RS-Virus trifft auf FlutfolgenDie Kinderbetten im Leverkusener Klinikum sind knapp

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Hat derzeit viel zu tun: Dr. Claus Christians, Geschäftsführender Oberarzt der Pädiatrie am Klinikum.

Hat derzeit viel zu tun: Dr. Claus Christians, Geschäftsführender Oberarzt der Pädiatrie am Klinikum.

Leverkusen – Es ist eng auf der Kinderstation im Klinikum Leverkusen. Der Grund ist aber nicht nur – wie an vielen Kliniken in NRW – die rasante und extrem frühe Erkältungswelle. Und Corona schon gar nicht. Von den vormals 57 Betten der Kinderstation stehen wegen der Flutschäden aktuell nur 30 zur Verfügung. Und die sind von kleinen Patienten gut belegt. Der häufigste Grund derzeit: RSV (Respiratorische Syncytial-Virus), eine Atemwegserkrankung die vor allem für sehr kleine Kinder gefährlich werden kann. „Zwischen sieben und zehn Kinder müssen wir aktuell hier stationär mit RSV behandeln“, erklärt Dr. Claus Christians, Geschäftsführender Oberarzt der Pädiatrie am Klinikum.

Immunsystem im Lockdown

RSV ist bei Säuglingen und Kleinkindern bis drei Jahren weltweit der häufigste Auslöser von akuten Atemwegserkrankungen und in jedem Herbst und Winter in den Schulen und Kitas zugegen. Nur im vergangenen Jahr nicht, als die Einrichtungen geschlossen oder nur unter extremen Hygienemaßnahmen betrieben wurden. Normalerweise startet die Saison Mitte bis Ende Oktober, sagt Christians. „Jetzt hatten wir schon Anfang September die ersten Fälle.“ Den Grund sieht er klar in den Lockdown-Maßnahmen: „Es ist, wie wenn ein Schulkind ein Jahr nicht in die Schule geht: Dann hat es nichts gelernt. Wenn das Immunsystem ein Jahr lang nichts zu tun bekommt, lernt es auch nichts.“

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Zwölf Infekte pro Jahr seien für Kinder normal und auch wichtig – was im letzten Jahr ausgefallen ist, müssten Kinder jetzt nachholen. So hat sich auch das Alter der RSV-Patienten verändert. Normalerweise seien jene, die im Krankenhaus aufgenommen werden müssten, unter einem Jahr alt. „Jetzt haben wir auch Zwei- bis sogar Dreijährige, die schwer damit zu kämpfen haben“, erläutert Christians. Und Corona? Ist auf der Leverkusener Kinderstation nie ein Problem gewesen. „Wir hatten in der ganzen Zeit zwei Kinder hier, die schwerer erkrankt waren, und auch die konnten vollkommen gesund wieder entlassen werden.“

Darauf sollten Eltern achten

Fieber, Husten und Schnupfen – das ist bei Kindern zu dieser Jahreszeit vollkommen normal und kein Grund zu übermäßiger Sorge, sagt Kinderarzt Claus Christians.

Aufmerksam werden sollten Eltern, wenn kranke Babys unter drei Monaten eine schnelle Atmung bekommen, die Nasenflügel wippen oder Atempausen einlegen. Fieber ist in diesem Alter eher selten.

In einem Alter von über drei Monaten ist ein Alarmzeichen, wenn Säuglinge nicht mehr trinken oder apathisch wirken. In diesem Fällen sollte ein Kinderarzt aufgesucht werden, rät Christians. (stes)

RSV dagegen ist vor allem für Frühgeborene und vorerkrankte Säuglinge um ein vielfaches gefährlicher bis sogar lebensbedrohlich: Ihre kleinen und noch nicht ausgereiften Lungen kommen mit dem Schleim nicht klar, es kann zu Atemnot und Lungenentzündungen kommen. Und nun ist das RS-Virus überall präsent. Wäre es also besser gewesen, Kinder in der Coronakrise nicht so stark von allen Krankheitserregern fern zu halten? Da scheiden sich auch in der Pädiatrie die Geister, sagt Christians. „Wenn man alleine die Kinder betrachtet, hätte man die Schulen vielleicht nicht schließen müssen. Aber bevor es die Impfung gab, wäre das wohl für das Lehrpersonal zum Desaster geworden.“ Das Immunsystem könne das fehlende Training schon aufholen. Die psychosozialen Folgen der Schulschließungen seien da sicher schwerwiegender, sagt der Kinderarzt.

Maskenpflicht verzichtbar

Jetzt – wie geplant – in der zweiten Woche nach den Herbstferien die Maskenpflicht im Unterricht aufzuheben, hält Christians für „einen gangbaren Weg“. Man müsse nur schauen, dass das erwachsene Umfeld der Kinder gut vor Corona geschützt sei. RSV ist für Schulkinder unangenehm, aber nicht gefährlich – und eben ganz normal.

Neugeborene sollten dagegen vor allem jetzt im Herbst von allen Menschenansammlungen fern gehalten werden. Auf jeden Fall im ersten Lebensmonat, besser noch in den ersten drei. „Ich sage den Leuten hier gerne, wenn ich sie die nächsten Wochen mit dem Kind im Aldi sehe, gibt es Ärger“, sagt Christians.

Entlastung in Sicht

Auch wenn sich alle daran halten: Eine noch größere RSV-Welle und weitere saisonale Infektionskrankheiten werden sicher auf das Klinikum zukommen. Zum Glück soll der Kinderstation ab der ersten Novemberwoche wieder die volle Bettenkapazität zur Verfügung stehen. „Als ich diesen Zeitplan gelesen habe, habe ich gedacht: Genau zur rechten Zeit“, sagt Christians.

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