MillionenbetrugWie eine 82-Jährige Hunderte Frauen zu Unternehmerinnen machte

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Kompliziert ist der Fall einer 82-Jährigen, die rund 700 polnische Haushaltshilfen vermittelt und nicht bei der Rentenversicherung angemeldet hat. Ihr wird im Kölner Landgericht der Prozess gemacht.

Leverkusen – Genialer Kunstgriff oder millionenschwere Hinterziehung von Steuern und Rentenbeiträgen? Diese Frage wird die 9. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts in den nächsten Tagen beantworten. Jetzt begann dort der Prozess gegen Mechthild K. (Name geändert), die Geschäftsführerin einer Vermittlungsagentur für Haushaltshilfen aus Polen. Rund 700 Frauen soll die wesentlich jünger erscheinende Frau, die im April 1939 in Schlesien geboren wurde, mit ihren Helfern nach Leverkusen und Umgebung vermittelt haben.

Doch nur 165 der Helferinnen seien bei der Sozialversicherung angemeldet worden, steht in der Anklage. Auf sie wurde demnach das „offizielle“ Vertragsmodell angewendet. Alle anderen seien nach dem „privaten“ Modus in die Haushalte geschickt worden, heißt es: Als Teilhaberinnen der Agentur von Mechthild K., die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts organisiert war, galten sie nicht als Arbeitnehmerinnen, sondern als Selbstständige.

Rentenbeiträge und Steuern nicht abgeführt

Weder die Staatsanwaltschaft, noch die Rentenversicherung, noch das Finanzamt akzeptieren dieses Konstrukt. Sie sprechen von hinterzogenen Beiträgen und Steuern. Die Agentur habe in den fünf Jahren ihrer Tätigkeit demnach rund dreieinhalb Millionen Euro an Rentenbeiträgen nicht gezahlt, die Steuerhinterziehung in derselben Zeit summiert sich nach vorläufigen Berechnungen des Finanzamts auf rund 341.000 Euro an Umsatzsteuern der Agentur und Einkommenssteuern der Angeklagten.

Das Problem: Die Agentur hat zwischen 2006 und 2011 agiert; erst nach Hinweisen an die Kreisverwaltung in Bergisch Gladbach, wo das in Wermelskirchen gegründete Unternehmen registriert war, gab es mächtig Stress für Mechthild K. und ihr Team. Das Zollamt Köln durchsuchte die Geschäftsräume und vernahm Beteiligte. Ein Befragungsbogen sei an 137 frühere Haushaltshilfen versandt worden, hieß es am Donnerstag. Auch das Finanzamt Leverkusen begann sich nun für die Agentur näher zu interessieren.

Die Taten sind lange vorbei

Aus verschiedenen Gründen dauerte es aber allein rund sieben Jahre, bis das Gericht ins Spiel kam. Richtig Fahrt aufgenommen hat der Fall noch einmal gut zwei Jahre später: Am 10. September 2020 gab es ein umfängliches „Verständigungsgespräch“ unter Leitung von Wolfgang Otten, dem Vorsitzenden Richter der 9. Strafkammer – weitere Termine folgten am 15. und 21. Mai diesen Jahres.

Zu einer Einigung kam es nicht, die Rechtsauffassungen liegen weit auseinander. Die Staatsanwaltschaft verfolgt eine harte Linie und hält eine Bewährungsstrafe für angemessen, die Anwälte von Mechthild K. dagegen sehen überhaupt keine Grundlage für eine Verurteilung.

Der Beweis ist schwer zu führen

Warum, ergibt sich aus der Einschätzung von Wolfgang Otten: Das Gericht stuft die Beweislage als nicht eindeutig ein. Die Frage, ob Mechthild K. tatsächlich als Arbeitgeberin der rund 700 nach Deutschland gebrachten Haushaltshilfen betrachtet werden kann, müsse noch geklärt werden. Und das sei ziemlich schwierig, weil man neben den Polinnen wohl auch die Leute befragen müsste, die sie in ihren Haushalten beschäftigt haben. Mit einer stichprobenartigen Beleuchtung der Fälle, so Otten, dürfte es nicht getan sein: Eine Entscheidung, die der Bundesgerichtshof vor zwei Jahren in einem ähnlich gelagerten Fall getroffen hatte, lege nahe, dass alles aufgerollt werden muss. Gehe man nicht so vor, sei „das Revisionsrisiko recht hoch“, ist Ottens Einschätzung.

Denn es könne ja auch sein, dass die Leute, in deren Haushalten die Polinnen meist über mehrere Monate halfen, als die eigentlichen Arbeitgeber zu betrachten seien: Sie hätten die Frauen bezahlt, seien auch für Fahrtkosten und andere Dinge aufgekommen. Und: Sie hätten bestimmt, was zu tun war.

Vollmacht von den Polinnen

Mechthild K. hingegen, die von den Polinnen eine Vollmacht unterschreiben ließ, die sie als selbstständige Teilhaberinnen ihrer Agentur auswies, habe mit der eigentlichen Tätigkeit nichts zu tun gehabt. Freilich kassierte sie eine Provision für die Vermittlung, die zwischen 200 und 600 Euro im Jahr gelegen habe. Auch diese Einkünfte hatte sie ausweislich der Akten nicht versteuert.

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Die Angeklagte ließ zum Prozessauftakt eine Erklärung verlesen, in der sie angab, das Geschäftsmodell für rechtens gehalten zu haben. Ein Bekannter habe so etwas auch in seinem Bauunternehmen gemacht: Ausländische Helfer seien nicht angestellt, sondern als Teilhaber geführt worden. Diesen Kniff habe der Bauunternehmer nicht nur mit Anwälten und Steuerberatern, sondern sogar mit dem Wirtschaftsministerium von Rheinland-Pfalz abgeklärt, hieß es. Deshalb sei ihr die Sache koscher vorgekommen, so Mechthild K.

Nächsten Mittwoch kommt ein Bediensteter des Finanzamts zu Wort.

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