort zu tun, was sind die Anzeichen von Schlaganfall und Herzinfarkt, wie wird die stabile Seitenlage gemacht. Doch wie setzen Menschen mit Hörschwierigkeiten einen Notruf ab?

Schmidt stellt in ihrem Kurs unter anderem die „Rotkreuz Defi und Notruf App“ vor, mit der man einfach, schnell und barrierefrei einen Krankenwagen, die Polizei oder die Feuerwehr rufen kann. „Wenn ich Vorträge im Gehörlosenverein mache, rufe ich manchmal vorher bei der Feuerwehrleitstelle an und frage, ob wir mit der App einen Probenotruf machen dürfen, damit die Teilnehmenden sehen, wie es geht“, sagt Schmidt. Viele hätten Angst bei der Ersten Hilfe etwas falsch zu machen und sind unsicher, erklärt sie.

Notruf-Apps für Gehörlose

Mithilfe von Apps können Gehörlose barrierefrei einen Notruf absetzen. Im App Store oder Google Play sind Apps diverser Anbieter erhältlich, wie etwa „Hand Help“ oder die „Rot Kreuz Defi und Notruf App“. Letztere ermöglicht neben dem barrierefreien Absetzen eines Notrufs auch das Finden des nächsten Defibrillators.

Bereits 2013 hatten CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, eine barrierefreie Notruf-App oder eine zentrale Nummer für SMS-Notrufe zu entwickeln. Die Einführung der App „Salus“ sei für dieses Jahr geplant. Die Notruf-Apps ermitteln mit GPS den Standort und benötigen zusätzlich eine Internetverbindung, was in Deutschland zum Problem werden kann, da kein flächendeckendes Internet verfügbar ist. Eine einheitliche SMS-Notrufnummer, wie sie im Koalitionsvertrag 2013 genannt wurde, sei nach einem Bericht des Online Nachrichtenmagazins „EU-Schwerbehinderung“, laut der Bundesregierung „technisch nicht möglich“. (mw)

Da Schmidt selbst auch gehörlos auf die Welt kam, kann sie die Sorgen und Ängste der Teilnehmenden verstehen. Im Kindergarten und in der einer speziellen Schule für Schwerhörige lernte die 37-jährige Sprechen und Lippen lesen.

Wie in jeder Gruppensituation wird auch in Schmidts Kurs dazwischen gequatscht oder sich untereinander unterhalten. „Wenn zu viel durcheinandergeredet wird, sage ich stopp. Ich habe auch nur zwei Augen“, sagt Schmidt. Die zehn Teilnehmenden sitzen im Stuhlkreis ihr zugewandt, damit sie Schmidts Lippen lesen und ihre Gebärden sehen und damit zuhören können.

Mit Maske kein Lippenlesen

„Pandemiebedingt gibt es für Gehörlose natürlich Probleme, denn mit Maske ist es nicht möglich Lippen zu lesen“, stellt Havenstein fest. Damit werden Gehörlose im Alltag mit Corona vor große Herausforderungen gestellt.

Damit der Körperkontakt Corona-bedingt zwischen den Kursteilnehmenden so gering wie möglich gehalten wird, wird die stabile Seitenlage nicht wie normalerweise üblich am „lebenden Objekt“ geübt, sondern mit einer schweren, mit Sand gefüllten Puppe.

Für die Reanimation gibt es für Schmidts Kurs zudem eine besondere Puppe, die mit LED Leuchten ausgestattet ist, damit die übende Person sieht, ob richtig auf dem Brustkorb gepumpt wird.

Stefanie Schmidt erklärt, dass gehörlose Menschen häufig weniger gut gebildet seien, da das Angebot begrenzt sei. „Wenn es Angebote für taube Menschen gibt, freuen sich viele und machen im Kurs gut mit. „Es muss einfach mehr barrierefreie Kurse für Gehörlose und auch für Rollstuhlfahrer angeboten werden“.

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