Interview„Viele beantragen Kurzarbeit vorsorglich bis Jahresende“

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Andreas Tressin ist Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektroindustrie.

  • Sollen Unternehmen das Kurzarbeitergeld in jedem Fall aufstocken?
  • Nein, sagt Andreas Tressin: Das könnte Firmen gefährden.
  • Der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands spricht über Lage in der Corona-Krise.
  • Und wie die Unternehmen mit der Unsicherheit umgehen.

Leverkusen – Andreas Tressin ist Geschäftsführer der Unternehmerschaft sowie des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektroindustrie Rhein-Wupper. Letztere Branche hat die Wucht der Corona-Krise sehr schnell zu spüren gekommen – und musste in dieser Phase auch noch über den Tarif verhandeln. Der „Leverkusener Anzeiger“ stellt Fragen zur Lage.

Herr Tressin, so einen Tarifabschluss wie diesen haben Sie mutmaßlich noch nie erlebt.

Doch, schon in der Finanzkrise vor zehn Jahren hatten die Tarifvertragsparteien ihre Handlungsfähigkeit bewiesen und einen ähnlichen Abschluss getätigt. So konnte man in dieser Runde auf dem Erfahrungswissen des Regelungswerkes von damals aufbauen.

Können Sie glücklich sein mit den Verabredungen?

In Zeiten, in denen unsere Unternehmen um die nackte Existenz kämpfen und wir alle schnellstmöglich den richtigen Impfstoff herbeisehnen, haben die Tarifvertragsparteien jedenfalls die richtige Rezeptur gefunden, die aktuell notwendig ist, um einerseits die Liquidität der Unternehmen nicht weiter einzuschränken und die den Arbeitnehmern nicht nur mehr Einkommenssicherheit, sondern zugleich auch mehr Beschäftigungssicherung bieten kann.

Kurzarbeitergeld aufstocken kann gefährlich sein

Positiv ist auch, dass alle Bausteine im Rahmen der tariflichen Regelungen nicht im Sinne eines „Entweder-Oder“ sondern eines „Sowohl-Als-Auch“ von den Betriebsparteien für jeweils auszubalancierende Lösungen genutzt werden können. So wurde eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes obsolet, die am Ende sowieso keinem Unternehmen hilft, wenn es dabei in die Insolvenz geht. Alle tariflichen Instrumente sind zu den bereits gesetzlichen Regelungen zur Kurzarbeit kompatibel; kurzum: ein ausgewogenes Gesamtpaket.

Die Metallindustrie ist eine von vielen Branchen, die massiv unter den Nebenwirkungen der Corona-Pandemie leiden. Wie ist die Lage, in Leverkusen und Burscheid gibt es ja große Autozulieferer?

Wir erleben derzeit eine Phase der Improvisation und Ungewissheit, der Virus wirkt wie paralleler Schock sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Betroffen sind faktisch alle, es geht nur um das „mehr oder weniger“. Nichts ist mehr planbar, weder auf der Zuliefererseite noch auf der Abnehmerseite. Auf Sicht fahren heißt aktuell „von Woche zu Woche“, teilweise sogar „von Tag zu Tag“ zu planen.

Biebighäuser ist in Kurzarbeit. Werden andere folgen?

In der Tat, einige einige befinden sich schon in Kurzarbeit: Tenneco, bei  SKF steht das nach Ostern an. Andere werden folgen. Wir merken das bei der Beratung der Anträge auf Kurzarbeit, die von vielen vorsorglich für einen längeren Zeitraum, zum Teil bis zum Ende des Jahres, beantragt werden. Eine Konkretisierung erfolgt dabei zunächst einmal für kurze Zeiträume, je nach Betroffenheit. Der Beratungsaufwand im Verband ist sowohl in juristischer als auch arbeitswirtschaftlicher Hinsicht jedenfalls gigantisch.

Bund und Land versuchen, mit beispiellosen Summen die Firmen zu stützen. Reicht das? Worauf kommt es jetzt an?

Ob das reicht, wird letztlich die weitere Entwicklung der Pandemie zeigen. Im Moment ist für die Unternehmen am wichtigsten, dass sie zahlungsfähig bleiben. Es geht also um Liquidität und deshalb muss die Unterstützung ganz schnell bei den Unternehmen auch ankommen, sonst geht ihnen die Puste aus und sie müssen Insolvenz anmelden.

Das Geld muss jetzt sehr schnell fließen

Beispiel Kurzarbeit: Das Kurzarbeitergeld müssen die Unternehmen für die Arbeitnehmer erst einmal vorstrecken. Deshalb ist es jetzt ganz wichtig, dass die Agentur für Arbeit Infrastrukturen zur Verfügung stellt, die einen schnellen Geldfluss garantieren.

Noch mal zur Kurzarbeit. Die Unternehmen sind deutlich entlastet worden, weil sie nicht mehr für die Sozialbeiträge aufkommen müssen. Aus der Politik heißt es deshalb, sie sollten das Kurzarbeitergeld aufstocken. Ist das realistisch?

Die Frage muss anders lauten: Macht das Sinn? Hintergrund: Die Unternehmen müssen allein deshalb nicht mehr für die Sozialbeiträge aufkommen, weil man bei einer geringeren Arbeitsleistung und damit Wertschöpfung, die Unternehmen bei der Liquidität entlasten wollte, um Beschäftigung zu sichern. Wenn das Geld nun für Kurzarbeitergeldzuschüsse eingesetzt werden soll, würde der gewünschte Entlastungseffekt ins Leere laufen und die Unternehmen müssten zwangsläufig über Entlassungen nachdenken.

Gibt es Lichtblicke, selbst wenn das auf Kosten von Konkurrenten im Ausland geht?

Ich weiß nicht, ob man im Zusammenhang mit der Pandemie von Lichtblicken sprechen kann, aber wir erleben aktuell vereinzelt auch skurrile Situationen. So sind im Moment zum Beispiel vor allem Berater (wie auch wir) gefragt, die den Unternehmen einen Kompass in die Hand geben, der eine Richtung bei der Umsetzung der Flut von Gesetzesvorschriften gibt. Wie fragil im Übrigen unsere Lieferketten sind, zeigt ein Beispiel: So kann ein „Shutdown“ eines Unternehmens in Oberitalien dazu führen, dass in der Tat ein Produzent vor Ort einspringen soll. Das kann aber auch nur zu einer Momentaufnahme werden, wenn die Produktion hier aufgrund eines akuten Corona-Falls ebenso eingestellt werden muss.

Schon vor der Corona-Krise war ein Abschwung in Sicht. Kommt es deshalb jetzt noch schlimmer?

Das wird von Branche zu Branche unterschiedlich sein. Sicher ist, dass man nicht auf Knopfdruck die Betriebe von Stillstand auf Vollkonti umstellen kann. Dafür sind die jeweiligen Arbeitsprozesse und die Wertschöpfungsketten, zum Teil auch die grenzüberschreitenden Lieferketten, zu komplex und zu heterogen.

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Das Virus, das schleichend gekommen ist und bei dem nach wie vor unklar ist, wie lange es noch bleibt, wird sich mit Sicherheit auch bei einem „Exit-Szenario“ noch eine ganze Weile auf dem Markt auswirken. Auf der Angebots- und der Nachfrageseite.

Wie lange können die Unternehmen den Krisenmodus durchhalten?

Wir wissen jedenfalls aus der Beratungspraxis, dass jeder Tag länger bei einigen Unternehmen schon beinahe ein Tag zu viel ist.

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