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Hochwasser in LeverkusenOpladener Flutopfer berichten mit zitternder Stimme

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Leverkusen – „Wenn man jetzt jemandem erzählt, dass über die Düsseldorfer Straße Bötchen gefahren sind, glaubt man das nicht mehr.“ Heinz-Peter Teller erinnerte sich auf den Tag genau sieben Monate nach dem Starkregen im Sommer an die schlimme Lage vieler Opladener und Opladenerinnen, in der sie sich nach der Flut befanden. Und weiterhin befinden.

Anwohnende und Vertreter des Gewerbes sowie der Stadtverwaltung diskutierten am Montagabend im Gemeindehaus Bielert über das Hochwasser und den Fortschritt des Wiederaufbaus ihres Viertels. Durch das Podium, das die Organisatoren, das Katholische Bildungsforum und das evangelische Kirchenwerk, aufboten, wurde klar: Es besteht viel Gesprächsbedarf zwischen Stadt und Bürgerschaft.

Stadtdechant Teller, dessen Kirche im Gegensatz zu seinem Mitdiskutanten Stephan Noesser, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde, im Trockenen stand, sprach der Gemeinde wohl aus der Seele: „Wenn in der Wettervorhersage gesagt wird, dass Starkregen angekündigt ist, dann krieg’ ich schon Beklemmungen.“ Ilse Wolfersdorf war erst vor einem Jahr in die Böcklerstraße gezogen. Im ebenerdigen Neubau hatte sie sich eine Wohnung fürs Alter gesucht. Als das Wasser schon längst in der Wohnung stand, nahm sie ihre Handtasche und floh zu Nachbarn über ihr. Wolfersdorfs erste Übergangswohnung lag im Souterrain. „Ich habe es bei Regen da nicht ausgehalten.“

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Schließlich nahmen Fremde sie in einer leerstehenden Wohnung in Langenfeld auf. Die Hilfsbereitschaft von Menschen, die sich vorher nicht kannten, wurde auch am Montag herzerwärmend geschildert. Aber die Schrecken der Flut sitzen noch tief. Cornelia Drobka berichtete, wie sie die Nacht in ihrer Wohnung in der Bielertstraße im Hochparterre erlebte. Aus den nachmittäglichen Versuchen, den Keller leer zu pumpen und abends das Auto doch noch ein Stück weiter weg zu parken, wurde irgendwann die verzweifelte Rettung der Babyfotos und wichtigsten Unterlagen, letztlich die Aufgabe der Wohnung und Rettung von Kind und Hund – auch hier ging es zu den Nachbarn im ersten Stock.

Die psychosozialen Folgen der Katastrophe kamen im Gemeindehaus dramatisch zum Vorschein. Nach ihren Strategien für die Zukunft fragte Jennifer Weißenfels, Moderatorin des Abends: „Mein Sohn sagt, er möchte nur noch in einem Hochhaus wohnen“, sagte Drobka mit zitternder Stimme. Im Keller lagert die Familie seitdem nichts mehr, und versichert seien sie nun gegen alles, sogar ein Lavastrom mit Hagelsturm könne kommen, sagte sie lakonisch.

„Es war erstmal alles weg. Aber die Angst, wenn das Wasser wieder kommt, die bleibt“, bestätigt Jan Schreckenberg. In seinem Küchengeschäft am Berliner Platz stand das Wasser 1,40 Meter hoch. 120 Tonnen Müll, 600 kaputte Elektrogeräte hat er entsorgt. Ihm fehle die Kommunikation mit Stadt, Land und Wupperverband. Anwohner aus der Wiembachallee schlossen sich der Kritik applaudierend an. Eine Rekonstruktion der Wasserläufe des Starkregenereignisses, frühzeitigere Warnungen, Handlungsanweisungen für den Katastrophenfall, bessere Hilfen im Nachhinein und konkrete Pläne zur Vorbeugung – danach fragten die Betroffenen im Bielertviertel.

Christiane Jäger bekam als Leiterin der Abteilung Klimaschutz und Mobilität im Rathaus – die Position hat sie seit Oktober 2021 – einiges an Frust ab. Geduldig gab sie Antworten: „Leverkusen ist eine extreme Wasserstadt, aber man hat bis jetzt das Augenmerk eher auf den Rhein gelegt“, in Opladen aber kamen Wupper und Wiembach zusammen.

Jäger kündigt einiges an, ihr Team befinde sich erst am Anfang. „Wir brauchen eine andere Sensorik in den Flüssen: mehr Pegel, die auch über gewisse Grenzen hinaus noch senden.“ Die „große Koordinationsaufgabe“, die bis zum 27. Dezember beim Krisenstab lag, liegt nun in ihrem Fachgebiet. Der Aufbau einer Webseite soll folgen, und die großen Fragen, wo eigentlich welches Wasser woher kam, würden mit dem Wupperverband aufgearbeitet.

Perfekte Sicherheit ist utopisch

„Es wird nie eine 100-prozentige Sicherheit geben, dass keine Schäden entstehen werden“, schraubte Anja Bierwirth unrealistische Erwartungen herunter. Die Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel am Wuppertal Institut sprach von Resilienz. Hochwasser- und Klimaschutz wie auch Klimaanpassung seien notwendig, aber Strukturen zur Vor- und Nachsorge seien ebenso entscheidend.

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Die Kommunikationskette hat für Bierwirth schon viele Ebenen vor der Stadt Leverkusen nicht richtig funktioniert und spontanes, flexibles Handeln sei ohnehin eine Schwäche der Behörden, für die eine Stadt kaum etwas könne. Auch für Jäger ist die Aufarbeitung von Informationen und womöglich lebenswichtigen Warnungen wichtig. Mit einer Infoveranstaltung nächste Woche will die Stadt die Bürger erstmals einbeziehen.

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