Stark betroffen, aber kaum beachtetLebenshilfe-Werkstatt im Corona-Modus

Lesezeit 3 Minuten
Leonard Steffen, Lukas Seget und Joachim Alef verpacken Futter für die Ziegen im Wildpark.

Leonard Steffen, Lukas Seget und Joachim Alef verpacken Futter für die Ziegen im Wildpark.

  • Behinderten-Werkstätten haben besonders mit der Pandemie zu kämpfen.
  • Viele Beschäftigte gehören zur Risikogruppe und kommen nicht mit den gravierenden Veränderungen zurecht.
  • Von der Politik wurden die Werkstätten lange ignoriert. Dass sie wieder öffnen dürfen, erfuhr man in Leverkusen-Bürrig in der Tagesschau.

Leverkusen – „Wie kommen die Behinderten-Werkstätten durch die Corona-Zeit? Wo drückt der Schuh?“ Diese und viele weitere Fragen brachte Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, am Freitag mit nach Leverkusen-Bürrig. Gemeinsam mit dem Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath besuchte er auf Einladung der Landtagsabgeordneten und Vorstandsvorsitzenden der Leverkusener Lebenshilfe Eva Lux die dortige Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.

Thomas Kutschaty (vorne) auf Besuch in der Lebenshilfe-Werkstatt in Leverkusen-Bürrig.

Thomas Kutschaty (vorne) auf Besuch in der Lebenshilfe-Werkstatt in Leverkusen-Bürrig.

Während Branchen wie die Luftfahrt oder die Automobilbranche seit Beginn der Corona-Krise stets große Aufmerksamkeit durch die Bundes- und Landesregierung genossen, fielen Bereiche wie die Behindertenhilfe oftmals hinten über. „Wir hätten uns gewünscht, schneller zu erfahren, wie es mit uns weitergeht“, berichtet Angelika Nürnberger von der Lebenshilfe, „über die Tagesschau haben wir erfahren, dass wir montags wieder öffnen können. Doch welche Richtlinien es gibt, das hat uns keiner gesagt.“

Die Rückkehr aus „aus Corona“

Im Großen und Ganzen ginge es gut, berichtet Alexander Marasch, Geschäftsführer der Lebenshilfe-Werkstätten, doch die Herausforderungen seien natürlich enorm gewesen, und blieben es auch weiterhin. Ein richtiges Straßensystem wurde im gesamten Gebäude eingeführt, Pfeile mit leuchtendem Gaffa-Tape auf den Boden geklebt, ein Desinfektionsspender steht an jeder Ecke, wer kann, trägt eine Maske. Wo Abstände nicht gewährleistet werden können, wurden Trennscheiben aus Plexiglas errichtet, auch im Speisesaal. „Wie im Knast fühlt man sich da, in seiner Plexiglaskabine“, sagt Sandy Zerbo mit einem Schmunzeln. Sie ist Frauenbeauftragte in der Werkstatt.

Mittlerweile sind viele „aus Corona“ zurückgekehrt in die Werkstatt, wie es unter den Beschäftigten heißt. Die Beschäftigten, das sind Menschen mit Behinderungen, die hier teilnehmen können am Arbeitsleben, an der Wertschöpfungskette. Vielmehr als um reine Beschäftigung und Tagesstruktur stellen sie auch Produkte und Teile her, die sich später in diversen High-End-Produkten wiederfinden, stellt Marasch klar. „Im Vergleich zu früher hat sich schon einiges getan“, so der Geschäftsführer. Die Produkte etwa, die Frank in der großen Produktionshalle herstellt, werden schon seit sechs Jahren nachgefragt. „Zu Beginn dachten die Leute: »Ach, nach sechs Wochen ist das wieder vorbei!«“, erzählt Franks Betreuer Markus Rüßmann, „sie dachten alle: »Die schaffen das eh nicht«. Aber das tun sie und zwar gut.“ Viele der Teile, die in den Behinderten-Werkstätten hergestellt werden, sind unverzichtbare Einzelteile ganzer Produktionsketten in unterschiedlichen Branchen, ohne die Teile würde die gesamte Kette unterbrochen werden.

Viele gehören zur Risikogruppe

Besonders an den Behinderten-Werkstätten in NRW ist, dass auch Menschen mit Schwerst-Mehrfachbehinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht wird. Doch gerade hier stellen sich besonders schwerwiegende Herausforderungen für Marasch und seine Mitarbeiter. Viele der Beschäftigten gehören zur Risikogruppe. Doch auch die gravierenden Veränderungen durch die Pandemie machen den meisten zu schaffen. „Das Wichtigste für die Behinderten ist Vorhersehbarkeit“, weiß Beatrix Solyga, Abteilungsleiterin der Kleinarbeitsgruppen, in denen die Schwerbehinderten beschäftigt werden. „Gerade die Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung können wir gar nicht in die Werkstätte zurückholen“, erzählt Solyga. Zu drastisch seien die Veränderungen, zu einschneidend die Maßnahmen. Damit kämen sie nicht zurecht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Stattdessen bleiben sie seit Beginn des Lockdowns in den Wohneinrichtungen, zusätzliches Pflegepersonal musste her. Wie lange das so bleiben muss, das wisse niemand. Auch die Auftragslage sei um etwa 25 bis 30 Prozent eingebrochen, berichtet Marasch weiter. „Wir haben dennoch großes Glück, dass unsere Träger uns weiterhin tragen.“ Aber vor allem das Maß an Kreativität, das in den Lebenshilfe-Werkstätten zum Vorschein gekommen sei, habe ihn sehr berührt, erklärt der Geschäftsführer.

KStA abonnieren