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Festnahmen in LeverkusenWie der kriminelle Al-Zein-Clan bis zur Razzia operierte

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Razzia LEV1

Polizisten bewachen ein Haus in Rheindorf, das im Juni 2021 durchsucht wurde und einem Clan gehören soll.

Leverkusen  – Aus dem Archiv: Dieser Text wurde im Juni 2021 nach der Festnahme des Clan-Oberhaupts erstmals veröffentlicht.

Badia Al-Zein gehörte zu den Top-Leuten in der rheinischen Unterwelt. Zwei Jahre lang hatten Sonderkommissionen der Polizei Düsseldorf und des Landeskriminalamtes NRW gegen die führende Größe des kurdisch-libanesischen Al-Zein-Clans und seine Familie ermittelt. Der Pate aus Leverkusen, eine der Hauptzielpersonen aus dem etwa 3000 Mitglieder umfassenden Familien-Syndikat, war für seinen Hang zur Gewalt bekannt. Bereits im September 2019 geriet der 46-jährige gebürtige Libanese nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ins Blickfeld wegen eines mutmaßlichen Raubüberfalls.

Als die Strafverfolger seine Telefone anzapften, klang die Verdachtslage bald nach dem halben Strafgesetzbuch: Drogenhandel, räuberische Erpressung, Entführung, Hehlerei, Zinswucher, Geldwäsche bis hin zu Gewaltdelikten standen auf der Liste. Und Sozialbetrug in sechsstelliger Höhe. Als Cousin des inzwischen in die Türkei ausgereisten Clan-Bosses Mahmud Ucar alias Mahmoud Al-Zein kam ihm laut Ermittlungen eine herausragende Stellung in dem Familiennetzwerk zu. Er gab nicht nur den Friedensrichter bei Sippenfehden, laut Justizbehörde avancierte Badia Al-Zein zu einer Art Kronprinz des geflüchteten Clanchefs, den sie „El Presidente“ nennen.

Offiziell von kargen Zuwendungen aus dem Jobcenter abhängig, lebte Badia Al-Zein auf großem Fuß in einer Villa in Leverkusen-Rheindorf. Finanziert wurde das Haus durch 15 verdeckte Zahlungen aus dem Familiennetzwerk an den jüngeren Sohn, der offiziell als Gebäudereiniger Einkünfte kassierte und mit dieser Legende einen Kredit über eine halbe Million für den Häuserkauf ergattern konnte.

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Zugleich flossen laut Staatsanwaltschaft Schwarzgelder für teure Autos und Uhren. Als Finanzchefin soll die 42-jährige Gattin des Leverkusener Clanchefs fungiert haben. Letzterer wurde häufig auf seinen Touren von Bodyguards in einem zweiten Auto begleitet.

Aus überwachten Gesprächen erfuhren die Kripo-Beamten, dass Badia Al-Zein das illegalen Glücksspiel schätzte. Er fuhr durchs Land, um nächtelang am Spieltisch zu zocken. So auch am frühen Dienstagmorgen. Ein Mobiles Einsatzkommando hatte den Beschuldigten durch das halbe Ruhrgebiet verfolgt. Es dämmerte bereits ein neuer Tag, als die Zielperson in Duisburg ein Café verließ und in ihren Wagen stieg, um nach Leverkusen zurückzukehren.

Illegal 400.000 Euro an Hartz IV bezogen

Der Zeitpunkt für den Zugriff war gekommen: Die landesweite Zentralstelle für Verfahren organisierter Straftaten (Zeos) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf hatte vier Haftbefehle bei Gericht erwirkt. Gegen den neuen mutmaßlichen Paten, seine Frau und seine beiden ältesten Söhne. Spezialeinsatzkräfte rammten den Wagen des Hauptverdächtigen und nahmen ihn fest. In seinen Taschen fanden sich mehr als 3500 Euro, im Auto weitere 14.000 Euro. Zwanzig Minuten später stürmten Beamte die Villa in Leverkusen, führten die Söhne ab. Die Ehefrau, Mutter von neun Kindern, wurde von der Untersuchungshaft verschont. Wie sich am Mittwoch herausstellte, fanden sich gut 600 000 Euro Bargeld, sowie Grundschulden in Höhe von einer halben Million Euro und diverse Schusswaffen. Zugleich soll die Familie illegal 400 000 Euro an Hartz-IV-Zuwendungen eingestrichen haben.

