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Leverkusener BrückeMinderwertiger Stahl aus China beschäftigt Landtag

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Porr packt ein: Am Mittwoch begann der gekündigte Generalunternehmer damit, die Baustelle am Rhein zu räumen.

Leverkusen – Wer hat nun was wann gewusst? Diese Frage wird am Mittwoch im Landtag allenfalls lückenhaft beantwortet. Verkehrsminister Hendrik Wüst nennt in einer sehr lebhaften Debatte zwar ein paar Daten, die von Bedeutung sind im Zusammenhang mit dem Desaster um die neue Leverkusener Brücke. Es wird aber nur klar, dass Straßen NRW und Porr von Beginn an Probleme miteinander hatten, schon seit mehr als einem Jahr über die Qualität der chinesischen Stahlbauteile streiten, und das heftig: Im Februar 2019 sei erstmals „das Szenario einer Kündigung diskutiert worden“, so Wüst in einer Aktuellen Stunde des Landtags.

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Darauf folgten nach Angaben des Ministers Krisensitzungen im März, Mai und Juli 2019. Ende November habe Straßen NRW der österreichischen Baufirma schließlich ernsthaft mit Kündigung des Vertrags gedroht und weitere Fristen gesetzt. So müsse man vorgehen, um schließlich eine „Kündigung aus wichtigem Grund“ aussprechen zu können.

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Gravierende Mängel

Genau das war am vorigen Freitag geschehen, nachdem am 27. Februar und 10. März die Gutachten für die ersten beiden Stahlteile vorlagen, die nach Europa verschifft wurden, obwohl Straßen NRW Bedenken hatte. Diese beiden Bauteile für die Brückenpfeiler seien „so gravierend mangelhaft“, dass sie nicht repariert, sondern neu konstruiert werden müssen, referiert Wüst die Auffassung von Straßen NRW. Darüber habe man mit Porr noch Einvernehmen herstellen können.

Aber die anderen 78 Teile habe die Baufirma nicht verschrotten lassen wollen. Daran ist die Sache schließlich gescheitert. Ein Experte habe befürchtet, dass beim Neubau „eine Sollbruchstelle entsteht, die kein Prüfer abnimmt“, so Wüst. Die neue Brücke hätte genau so permanent überwacht werden müssen wie die kaputte jetzige. Dabei sei für den Neubau eine Lebensdauer von 80 Jahren prognostiziert.

Neue Ausschreibung geplant

Der eigentliche Brückenbau wird nun neu ausgeschrieben, und diesmal soll auch der Stahlbauer direkt im Boot sein. Bei der Vergabe an Porr war China Rail nur Subunternehmer. In der Neuausschreibung soll stehen, dass die neue Brücke im September 2023 fertig ist. Unterdessen werde weitergearbeitet, rechts- wie linksrheinisch. Nur an der eigentlichen Brücke geschehe zunächst mal nichts.

Während von SPD, Grünen und AfD harsche Vorwürfe an den Minister kamen, unterstreicht Rüdiger Scholz (CDU) im Landtag seine Haltung: Er nimmt seinen Parteifreund Wüst in Schutz, dessen Weg sei „besonnen und zielgerichtet“. Die Verantwortung liege beim Bauunternehmen. Porr sei offenbar nicht bereit, für die Qualitätsmängel beim Stahl einzustehen. Dass die fertigen Teile repariert und dann doch eingebaut werden sollten, könne nicht sein: „Bei dem Gedanken wird den Leverkusenern angst und bange.“

Opposition fühlt sich übergangen 

Die Opposition im Düsseldorfer Landtag schäumt, fühlt sich beim Bauskandal um die Leverkusener Rheinbrücke von NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) übergangen. Von Verschleppung und Vertuschung der Probleme mit dem China-Stahl ist die Rede, die Abgeordneten hätten erst aus den Medien über die drohende Kündigung des Vertrags mit dem Generalunternehmer erfahren, über die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Samstag, 18. April, exklusiv berichtet hatte. Durch die Kündigung wird sich die Fertigstellung des ersten Neubauteils mindestens um knapp zwei Jahre bis September 2023 verzögern.

