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Leverkusener KlinikumKampf um jeden Atemzug - ein Besuch auf der Intensivstation

Lesezeit 3 Minuten
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Krankenpflegerin Anne  Sygula  trainiert mit ihren Covid-Patienten die Atmung.

Leverkusen – Wenn Herr W. atmet, hebt sich sein Brustkorb ruckartig, es sieht aus, als würde er nach Luft schnappen. Es sieht unnatürlich aus. Es ist unnatürlich. Eine Maschine atmet für Herrn W., weil er es nicht selbst kann. Der 63-Jährige ist einer von zehn Patienten, die zurzeit im Klinikum in Schlebusch auf der Intensivstation behandelt werden. Und es werden Woche für Woche mehr. Wurden hier, auf Etage zwei, während der zweiten Welle vier bis fünf Patientinnen und Patienten behandelt, sind es nun doppelt so viele. Krankenpflegerin Anne Sygula zieht ihren grünen Schutzkittel an, blaue Handschuhe, Brille.

Seit 2012 arbeitet die 31-Jährige auf der Intensivstation. Heute übt sie mit Herrn W. (Name geändert) atmen. Bis zu sechs Mal am Tag stellt Sygula die Maschine um, damit der Patient eigene Atemzüge machen kann. Die scheinbar einfachsten Sachen müssen trainiert werden. Herrn W. ragt ein Schlauch aus der Nase, aus dem Hals, Monitore piepsen und zeigen Blutdruck, Sauerstoffsättigung und Puls an. 136 zu 60, 143 zu 65, Herr W. ist angestrengt. Am Gerät hängen Fotos: Eine Schar Enkelkinder lacht ihn an.

Anne Sygula haut so schnell nichts um, „man bekommt ein dickes Fell auf der Intensivstation“, sagt sie, Hände in die Hüfte gestemmt. Während der Pandemie hat sie sich neue Hobbys gesucht, sie macht Sport und ging auch vorher schon gern spazieren, erzählt sie. „Vor allem ist es ein Privileg, arbeiten zu gehen“, findet die Opladenerin. Sie, die ihre Energie aus Sozialkontakten zieht, könnte sich einen Job im Homeoffice nicht gut vorstellen.

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Doch auch an der 31-Jährigen geht die Situation nicht spurlos vorbei. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr eine 38-jährige Covid-Patientin, die an einer Hirnblutung starb. „Ich bin nicht viel älter“, sagt sie und wirkt dann doch bedrückt.

Auch wenn solche Fälle nach wie vor selten sind: Die Patienten werden jünger und sie bleiben länger auf der Intensivstation – nicht nur hier in Schlebusch. Herr W. ist bereits seit fast einem Monat da. Das Klinikum nimmt auch Covid-Patienten aus anderen Städten auf. „Das Kölner Stadtgebiet ist gerade relativ am Limit“, erklärt der 35-jährige Leon Lorenz, Facharzt für Anästhesie und angehender Oberarzt. Ob Kölner oder Düsseldorfer Einzugsgebiet, letztendlich ist egal, wo die Patienten herkommen: „Wir helfen.“

Die Arbeit sei für das Personal nicht nur physisch belastend, auch emotional, wenn man so schwere Verläufe sehe, sagt er. Gerade die Pflegekräfte hätten einen „harten Job“. Dem Bergisch Gladbacher geben seine beiden Kinder Kraft, den Alltag auf der Station durchzustehen. Dann muss er los, zieht sich Schutzkleidung und Faceshield an und betritt das Nachbarzimmer von Herrn W.

Hier liegt ein Patient, der an die ECMO-Maschine angeschlossen ist. Dieses Gerät hat das Klinikum im Dezember angeschafft, es ersetzt nahezu die Lungenfunktion. Blut wird in einem Schlauch aus dem Körper ausgeleitet, mit Sauerstoff angereichert und zurückgeleitet. Stationsarzt Leon Lorenz und sein Chef Christian Mey stehen um den Patienten herum, den Blick auf die Monitore gerichtet.

Herr W.s Atemübungen nebenan laufen noch. Dass bei Angehörigen, die derzeit auf der Intensivstation absolutes Besuchsverbot haben, schon mal Unverständnis und Wut entstehen, dafür hat Leon Lorenz Verständnis. Wenn man die schweren Verläufe nicht miterlebt, dann könne sich das in solchen Reaktionen äußern. „Aber alle Angehörigen können versichert sein, dass wir den Patienten die bestmögliche Behandlung angedeihen lassen“, erklärt der 35-Jährige.

Derweil ist Pflegerin Anne Sygula aus dem Isolierzimmer von Herrn W. raus. Die Inzidenz ist zu Wochenstart schon wieder stark gestiegen. Ja, sagt sie und seufzt, „wir bereiten uns auf das Schlimmste vor“. Und dennoch: „Ich bin gerne hier“, sagt sie, „meine Kollegen motivieren mich, meine Leitung hat ein offenes Ohr, ich könnte mir nichts anderes vorstellen.“

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