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Samy Deluxe in Leverkusen„Ich habe es immer darauf angelegt, Grenzen auszutesten“

Lesezeit 8 Minuten
Samy Deluxe dpa

Samy Deluxe

  • Samy Deluxe tritt auf den Leverkusener Jazztagen auf.
  • Im Interview erzählt er, was er mit Leverkusen verbindet, welche extremen Phasen er durchgemacht hat und welches musikalische Ding für ihn ein Unding ist.

Leverkusen – Samy Deluxe tritt auf den Leverkusener Jazztagen auf. Im Interview erzählt er, was er mit Leverkusen verbindet, welche extremen Phasen er durchgemacht hat und welches musikalische Ding für ihn ein Unding ist.

Samy, Sie spielen bei den Jazztagen im Forum in Leverkusen. Was sagt Ihnen diese Stadt?

Man verbindet sie mit bestimmten Namen. Aus dem Fußball zum Beispiel. Bayer Leverkusen.

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Aspirin?

Auch. Kopfschmerztabletten. Kann man immer mal wieder gut gebrauchen. (lacht)

Welche Beziehung haben Sie als Rapper denn zum Jazz?

Ich habe schon häufiger als Gastmusiker bei meinem Freund Florian Weber, einer Koryphäe in Sachen Jazz-Piano, auf der Bühne gestanden. Zudem gibt es viel Jazz, der im Rap gesampelt wurde und allein deswegen habe ich da schon etwas Basiswissen. Man kennt dann einfach die grundlegenden Künstler, also Miles Davis, Dizzy Gillespie oder Thelonious Monk. Ich habe zudem schon bei einigen Jazz-Festivals gespielt. Und das Publikum war immer cool – weil der Jazz es immer gebraucht hat, sich nach außen, zu anderen Genres hin, zu öffnen. Und davon profitieren beide Seiten.

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Im jüngst erschienenen Buch „Könnt Ihr uns hören? Eine Oral History des deutschen Rap“ werden Sie bezüglich Ihrer Anfangsjahre als Musiker zitiert: „Wir wollten auf gar keinen Fall im Radio laufen.“ Mittlerweile sind Sie aber so bekannt, dass dies ein frommer Wunsch bleiben wird, oder?

Nein. Ich kann das Statement nicht revidieren. Radio war wirklich nie Teil der Agenda. Und ich bin auch nie wirklich im Radio gelaufen. Bis heute nicht. Und zwar aus gutem Grund: Ich kann deutsches Radio nicht wirklich ernst nehmen. Es ist kein die Kultur prägendes Medium mehr. Sie spielen nur den Mist, von dem sie denken, dass ihn die Leute draußen im Hamsterrad brauchen. Früher war es ein Sprachrohr. Es gab Radiopersönlichkeiten. Heutzutage aber hast du dort eine Million Typen, die alle gleich klingen. Natürlich: Es gibt beim Radio auch Ausnahmen. Aber insgesamt ist die Radiolandschaft eine traurige.

Dennoch finden Sie im Radio durchaus statt.

Ja, aber wenn, dann finde ich dort statt, weil ich eine Persönlichkeit bin und die Leute beim Radio irgendwann merken, dass sie solche Persönlichkeiten brauchen, um bestimmte Themen – Mobbing, Rassismus – zu diskutieren. Sonst würden da nur irgendwelche Typen reden, die nicht wegen ihres Intellekts sondern einzig wegen ihrer Flippigkeit gecastet wurden.

Man merkt: Sie reflektieren sich selber sehr intensiv. Und das merkt man auch in Ihren Songtexten, die sich nicht selten um das „Ich“ von Samy Deluxe drehen. Ist das nun ein über Jahre gesammeltes, gesundes Selbstbewusstsein – oder Egozentrismus?

