Skandal um LebenshilfeAngeklagte schikaniert Behinderte – und bekommt mildes Urteil

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Werkstatt Lebenshilfe Leverkusen-Bürrig

  • Im Jahr 2017 hat die RTL-Redaktion „Team Wallraf“ den Vorfall an die Öffentlichkeit gebracht.
  • Viele hatten die Hoffnung, das Gericht würde der Geschädigten am Donnerstag Recht geben.

Leverkusen – Die Erwartungen sind groß am Donnerstagvormittag im Leverkusener Amtsgericht. 20, vielleicht 30 Menschen warten vor Saal 4 auf die Verhandlung um jene Mitarbeiterin der Lebenshilfe-Werkstatt in Bürrig, die durch einen TV-Bericht vor mehr als zwei Jahren in Verruf geraten war.

Hätte sich eine Reporterin aus der RTL-Redaktion „Team Wallraff“ nicht unbemerkt als Praktikantin in die Behindertenwerkstatt eingeschleust, wären die Szenen, die am Donnerstag so viele ins Gericht locken, wohl nie an die Öffentlichkeit gedrungen. Szenen, in denen Mitarbeiter die geistig schwerbehinderte Lisa (Name geändert) demütigen und schikanieren. Sie wie einen Hund zu sich rufen und sie vorsätzlich stolpern lassen. Lisa das Halstuch um die Augen binden, das sie trägt, weil sie ihren Speichelfluss nicht kontrollieren kann (wir berichteten).

Dass Lisa recht bekommt, das wollen am Donnerstag wohl alle, die im Zuschauerraum sitzen.

Angeklagte erscheint nicht

Enttäuschung und Unverständnis aber machen sich schon wenige Minuten nach Beginn des Gerichtstermins breit. Die 44-jährige, inzwischen ehemalige Mitarbeiterin der Lebenshilfe-Werkstatt, erscheint nicht. Sie hätte sich am Donnerstag wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung verantworten müssen – die Anklage gegen zwei weitere Mitarbeiter war aus Mangel an Beweisen bereits im Vorfeld fallen gelassen worden.

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Vielleicht hatte die Angeklagte ohnehin nicht vor, zu dem Termin zu erscheinen. Jedenfalls bekommt das Publikum auch ihren Verteidiger nicht zu Gesicht und die Staatsanwaltschaft scheint bereits feste Vorstellungen über ein mögliches Urteil zu haben.

„Weitere Strafverfahren sind über die Angeklagte nicht bekannt und die Geschichte ist schon eine ganze Weile her“, sagte der Staatsanwalt, „es handelt sich hier um einen Vorwurf im unteren Bereich und aufgrund der Videosequenzen könnte man sich auch fragen, ob das Verhalten der Angeklagten als therapeutische Maßnahme dienen sollte.“

Schriftliches Urteil verhängt

Lachen im Zuschauerraum, ungläubiges Lachen. Das kann der Staatsanwalt doch nicht ernst gemeint haben? Doch. In Abwesenheit der Angeklagten verhängt der Richter ein schriftliches Urteil von 40 Tagessätzen à 60 Euro an die 44-Jährige. Legt diese binnen zwei Wochen keinen Einspruch ein, wird das Urteil rechtskräftig.

Kopfschütteln und versteinerte Mienen sind die Antwort der Zuschauer auf das Schauspiel im Gerichtssaal. Der Unterton ihres Murmelns hat sich jetzt verändert, von Aufregung und Hoffnung ist nichts mehr zu hören. Vielmehr von einer bitteren Niederlage für die Würde des Menschen, ganz gleich, ob geistig oder körperlich behindert, oder nicht.

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