Lise-Meitner-Gymnasium LeverkusenEhemaliger Nazi spricht über Radikalisierung

Lesezeit 4 Minuten
Tag der Demokratie3

Christian Weißgerber war beim Lise-Meitner-Gymnasium zugeschaltet.

Leverkusen – „Frag einen ehemaligen Nazi“, hieß es im Rahmen eines bunten Bildungsfestivals zum Tag der Demokratie am Lise-Meitner-Gymnasium. Dafür stand den Neunt- bis Elftklässlern der Aussteiger aus der rechten Szene und Autor des Buches „Mein Vaterland! Warum ich ein Neonazi war“, Christian Weißgerber, offen und ehrlich für alle Fragen Rede und Antwort.

Drei Stunden lang fand der Austausch statt. Es ging um rechtsextreme Parallelgesellschaften und auch um die AfD. „Ob dritter Weg, die Rechte oder die Siedlerbewegung – die Alternative für Deutschland trägt eine Scharnierfunktion zwischen allen rechtsextremen Strömungen“, erklärte Weißgerber, der sich seit seinem Ausstieg wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt.

Einblick in Radikalisierung

„Mit wieviel Jahren bist du Nazi geworden“, traut sich Caan die erste Frage zu stellen. Weißgerber erklärt, dass man Nazi nicht von heute auf morgen wird, sondern dass die Radikalisierung fließend ablaufe: „Bei mir war es so, dass ich mich mit 14 Jahren anfing für Deutschsein und Geschichtsrevisionismus zu interessieren.“ Der Neuntklässler will außerdem noch wissen: „Und wie sehen Nazis eigentlich aus?“ Daraufhin zeigt Weißgerber ein paar alte Fotos. „Nicht alle Nazis sehen aus wie die typischen Skinheads, die man aus Filmen kennt“, er deutet auf ein Bild von sich und seinen Freunden in der Jungend, „auch die Heinis hier sind Nazis.“ Zu sehen sind drei unscheinbare Jungs aus der Metal-Szene mit langen Haaren. „Chucks statt Springerstiefel“, seien in der Zeit Trend gewesen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Priscilla aus der elften Klasse möchte wissen: „Waren deine Eltern auch Nazis oder warst du der erste in der Familie?“ Weißgerber urteilt: Da seine Großeltern sich nicht in den Widerstand begeben haben, seien sie ihm nach Nazis gewesen. Er erinnere sich noch an die Phrasen, mit denen seine Großeltern nachträglich immer darüber sprachen: „Ich bin zwar kein Nazi, aber es war ja nicht alles schlecht. Oma und Opa waren ja auch dabei. Die Autobahn hat er ja gebaut, Vollbeschäftigung gabs auch, die Familienpolitik war gut.“

Schüler und Schülerinnen sind mitverantwortlich für die Welt

Dorothea Germer ist Geschichtslehrerin am Lise-Meitner-Gymnasium und nutzt auch die Chance, eine Frage los zu werden: „Ich habe zwar im Unterricht meine ganz eigene Umgangsweise damit, aber was sagen Sie denn so 16-, 17-jährigen Schülerinnen und Schülern, die sich nicht für das Thema interessieren wollen, denen das einfach komplett egal ist?“ Da müsse man Christian Weißgerber nach versuchen zu erklären, dass alles, was Schülerinnen und Schüler machen – oder eben auch nicht machen – die Welt und die Gesellschaft verändern könne. „Ihr seid mit dafür verantwortlich für alles, was bei uns in der Gesellschaft passiert.“ Es sei ein bisschen so wie unterlassene Hilfeleistung, wenn man nichts gegen Rechts unternehme: „Dafür müsst ihr noch nicht mal auf eine Antifa-Demo gehen, aber euch zumindest im Alltag beispielsweise in der Schule einbringen. Das ist super wichtig für alle.“ Sein Appell: „Werdet euch eurer Eigenverantwortung bewusst!“

Der Autor erzählte weiter davon, wie er sich damals Standardantworten gegen Kritik zurechtlegte, „so begibt man sich in seine Blase – in der eine ganz eigene Wahrheit gilt.“ Auch erzählt Weißgerber, wie er Soldat wurde – „das war für mich keine Frage, ob ich den Wehrdienst antrete“. Doch dann sei er aus politischen Gründen aus der Bundeswehr rausgeflogen. Irgendwann habe er begonnen Philosophie, Altgriechisch und Kulturwissenschaften zu studieren.

Genau hier habe Weißgerbers Ausstieg aus der Szene begonnen, die Uni habe ihm dabei geholfen: „Natürlich sieht ein Ausstieg anders aus, wenn man Geisteswissenschaften studiert und sich Gedanken über sich selber macht, anstatt stundenlang auf dem Bau zu schrubben.“ Trotzdem sei auch dies erst der Anfang eines Prozesses, in dem man sich Fragen stellen müsse: „Warum bin ich so wütend? Warum habe ich so viele Feindbilder?“ Ausstiege aus der Nazi-Szene seien ihm nach viel schwerer, als man denken würde: „Da wird man zum Verräter, das ist eine der schlechtesten Feind-Positionen, die man haben kann.“ Und: „Ihr müsst euch vorstellen, was für eine Enttäuschung das ist, wenn die Dinge an die man die ganze Zeit fest glaubt plötzlich an Wert verlieren.“

Er räumt zum Schluss ein: Es sei schön, wenn andere Leute kommentieren, dass sie diese Vergangenheit von ihm als Mensch gar nicht erwartet hätten: „Wenn ich erzähle, wie ich früher mal drauf war, sagen die, dass merkt man ja heute gar nicht mehr, da warst du offensichtlich ein ganz anderer Mensch.“

KStA abonnieren