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Preisgekrönte ReportageDas rechte Netzwerk des Leverkusener AfD-Sprechers Yannick Noé

Lesezeit 6 Minuten
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Yannick Noé bei einer Veranstaltung der Leverkusener AfD (Archivbild)

  • Der AfD-Bundesvorstand hat eine Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung verboten.
  • Ein NRW-Funktionsträger jedoch macht gemeinsame Sache mit führenden Köpfen der Rechtsextremen.
  • Bundesweit gibt es zahlreiche Berührungspunkte zwischen der Partei und der Bewegung.

Köln/Leverkusen – 22. Juni 2016: der Bundesvorstand der Alternative für Deutschland (AfD) legt in einem „Unvereinbarkeitsbeschluss“ unmissverständlich fest: Mit der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung (IB) arbeiten die Partei und ihre Gliederungen nicht zusammen. Damit ist die Sache geregelt. Offiziell.

14. Juli 2017: In Leverkusen wollen sich 140 Anhänger der Neuen Rechten zu einem Sommerfest im Schloss Morsbroich treffen. Eingeladen hat ein Verein namens „Publicatio“. Der Vorsitzende: Yannick Noé, Vorstandssprecher der Leverkusener AfD. Nur wenige Stunden vor der Veranstaltung entzieht die Stadt allerdings die Genehmigung. Der Grund: Entgegen vorheriger Angaben seien politische Redner eingeladen worden. Zwei führende Akteure der Identitären Bewegung.

AfD-Politiker Noé hält an seinen Plänen fest, binnen einer Stunde hat er einen Ausweichort gefunden. Das Fest findet statt. In einem nicht weiter bekannten Privatlokal hören also Mitglieder der Jungen Alternative (JA) zusammen mit anderen Rechten eine Lesung von Martin Sellner, Co-„Leiter“ der „Identitären Bewegung Österreich“ und mit gut 30.000 Facebook-Fans der Posterboy der Rechtsextremen. Mit dabei ist auch Mario Müller, ehemals ein Gesicht der Bremer Neonazi-Szene und nun Leiter des deutschen IB-Ablegers „Kontrakultur Halle“. Sie sprechen darüber, wie Migranten Europa zerstören. Noé zahlt Sellner für dessen Auftritt Geld. Das sagt der AfD-Politiker im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Unvereinbarkeit ist an diesem Abend kein Thema. Auch nicht bei den Parteifreunden, von denen nach Noés Angaben im Gespräch mit dieser Zeitung einige anwesend gewesen sein sollen. Bilder und Videos von dem Fest landen anschließend auf „Youtube“ und „Facebook“ – unter anderem verbreitet durch die Identitären selbst. In der AfD kümmert es trotzdem niemanden, dass sich an jenem Juliabend unter der Schirmherrschaft eines Funktionsträgers Parteimitglieder mit den Rechtsextremen vernetzten.  

Eine „Bravo“ für junge Rechte

Denn Noé hat seine Verbindungen zu den Identitären außerhalb der Partei geknüpft. Mit „Arcadi“, einem von ihm 2016 gegründeten Jugendmagazin für Nachwuchsrechte, das es seit gut anderthalb Jahren als Online-Magazin gibt. Das Layout erinnert an eine Mischung aus „Bravo“ und „Neon“. Die Lettern sind groß, das Logo ist: schwarz, weiß, rot. In den Artikeln stehen Dinge wie, dass Frauen an den Herd gehören und Deutschland ein Ethnozid durch Vermischung mit anderen Völkern bevorsteht.

Yannick Noé, der sich „Chefredakteur“ nennt, sagt, das sind Meinungen, die in Ordnung gehen – auch wenn er sie vielleicht nicht vollständig teilt. Auch ein Interview mit dem IB-Funktionsträger Sellner findet sich auf der Website. Geführt von Noé. Im Oktober 2017 kam die erste Print-Ausgabe. Im Heft berichtet ein AfD-Mitglied aus Mülheim an der Ruhr darüber, wie er sich in Frankreich dem IB-Vorbild „Génération Identitaire“ anschloss. Dahinter folgt eine Reportage von der „C-Star“ – einem Schiff, das die Identitäre Bewegung im vergangenen Jahr charterte, um im Mittelmeer Seenotretter zu blockieren. Auch im zweiten Heft, erschienen im Februar, schreibt mindestens ein bekanntes IB-Mitglied.

Finanzielle Verbindungen

Die Verbindung von IB und „Arcadi“ ist auch wirtschaftlich. In einem Artikel vom 30. Dezember 2017 ruft Noé mit Kontoverbindung zu Spenden für Sellner auf. Die IB finanziert im Gegenzug „Arcadi“ mit: Neben Werbung für zwei Neonazi-Shops findet sich auch ein ganzseitiges Inserat der Identitären Bewegung im ersten Heft. Noé gab im Gespräch mit dieser Zeitung an, dafür Geld von den Identitären erhalten zu haben.