NRW-Innenminister Herbert Reul sprach nach dem Großeinsatz von einem Schlag gegen die erste Liga der Clans. Seit Beginn seiner Offensive gegen die wuchernde Kriminalität durch kurdisch-arabische Sippen an der Rhein- und Ruhrschiene hatte es nun einen mutmaßlichen Boss getroffen.

Trotz aller Euphorie über den Ermittlungserfolg bemängelt Oliver Huth, Vizechef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in NRW, erhebliche Defizite im Kampf gegen den organisierten Sozialschwindel: „Leider dauerte es aus meiner Sicht viel zu lange, um den illegalen Griff ins Steuersäckel zu verhindern“. Scharf kritisiert der Kripo-Vertreter die Jobcenter. „Im konkreten Fall hat sich die ARGE in Leverkusen über Jahre hinweg hinters Licht führen lassen.“

Dies liege insbesondere am wohlgehüteten Sozialgeheimnis. „Die Mitarbeiter dürfen der Polizei nicht einfach anlassunabhängig Hinweise auf etwaigen Betrug übermitteln.“ Nur wenn konkrete Anhaltspunkte für Straftaten vorliegen, dürfen die Strafverfolgungsbehörden entsprechenden Spuren nachgehen. Damit werde das Gros der Fälle nicht aufgedeckt, so Huth weiter. Vor dem Hintergrund fordert der BDK-Vertreter „eine bessere Schulung der Sachbearbeiter in den Jobcentern und einen besseren Info-Austausch mit der Polizei, um dem Hartz-IV-Schwindel auf die Schliche zu kommen.“

Zugleich macht Huth klar, dass mit der Razzia der Kampf gegen die Clans beileibe noch nicht gewonnen ist: „Das wird noch Jahre dauern.“

Das gilt auch für die Al-Zein-Sippe. Das kurdisch-libanesische Syndikat gehört zu den Global-Playern in der Clan-Welt. In Berlin und an der Rhein-Ruhr-Schiene ist die Familien aktiv: Das Portfolio reicht von Steuerhinterziehung, dem Panschen von Wasserpfeifentabak für Shisha-Bars über gewaltsame Übernahmen von Wettbüros, Schießereien bis hin zum Corona-Schwindel.

Die neue landesweite Zentralstelle für das organisierte Verbrechen ZeOS hat den Al-Zein-Clan in den Fokus genommen. Vergangene Woche erst ließen die Staatsanwälte bei einer anderen Gruppe durchsuchen. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, hatte die Bande ein Nebengeschäft entwickelt: den Verkauf gefälschter Impfpässe. In abgehörten Telefonaten redeten die Gangster über den Deal mit den Bescheinigungen. Als die OK-Ermittler mehrere Wohnungen in Solingen, Düsseldorf und Dortmund durchstöberten, stießen sie auf 30 bis 40 Päckchen (Bubbles) mit Kokain und 85000 Euro in bar. Die Impfpässe, so heißt es, wurden längst auf der Straße verkauft. „Wir gehen von mehreren hundert gefälschten Impfpapieren aus“, sagte ZeOS-Chef, Oberstaatsanwalt Andreas Stüve.

Laut dem LKA-Clan-Lagebild zählt der Al-Zein-Clan zu den Top-Ten in NRW. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit scheint der Sozialbetrug zu sein. So fiel Bilal H., eine führende Größe des Al-Zein-Clans in Essen, vor zweieinhalb Jahren wegen mutmaßlichen Hartz-IV-Schwindels. Bilal H., genannt „Pumpgun“, ist seit langem als Intensivtäter bei der Essener Kripo aktenkundig. Inzwischen sind durch die Nachforschungen mehrere Dutzend Clanmitglieder aus den staatlichen Sozialsystemen entfernt worden.

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