Millionen tote Bienen in LeverkusenBienensterben zeigt immer noch Auswirkungen

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In einem Rapsfeld betrachtet ein Imker konzentriert die Wabenplatten an seinen Bienenkästen.

In einem Rapsfeld betrachtet ein Imker konzentriert die Wabenplatten an seinen Bienenkästen.

Leverkusen – Tausende Bienen lagen im vergangenen Jahr tot auf den Bürgersteigen Leverkusens. Der Vorfall ist fast vergessen, doch das weltweite Bienensterben bleibt aktuell. In diesem Jahr muss die EU über das Verbot eines umstrittenen Pestizids entscheiden. Die Chemiekonzerne beharren aber auf der Ungefährlichkeit ihrer Produkte.

Einssein mit der Natur

Leuchtendes Gelb und betörende Düfte locken. Sachte Landung auf einer Blüte: Süßer Saft zerfließt im Mund, Pollen kleben an den Beinen. Plötzlich beginnt der Boden zu wackeln, ein Riese auf vier Rädern naht. Etwas Feuchtes legt sich um die Flügel – alles klebt. Wo ist der Stock, was ist das hier? Diese Biene wird ihren Stock vermutlich nicht wiederfinden. Durch die Berührung mit einem Pestizid, ist ihr Orientierungssinn betäubt. Ohne ihren Bienenstaat ist sie dem Tode geweiht. Auch die Bienen von Biobauer Michael Grolm aus Tonndorf bei Weimar fallen den Spritzmitteln der Nachbarn regelmäßig zum Opfer. „Bienen halten sich eben nicht an Grenzen“, erklärt der Imker traurig.

Die Knospen der Streuobstbäume unterhalb des Schlosses stehen kurz vor der Blüte. Das Summen im Bienenstock wird lauter. Doch noch sind nicht alle Plätze des Stocks belegt, die im Winter verstorbenen Schwestern müssen ersetzt werden. Erst im Sommer wird der rund 60000 Stimmen umfassende Bienenchor mit voller Inbrunst summen können.

Im April fängt Michael Grolm wieder an als Bienenchauffeur zu arbeiten. Bis September kutschiert der Imker seine 100 Völker von der Streuobstwiese, in die Heide, in den Wald, zu den Linden und Akazien. Wer Honig produzieren will, braucht genügend Tracht. So nennt man die Blüten, zu denen die Honigbienen fliegen, um Nektar und Pollen zu sammeln. Für ein Kilo Honig fliegen unsere Bienen bis zu dreimal um die Welt.

Ohne ihre Bestäubungsleistung wären unsere Obst- und Gemüseregale um ein Drittel leerer. Die Arbeit der Bienen wird auf einen Wert von 14,6 Billionen Euro geschätzt. Doch schweben die Honigbienen weltweit in großer Gefahr. Laut Untersuchungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) sind die Bienenbestände in Europa und Amerika in den letzten Jahren um rund 30 Prozent geschrumpft. In Asien sind es geschätzte 85 Prozent.

Nichts als Weizen und Raps

Dieses Phänomen hat auch Michael Grolm beobachtet, vor allem, nachdem der Nachbarbauer chemische Pflanzenschutzmittel gespritzt hat. Besorgt blickt er zum angrenzenden Feld. Der Nachbar baut nach konventionellen Methoden Raps an. Kornblume und Klatschmohn wachsen auf dem „klinisch toten Acker“ schon lange nicht mehr. „Ein Kornblumenfeld hingegen ist ein El Dorado für Tiere, ein Feld voller Leben“, schwärmt der Imker.

Unter der Intensivierung der Landwirtschaft leiden nicht nur die Honigbienen, sondern vor allem wildlebende Insekten wie die Wildbienen und Marienkäfer. Die Entwicklung von starken Pestiziden in den 50er-Jahren ermöglichte den Anbau von Monokulturen: nichts als Weizen, Gerste, Mais und Raps. Nur während der Rapsblüte ist der Speisetisch der Bienen reich gedeckt. Danach knurren ihnen die Mägen, denn viel geben die „leergeräumten Landschaften“, wie sie Michael Grolm nennt, nicht mehr her.

Hinzu kommen die bald zehn Milliarden Menschenbäuche, die ohne die Bienen nur schwer gefüllt werden können.

Benebelte Bienen

Die weltweiten Bienenverluste machten auch die EU-Kommission hellhörig: Sie beauftragte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) mit einer Studie zu drei verdächtigen Pestiziden, drei Neonicotinoiden. Ihre Ergebnisse bestätigten die Beobachtungen der Imker. Die Stoffe benebeln die Biene und stören dadurch ihren Orientierungssinn und ihr Verhalten.