Der Jungpolitiker ist im NRW-Landesverband nicht unbekannt: Mit 18 schon war er Mitbegründer einer der ersten AfD-Hochschulgruppen in Düsseldorf, danach im Landesvorsitz der Jungen Alternative. Dennoch will niemand in der Partei seine Aktivitäten mit Vertretern der IB bemerkt haben. Andreas Keith, Geschäftsführer der NRW-AfD, teilte auf Anfrage mit, man habe noch nie gehört, dass sich nordrhein-westfälische Parteifreunde, speziell auch Yannick Noé, nicht an die „unzweideutige Unvereinbarkeitsklausel“ seiner Partei bezüglich einer Zusammenarbeit mit der IB halten würden. Die Vorwürfe würden jetzt auf ihre „Stichhaltigkeit und Richtigkeit geprüft“.

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Der Unvereinbarkeitsbeschluss ist schließlich nicht ohne Grund zustande gekommen. Wie ein rechtsextremer Exportartikel schwappte das Konzept der „Génération Identitaire“ von Frankreich erst nach Österreich und 2012 auch Deutschland. „Damit konnten sich Neonazis ein neues Image verpassen“, sagt Alexander Häusler, Experte von der Hochschule Düsseldorf mit Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus. Bekannte rechte Parolen waren bei der IB unwillkommen.

Als hip, gewaltfrei und gegen das Establishment inszeniert sie sich. Und doch: Ihre Programmatik ist altbekannt, sie klingt im ersten Moment nur nicht so. Aber wenn die IB von „Ethnopluralismus“ in Europa spricht und „Remigration“ fordert, dann heißt das nicht anderes als: Deutschland den Deutschen. Seit 2016 werden die Identitären deswegen vom Verfassungsschutz beobachtet. Kein besonders attraktiver Partner also für die AfD.  

Schnittmengen mit der Neonazi-Szene

Mittlerweile gibt es in NRW mehrere IB-Ortsgruppen, darunter in Bochum und Köln. Insgesamt hat die Bewegung laut Verfassungsschutz 300 Mitglieder in Deutschland. Viele davon sind „Reisekader“, die durch das Land ziehen, um Protestaktionen abzuhalten. Die werden später medienwirksam mit Hochglanz-Videos im Internet verbreitet. Wie eine Art „Greenpeace“ für heimattreue Jugendliche kann das zunächst wirken. „Es gibt allerdings deutliche Schnittmengen zur Neonazi-Szene“, betont Experte Alexander Häusler. IB-Chefideologe Sellner selbst hat eine Neonazi-Vergangenheit, die er sich nicht bemüht zu verstecken. Zuletzt verweigerten ihm britische Behörden wegen seiner politischen Motive sogar die Einreise und hielten ihn zwei Tage lang fest. In Köln traten die Identitären Ende 2016 das erste Mal auf, als sie ein Transparent vom Dach des Hauptbahnhofs entrollten. Eine ähnliche Aktion gab es wenige Monate zuvor auf dem Brandenburger Tor in Berlin.

„Das ist ein ständiges Spiel um öffentliche Resonanz“, sagt Häusler. „Die Mittel dafür sind völkische Untergangsparolen und Islamhass.“ Die SPD-Landtagsfraktion NRW nannte das Weltbild der Identitären Bewegung kürzlich in einer Pressemitteilung „kulturrassistisch“. Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen erklärte, „Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten“ würden durch die IB „in extremistischer Weise diffamiert“. Dass die Identitären allerdings zu weit mehr als Parolen bereit sind, zeigen Fälle aus Halle und Berlin, wo Anhänger der Gruppierung Polizisten angriffen.

Die Arbeit der IB schaffe aber vor allem laut Häusler eine Art „rechtsextremes Online-Gemeinschaftsangebot für Jugendliche“. Und es deutet viel darauf hin, dass „Arcadi“ ein Teil davon ist, was Noé vehement bestreitet. Solange er seine IB-Bekanntschaften zudem als „Arcadi“-Chef pflege, würde er auch den Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD nicht verletzen, ergänzt der 21-Jährige. 

„De-facto-Zusammenarbeit“

Doch die Übergänge zwischen beiden Rollen scheinen fließend: Viele Autoren des Online-Magazins sind Parteifreunde von Noé. Er selbst stellte das Magazin schon bei einem AfD-Stammtisch in Köln vor. „Der Unvereinbarkeitsbeschluss wird schon lange informell unterwandert“, sagt Extremismusforscher Häusler: „Die AfD fährt eine Doppelstrategie. De facto arbeiten viele Politiker mit der Identitären Bewegung zusammen, dürfen es aber niemals zugeben.“ Dennoch räumte der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland bereits ein, die IB und die AfD hätten durchaus inhaltliche Gemeinsamkeiten.

Nachdem auf dem jüngsten AfD-Parteitag der Vorschlag besprochen wurde, die IB doch wieder von der Unvereinbarkeitsliste zu streichen, berichtete der „Spiegel“ Mitte Februar über Chatprotokolle, die belegen sollen, dass Mitglieder der Gruppierung einem AfD-Politiker im Wahlkampf geholfen haben. In weiteren Recherchen von „WDR“, „RBB“, „NDR“ und „Süddeutsche Zeitung“ wurde das Innenleben eines rechten Forums bekannt. Dort sollen IB-Mitglieder gemeinsam mit AfD-Mitgliedern in „Heeresgruppen“ Hetzkampagnen im Internet geplant haben. IB-Mann Martin Sellner soll dort eingeloggt gewesen sein. Und mindestens ein Mal, so bestätigte es sein Anwalt dem „RBB“, auch Yannick Noé. 

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