Mitten am TagLeverkusenerin beim Spaziergang von Wildschwein angegriffen

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An diesen Pfosten klammerte sich Anja Hummelsheim während der Attacke. Hätte das Schwein sie umgeworfen, wäre es wohl schlimmer ausgegangen, so biss ihr das Schwein in die Beine.

Leverkusen – Anja Hummelsheim geht jeden Tag die gleiche Runde mit ihrem Labrador: Von ihrem Haus an der Lichtenburg in Steinbüchel hinauf bis zum offenen Feld, dann rechts Richtung Mathildenhof. Seit Sonntag geht sie die Runde nicht mehr. Zum einen, weil sie Angst hat. Und zum anderen, weil sie kaum noch laufen kann: Die Folge eines Wildschweinangriffs, nur wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt.

Sie war gerade am letzten Haus der Siedlung vorbei, rechts und links von freiem Feld umgeben. „Da blieb mein Hund stehen und stellte das Fell auf, das macht er normalerweise nie, er reagiert auch nicht auf Rehe oder so.“ Hummelsheim schaute sich um, konnte aber zunächst nichts entdecken. „Dann sah ich auf einmal einen braunen Kopf, der vom Krummen Weg aus auf mich zugerannt kam.“

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Sie wusste zunächst nicht, was das ist. „Ich habe mir nur gedacht: Das wird immer größer und ist sehr schnell.“ Dann erkannte Hummelsheim, dass es sich um ein Wildschwein handelte, das auf sie zurast und wägte ihre Chancen ab: Zurück zum nächsten Haus war es bei dem Tempo, dass das Tier aufgenommen hatte, zu weit. Also hechtete sie fünf Schritte in Richtung des Eckpfostens einer Wieseneinzäunung – zunächst in der Hoffnung, das Wildschwein würde vorbeirennen, wenn sie sich ruhig hinter den Pfosten stellte.

Die Hose vom Sonntagsspaziergang zeigt deutliche Spuren des Wildschweinangriffs.

Die Hose vom Sonntagsspaziergang zeigt deutliche Spuren des Wildschweinangriffs.

Doch das lies sich nicht irritieren, jagte auf die Frau zu und biss ihr direkt in die linke Wade. „Es war ein großer Keiler, ich konnte die Stoßzähne deutlich sehen. Das Tier war total wild, hat mich immer wieder mit dem Kopf gestoßen, meine Jacke und Hose zerrissen“, erzählt Hummelsheim. In ihrer Verzweiflung hat sie sich an den Pfosten geklammert und mit der Hundeleine und den Füßen nach dem Wildschein geschlagen und getreten. Und so laut geschrien, wie noch nie in ihrem Leben. „Mein einziger Gedanke war: Anja, du darfst nicht umfallen.“ Genau richtig, bestätigte ihr ein Jäger nach dem Vorfall. „Wenn ich umgefallen wäre und am Boden gelegen hätte, würde ich jetzt wohl nicht mehr davon erzählen können.“

Und sie will davon erzählen. Nicht ihretwegen, sondern um andere Spaziergänger auf die Gefahr aufmerksam zu machen und zu bewirken, dass etwas unternommen wird. „Nicht auszudenken, wenn das einem Kind passiert wäre“, sagt die Mutter einer 15-jährigen Tochter, die an jenem Tag eigentlich mit dem Hund rausgehen wollte. „Sie sagte mir, auf die Idee mit dem Pfosten wäre sie gar nicht gekommen.“ Als das Wildschwein endlich von Hummelsheim abließ, suchte sie ihr Handy, das bei dem Angriff aus der Tasche gefallen war und rief ihren Mann im nur 600 Meter entfernten Haus an, der ihr zur Hilfe eilte und Krankenwagen und Polizei verständigte. Die Polizei wiederum informierte den zuständigen Jäger. „Das Tier wird noch in der Nähe vermutet, war aber nicht mehr zu sehen“, zitiert ein Beamter aus dem Polizeibericht.

Mehrfach einzelnes Wildschwein gesehen

Auch der Betreiber des örtlichen Blumenladens hat in der Gegend schon mehrfach ein einzelnes Wildschwein gesehen – die untypische Verhaltensweise könnte darauf hindeuten, dass das Tier krank ist. Deswegen wurde Hummelsheim von ihrem Hausarzt auch schnell noch nachträglich gegen Tollwut geimpft. Die Ärzte im Krankenhaus, die nach dem Angriff ihre Wunden behandelten, hatten das nicht für notwendig erachtet, weil in Leverkusen keine Fälle von Tollwut bekannt seien. „Aber so bin ich jetzt doch etwas beruhigter“, sagt Hummelsheim.

„Die Population an Wildschweinen ist stark gestiegen, um diese Jahreszeit kommt es durchaus zum Verdrängungswettbewerb um das Revier, in dem einzelne Tiere ausgeschlossen werden, die dann auch eine erhöhte Aggression zeigen“, sagt Dr. Kurt Molitor, Leiter des Leverkusener Veterinäramtes. Zusammenstöße zwischen Mensch und Wildschwein seien ihm schon zu Ohren gekommen, aber eher, wenn der Mensch dem Schwein zu nahe gekommen sei. Auch die Kombination Wildschwein und Hund sei brisant. Dass ein einzelner Keiler aber am helllichten Tag ohne ersichtlichen Grund einen Menschen angreift, dass sei schon sehr besorgniserregend. „Wir wollen die Population so gut es geht eindämmen und die Jägerschaft ist für das Problem mit den Wildschweinen sensibilisiert“, sagt Molitor. Allerdings seien Wildschweine auch sehr schlaue Tiere, die sich nicht so einfach erwischen lassen. In dem speziellen Fall des Steinbücheler Einzelgängers werde er aber darauf drängen, dort noch einmal genau nachzuschauen.

Noch sind Anja Hummelsheims Beine blau von Hämatomen und die Bisswunden mit großflächigen Pflastern überklebt. Die Ärzte glauben aber, dass alles gut verheilen wird. Zunächst ist sie aber krankgeschrieben. Wenn sie wieder richtig laufen kann, wird Hummelsheim wieder mit ihrem Hund rausgehen. Aber erst mal nicht mehr in Richtung Wald, sondern runter ins Dorf. „Oder vielleicht noch zum Oulu-See, da stehen zumindest Bänke, auf die man sich retten kann.“

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