Es spielt alles hinein. Vor allem geht es mir darum, den Leuten bestimmte Gefühle zu vermitteln: Wie fühle ich mich in bestimmten Situationen? Wie gehe ich damit um? Das sind meine Aufhänger. Aber was den Egozentrismus angeht: Ich habe weniger Geltungsdrang, als viele vermuten. Ich bin nicht der Typ, der in einer Runde von Leuten sofort und bei jeder Gelegenheit sagt: „Ja, also, bei mir war das so und so.“ Ich höre den Menschen lieber zu und bin nicht der Lauteste im Raum.

Welche musikalischen Dinge sind für Sie ein Unding?

Wenn es ausschließlich um Songs über die Liebe geht. Manche singen ja nur darüber. Und selbst wenn ich schon viele Frauengeschichten hatte, bin ich nicht der Typ dafür, über so etwas zu singen. Ich sehe auch keinen Sinn darin, Partysongs zu schreiben. Das ist alles nicht meins. Ich will einen guten Style. Und ich will Inhalt. Mein Rap-Kollege KRS-One hat dafür einmal das Wort „Edutainment“ gebraucht. Also: ein Mix aus Education, Bildung, und Entertainment, Unterhaltung. Und ich denke, dass die Leute genau das von mir hören wollen – und nicht den nächsten Party- und Kokainsong. Das sollen die 20-Jährigen machen.

Ein anderes Zitat von ihnen aus dem erwähnten Buch: „Es ging damals erstmal darum, gute Reime zu schreiben.“ Ist das Schreiben von Reimen im Laufe der Jahre der Reflexion gewichen?

Schon. Aber dadurch ist das Reimeschreiben nicht unwichtiger geworden. Die Art, wie man mit Worten umgeht und wie man sie ausspricht, macht schließlich unheimlich viel aus.

Ihr aktuelles, akustisches Album, „SaMTV Unplugged“, das Sie auch in Leverkusen präsentieren, ist kein Rap-Album. Es enthält Akustik-Pop und ist anders als alles, was Sie zuvor gemacht haben.

Ich würde sagen: Es ist eigentlich das Gleiche. Es ist ein Rap-Album. Natürlich hätte ich vor 20 Jahren nicht gedacht, dass ich mal eine Ballade aufnehmen würde. Aber da hatte ich auch noch kein Kind, über das ich in dieser Ballade singen konnte. „SaMTV Unplugged“ ist vor allem das Stimmigste, was ich je gemacht habe. Es bringt alles voll auf den Punkt: Wie und wer ich als Künstler bin. Wie ich zu dem Künstler wurde, der ich bin.

Was war denn früher nicht stimmig?

Ich habe viele Wandlungen und extreme Phasen durchgemacht.

Zum Beispiel?

Die Entwicklungskurve ging vom Hamburger Untergrund aus los. Ich war auch noch sehr untergrundmäßig unterwegs, als ich schon recht bekannt war. Die Folge: An einem Abend sprühte ich in einem Tunnel die Wände an. Am Tag darauf gewann ich den „Echo“. Dann ging ich für eine Zeit lang in die USA und war extrem von der dortigen Szene geprägt. Mit viel Schmuck und „Bling Bling“. Da habe ich richtig auf Welle gemacht. Irgendwann habe ich das aber abgelegt. Ich wurde erwachsener. Und sang plötzlich über meinen Vater und meinen Sohn.

Kein Schmuck mehr heute?

Nein. Dieses Schmuck-Ding hat für mich keinen Sinn mehr. Was habe ich davon, wenn ich so eine dicke Kette trage? Ich schaffe lieber etwas, anstatt mich mit Glitzersteinen zu behängen.

Angenommen Ihr um 25 Jahre jüngeres Ich würde den heutigen Samy Deluxe mit dessen Unplugged-Programm live auf der Bühne sehen. Wie würde es reagieren? „Das ist total uncool“?

Nein, auf gar keinen Fall. Klar: Ich war damals schon scheuklappenmäßig unterwegs. Viel mehr als heute. Aber mein jüngeres Ich würde trotzdem mit offenem Mund dastehen. Denn: Ich rappe auf dieser Platte und in diesem Programm besser und krasser als je zuvor. Besser als irgendein anderer deutscher Rapper das je auf einem Live-Tonträger tat.