SPD-Fraktionsvize Jochen Ott räumt ein, das Bauprojekt stehe „symbolisch für das Versagen aller Regierungen in Deutschland im Umgang mit der Infrastruktur. Hier droht der Berliner Flughafen in Form einer Brücke.“ Ott fordert den Verkehrsminister auf, rückhaltlos offenzulegen „wie es zu dem Desaster kommen konnte und wie der Bau trotzdem beschleunigt beendet werden kann“.

Die Grünen hätten wegen der Bedeutung der Brücke für das Verkehrsnetz aufgrund der besonderen Situation mit zugestimmt, „zwei Klage-Stufen bei Einsprüchen gegen den Bau wegfallen zu lassen und die Bürgerbeteiligung wegen der hohen Dringlichkeit einzuschränken“, sagt Fraktionschef Arndt Klocke. „Dies hat uns bei Leverkusener Anwohnern und bei den Umweltverbände keine Freunde gemacht. Umso verheerender ist es jetzt – im April 2020, dass wegen der mangelhaften Stahlqualität und der notwendigen Asbest-Sanierung beim Abriss der alten Brücke der Bau voraussichtlich mindestens drei Jahre länger dauern wird.“

Es ging nur um Wirtschaftlichkeit

Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) betont, in der Ausschreibung für die Leverkusener Brücke, die noch von der rot-grünen Landesregierung vorgenommen wurde, sei die Abgabe wirtschaftlichsten Angebots das „einzige Wertungskriterium“ gewesen. Der Baukonzern habe alle Nachweise erfüllt und Qualifikationen nachgewiesen. „Demnach war der Firma der Zuschlag zu erteilen. Da gibt es dann kein Ermessen mehr“, sagte Wüst. „Es war ausdrücklich kein Verhandlungsverfahren.“ Diese Art der Vergabe habe der damalige Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) gewählt, weil man Vergabe-Beschwerden vermeiden wollte, um zügig bauen zu können. Bei diesem Verfahren habe man auch nicht vorschreiben dürfen, woher der Stahl zu kommen habe.

Beim Neubau der Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp habe man die Konsequenzen gezogen und den Stahlbauer in die Bietergemeinschaft einbezogen. „Das werden wir jetzt genauso machen, damit wir ihn im Falle eines Falles als Vertragspartner am Schlawittchen nehmen können“, sagt Wüst. Bei der alten Ausschreibung sei der Stahlbauer nur Subunternehmer gewesen.

Der Baukonzern Porr habe „bis in die letzten Wochen wiederholt, dass die Produkte, wenn sie fertig und angeliefert sind, vertragskonform vorliegen“, so Wüst. Die eigenen Prüfer in China – „sehr renommierte Fremdüberwacher“ – hätten aber nur eingeschränkt prüfen können. „Das, was wir da hatten, hätte für eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht gereicht“, so Wüst. Man habe den Beweis erst nach Ankunft der Bauteile in Rotterdam erbringen können. Deshalb gehe er davon aus, dass Straßen NRW bei einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Baukonzern gute Chancen habe, „weil es eine Kündigung aus wichtigem Grund ist“. Natürlich könne er nicht ausschließen, dass sich der Bau durch die neue Ausschreibung verteuern werde, so der Verkehrsminister. Der neue Weg unterliege einem „kalkulierbaren Zeitplan“. Hätte man sich trotz aller Bedenken auf die Sanierung der Stahlbauteile eingelassen, wäre das nur schwer zu garantieren gewesen, so Wüst.

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Die zweite Leverkusener Abgeordnete Eva Lux (SPD) meldet sich nicht zu Wort, wohl aber ihr Genosse Andreas Kossiski, der seinen Wahlkreis im Kölner Norden hat und OB werden will. Er wirft Wüst vor, alle Beteiligten im Unklaren über das sich abzeichnende Brücken-Desaster gelassen zu haben. Das sei völlig inakzeptabel. Informationen für die Politiker gab es bisher immer aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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