Explosion in LeverkusenWie sich Currentas Spione in eine Facebook-Gruppe mogelten

Lesezeit 4 Minuten
Screenshot FB Bürrig

610 Bürriger reden in einer Facebook-Gruppe auch über die Explosion. Eine von Currenta beauftragte Agentur hatte sich dort eingeschlichen.

Leverkusen – „Du weißt, dass Du aus Bürrig bist, wenn . . .“ heißt die Gruppe bei Facebook. Seit besteht seit über einem Jahrzehnt, hat 610 Mitglieder, die natürlich fast alle aus dem Stadtteil gekommen. Und seit dem vorigen 27. Juli vor allem dieses eine Thema haben: die Explosion.

Daher kommt es Organisator Benjamin Roth seltsam vor, als vor ein paar Wochen eine Frau und ein Mann aus Düsseldorf der Gruppe beitreten, in sehr kurzem Abstand. Zuerst schreibt er einen gewissen „Viton Ng“ an und fragt nach, welchen Bezug er zu Bürrig hat und warum er beitreten mag. Keine Antwort.

Aber das bei Facebook hinterlegte Profil von „Viton Ng“ fällt Roth auf. „Viton“ beschreibt sich dort als Raketenwissenschaftler bei „The Rocket Scientists“. Das ist eine Agentur, die sich auf Kommunikation auf Plattformen im Netz spezialisiert hat. Also auch Facebook. Auf der Kundenliste stehen Currenta und der Chempark, auch Lanxess taucht auf neben Bentley und Bugatti in Düsseldorf.

Recherche in Xing zeigt die wahre Identität

Die zweite Person aus Düsseldorf, Svenja Krause, ist zunächst nicht als Mitarbeiterin der „Rocket Scientists“ zu erkennen. Roth forscht ein bisschen nach und findet die Frau auf der Karriere-Plattform Xing. Dort ist sie als „Senior Project Manager“ bei der Düsseldorfer Agentur verzeichnet. Roth erkundigt sich: „Hi, ich habe gesehen, Du bist der privaten Bürriger Gruppe «Du weißt, dass Du aus Bürrig kommst, wenn . . .» beigetreten. Darf ich fragen, welchen Bezug Du zu Bürrig hast?“ Es ist Freitagmittag. Eine knappe Stunde später kommt Svenjas Antwort: „Hi, ich habe Verwandte im Seniorenzentrum in Bürrig und da es in Corona-Zeiten mit den Besuchen ja nicht immer so leicht ist, bin ich der Gruppe beigetreten, um mich zu informieren, was so im Ort passiert. Gerade mit dem Chempark um die Ecke weiß man ja nie!“

Der Admin findet das nicht glaubhaft, entfernt die Neue nach zwei Tagen erst einmal aus der Gruppe. Eine Reaktion kommt erst am Montag drauf – „da war sie wohl wieder bei der Arbeit“, vermutet Roth.

„Wir sind keine Anti-Chempark-Gruppe“

Er bestätigt die erneute Beitrittsanfrage und begrüßt die „Rocket Scientists“ tags drauf mit ironischem Unterton, schreibt mit Blick auf den Job der Agentur: „Seid Ihr die Experten in strategischer Beratung, wenn Ihr Euch mit Desinformationen in eine private Gruppe mogeln müsst? Na dann, Hut ab. Wir sind keine Anti-Chempark-Gruppe.“ Wenn Currenta nach der Explosion kritisch gesehen werde, liege das am intransparenten Umgang mit der Katastrophe, die bei den Nachbarn der Verbrennungsanlage schlicht Sorgen hervorgerufen habe.

Roths Aufruf an die beiden Werber, es doch mal mit Ehrlichkeit zu versuchen statt seinen Verdacht zu nähren, im Auftrag von Currenta Imagepflege für das Unternehmen zu betreiben bleibt ohne Echo. Noch einen Tag später entfernt er Svenja Krause aus der Gruppe. „Chance vertan“, ist sein Kommentar.

Plötzliche Stille und die Kündigung

Etwas anderes hätte Roth auch kaum machen können: Nach der Enttarnung der Werber herrscht komplettes Schweigen in der Bürriger Facebook-Gruppe. Man möchte sich nicht so einfach aushorchen lassen von Leuten, die für Currenta arbeiten.

Eine Anfrage dort bestätigt Roths Verdacht: Die „Rocket Scientists“ waren wirklich im Auftrag des Chempark-Betreibers unterwegs. Sie seien übers Ziel hinaus geschossen. Vom Einschleichen in die Facebook-Gruppe habe man erst erfahren, nachdem Benjamin Roth die „Spione“ ausgeschlossen hatte. Currenta zeigt sich geradezu empört über die Methode: „Um es ganz klar zu sagen: Dieses Vorgehen widerspricht unseren Vorstellungen von einem offenen und transparenten Umgang mit der Öffentlichkeit und war daher für uns nicht hinnehmbar.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Vertrag mit den „Rocket Scientists“ sei aufgelöst worden. „Um gute Nachbarschaftsarbeit leisten zu können, müssen wir die Fragen, Sorgen und Ängste der Menschen in unserem Standortumfeld zwar kennen, aber: Das rechtfertigt nicht, sich durch falsche Angaben Zugang zu solchen Gruppen zu verschaffen.“ Die freie Rede in der Bürriger Facebook-Gruppe dürfte also erst einmal gesichert sein.  

KStA abonnieren