Hierzulande gibt es mittlerweile zig Rap-Sparten und -Künstler. Gangster-Rapper, politische Rapper, auf Indiepop ausgelegte Rapper wie Casper, Superstars wie Marteria. Wo ordnen Sie sich ein?

Ich glaube, ich habe mir schon eine eigene Nische erspielt. Aber: Die Rapper und ihre Art, mit denen ich mich am ehesten vergleichen würde, sind Afrob und Megaloh. Denn: Du kannst Rapper wie uns zwischen anderer Rapper stellen, egal wo auf der Welt, und auf einen Beat, egal welcher Art, rappen lassen – und erkennst sofort diesen Stil. Deutschland ist in dieser Hinsicht ein extrem theoretisches, kopflastiges Land. Hier werden viele Leute – Namen nenne ich jetzt nicht – als gute Rapper bezeichnet, die zwar textlich gut, handwerklich aber furchtbar sind. Aber: Stell’ die mal in Afrika auf eine Bühne, wo es nur um Musikalität geht und darum, wie deine Stimme mit den Beats zusammengeht. Das würde nicht klappen. Ich habe 2018 eine Tour durch einige afrikanische Länder gemacht. Und ich war überall der krasseste Rapper! Wirklich! Die Leute sind ausgeflippt als sie hörten, wie der Beat nach vorne geht, sobald ich ins Spiel komme. Und das können nur wenige.

Ich habe noch ein Zitat von Ihnen aus dem Buch: „Früher war Rappen wie das Halten von Referaten“. Was ist Rap denn heute?

Eigentlich immer noch wie das Halten von Referaten. Denn: Schlaues und gut auf den Punkt gebrachtes Schreiben, ist ja immer irgendwie eine Art Referat. Referate gibt es in der Schule, und die mögen viele nicht. Die Schulfächer, in denen ich in Referate halten sollte, waren die, denen ich am meisten abgewinnen konnte. Deutsch und Geschichte. Kunst und Musik habe ich dagegen gehasst.

Warum ausgerechnet die?

Weil ich die Art dieses Unterrichtes für falsch hielt. „Tu’mal dies und mach’ das mal so!“ Nein! „Ich will das machen, was ich will!“ Und überhaupt: Wieso sollte jemand bewerten, wie gut oder schlecht ich das Bild eines anderen nachmalte? Das habe ich nicht eingesehen. Ich wollte selber etwas erschaffen.

Haben die Lehrer Sie gemocht?

Ja – weil ich immer ein netter Mensch war. Und gerade weil ich es immer darauf anlegte und versuchte, Wettkämpfe auszutragen. Grenzen auszutesten. Dinge zu hinterfragen. Ich war sehr aufgeweckt. So etwas wird später ja leider viel zu oft von der Gesellschaft weggefiltert. Ich aber hatte immer genügend Trotz, um mich dagegen zu wehren.

Apropos Trotz: In „Schwarz-Weiss“ singen Sie, dass Sie gefühlt immer zu schwarz für die Menschen mit weißer Hautfarbe und zu weiß für die Menschen mit schwarzer Hautfarbe waren. Hat Ihnen der Trotz geholfen, dieses Unwohlsein zu überwinden?

Sicher. Aber dieser Song kann sich ja auf Vieles beziehen. Es geht darum, wie es ist, wenn man eigen ist und die Gesellschaft damit nicht klarkommt. Bei mir ist es die Hautfarbe. Bei anderen ist es die sexuelle Orientierung oder eine äußerliche Krankheit. Dinge eben, wegen denen andere einen ausgrenzen. Mit diesem „Schwarz-Weiß“ sind sehr viele Leute in sehr verschiedenen Situationen gleich schlimm konfrontiert.

Das Gespräch führte Frank Weiffen

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