Seit 2013 ist der Einsatz dieser Insektizide stark eingeschränkt. Ein Lichtblick, doch wird das Verbot dem Bienensterben kein Ende setzen können, warnen Umweltschützer. Im Dezember 2015 wird die Kommission einen endgültigen Entschluss über ein Verbot fassen. Ein Kräftemessen zwischen den kleinen Bienen und Wirtschaftsriesen wie dem Chemiekonzern Bayer.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Bayer mit dem unternehmenseigenen „Bee Care Center“ zur Sicherheit der Bienen beizutragen hat.

Bienenhotels und Hobbyimker

Das Bayer Crop Science Gelände in Monheim am Rhein: Feldern neben Feldern braun, grau und grün. Wolken hängen wie Rauchschwaden aus Fabrikschornsteinen über den Bauten. Ohne Besucherausweis endet der Weg vor der Autoschranke des Pförtnerhauses. Hat man es geschafft die Absperrung zu passieren, steht man vor der Bayer Crop Science Zentrale. Von hier aus ist die gelbe Bienenstatue rechts kaum zu übersehen. Auch ein hölzernes Bienenhotel, dessen Nischen und Löcher Raum für Wildbienen bieten, ragt neben dem Eingang zum Bee Care Center empor.

Hier arbeitet Peter Trodtfeld als Experte für Bienengesundheit. Privat ist er Hobby-Imker. „Ich bin einer der Dinosaurier bei Bayer“, erklärt er schmunzelnd. Kariertes Hemd, Strickpulli, graues Haar. Angefangen hat seine Karriere 1979 im Insektizid -und Pestmanagementbereich, nur einen Fußweg entfernt. Seit letztem Jahr sitzt er in dem neuen blumigen Büro mit Bienen an den Wänden. „Das Bee Care Center gibt es erst seit 2012, aber um die Sicherheit der Bienen kümmern wir uns schon seit über 25 Jahren“, erklärt der Bayermitarbeiter selbstbewusst. „Das weiß meistens keiner“, fügt er dann noch hinzu.

Eine Schuldige ist gefunden

Im Konferenzraum der Abteilung stellt er den Liebling der Bee Care Forscher vor: die Varroamilbe. Eine riesenhafte Nachbildung des aus Asien importierten Schädlings jagt dem Besucher einen Schauer über den Rücken. Bräunlich-roter Panzer, winzige Beinchen und glänzend dicke Haare. Ihr Beitrag zum Sterben der Bienen ist nicht zu unterschätzen – sie beißt, saugt und knabbert an den Bienen, und macht sie damit anfälliger für Krankheiten.

Doch ist die Varroa destructor nicht allein für den weltweiten Rückgang der Bienenvölker verantwortlich. Zumal sie die ebenso gefährdeten Wildbienen und Nützlinge gar nicht angreift. Wie eine Schutzherrin von Bayer Crop Science sitzt die Varroa auf ihrem Podest. Unter ihrem breiten Panzer ist genug Platz, um die hauseigenen Pestizide zu verstecken, die Imkern wie Michael Grolm regelmäßig die Stirn in Falten legen lassen.

Geld und Arbeitsplätze

Was als Gift für die Natur angeprangert wird, ist Gold für den Chemiekonzern: Bis zu 900 Millionen Euro werden allein durch die Neonicotinoide erwirtschaftet. Nicht verwunderlich also, dass sich das Unternehmen mit allen Mitteln gegen ein mögliches Verbot durch die EU-Kommission wehrt. Es stehen auch Arbeitsplätze auf dem Spiel. Peter Trodtfeld ist überzeugt von der Unschädlichkeit der Produkte seines Arbeitgebers: „Neonicotinoide sind nicht schädlich, denn wir haben Studien, die ihre Sicherheit beweisen.“

Vor Gericht werden die Bayer-Studien neben einem zweiten Stapel Studien liegen, die die Gefährlichkeit der Stoffe beweisen sollen. Peter Trodtfeld bringt dieser andere Stapel nicht aus dem Konzept: Man brauche auf jeden Fall Pestizide. „Im Gegensatz zur EU gehen wir davon aus, dass unsere Produkte bienensicher sind.“

Wer das Bienensterben vor einem Jahr miterlebt hat, wird die Aussagen Bayers über ihre Bienenfreundlichkeit verwundern. Auf den Bürgersteigen und Feldern Leverkusens lagen Millionen Bienen wie Soldaten auf einem Schlachtfeld. Der Vorfall sei ein Unfall gewesen, ein Fehler der Landwirte, sagt Trodtfeld. Die Menge mache das Gift.

Die EU sieht sich in einem Feuergefecht zwischen Umweltschützern und großen Chemieunternehmen. Von beiden Seiten werden Studien abgefeuert.

Zwei Interessen stehen sich scheinbar unversöhnbar gegenüber: Artenvielfalt gegen Wirtschaft. Noch ist das Gefecht nicht entschieden.

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