Tanztheater Pina Bausch in LeverkusenEin Stück zum Versinken und aus dem Saal Torkeln

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Radikale Wucht: „Ectopia“ ist ein lebendes Kunstwerk.

Radikale Wucht: „Ectopia“ ist ein lebendes Kunstwerk.

Leverkusen  – Pina Bausch, diese Tanztheatermacherin von Weltrang, war bekannt für ihre Radikalität wenn es darum ging, was auf die Bühne zu bringen ist. Grenzen gab es nicht. Sie war Visionärin, die ihre Tänzerinnen und Tänzer bis aufs Äußerste forderte und den zeitgenössischen Tanz dadurch auf ein Niveau hob, das meilenweit über der klischeehaften Beschaulichkeit und Traditionalität schwebte, die mit dem Begriff „Tanztheater“ gerne einmal verbunden wird.

Insofern dürfte der im Jahre 2009 verstorbenen Wuppertalerin das, was die nachfolgende Generation an Akteurinnen und Akteuren ihres Tanztheaters auf dieser Tage auf die Bühne des Forums bringt, gefallen haben. Sehr sogar, denn: „Ectopia“, das am Samstag, 6. November im großen Saal dieses Hauses Uraufführung feiert, ist quasi Pina Bausch durch und durch. Und es ist ein dickes, ein lautes Veranstaltungsding für Leverkusen.

Aufschub nicht möglich

Das Stück, konzipiert vom Choreografen Richard Siegal, hätte eigentlich in der bergischen Großstadt aufgeführt, musste aber aufgrund von Flutschäden am dortigen Theaterhaus runter ins Rheintal nach Leverkusen verlegt werden. Aufschub nicht möglich – weil „Ectopia“ nach Aussage von Intendantin Bettina Wagner-Bergelt schlichtweg zu wichtig und eindringlich sei und ohnehin schon ob des Lockdowns habe zurückstehen müssen. Daher der Umzug. Der komme dem Ensemble gar nicht einmal so ungelegen, „weil die Bühne im Forum größer und somit sogar besser ist als bei uns in Wuppertal“, wie sie sagt. Und wer sich „Ectopia“ nun anschaut, der muss ihr recht geben.

Es ist nämlich ein Stück, das nach Platz verlangt, das raumgreifend ist und Zuschauende am Ende ein wenig – im positiven Sinne – erschlagen zurücklässt mit seiner Wucht. „Ectopia“ ist die Symbiose aus Tanz, Musik, Licht- und Aktionskunst. Für den Tanz ist eben Siegal zuständig. Die Musik stammt vom Elektromusiker Alva Noto. Das Licht, das auf die Bühne fällt von Matthias Singer.

Wachs zerplatzt

Und das Szenario, in dem all das zusammenfließt, ist das Kunstwerk „Shooting into the corner“ von Anish Kapoor: Mit einer großen Druckluftkanone werden regelmäßig je elf Kilogramm schwere Kugeln aus blutrotem Wachs in die Ecke zweier im weiten Winkel zueinander aufgestellten Wänden geschossen, wo sie aufprallen, zerplatzen und den Wachs über den kompletten Bühnenraum verteilen. Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich durch diese Szenerie gleitend, rutschend, einander jagend – und werden zum Teil eines somit lebendigen Kunstwerkes.

Das wiederum Assoziationen in rauen Mengen hervorruft: Es mag um Krieg gehen. Um Exekutionen. Um die Anbetung von Götzen, sobald die Kanone befüllt wird. Es geht um Gewalt und Brutalität. Die dazu wummernde und bedrohlich grummelnde Elektronikmusik, die eher Sound und Geräusch-Orgie denn festes Arrangement ist und auch zu wenig zimperlichen Computerspielen passen würde, dürfte nicht wenige Menschen irritieren. Und natürlich geistert auch irgendwo im Hinterkopf dieses Wort „Ekel“ herum, wenn die Tanzenden mehr und mehr im wahren Sinne des Wortes in der roten Farbe versinken.

Sinnlichkeit und Ästhetik

Indes: Ebenso geht es in „Ectopia“ assoziativ um kinetische Energie, um höchste Sinnlichkeit und überbordenden Ästhetik. Um die Verbindung von vielen Künsten zur maximalen Kunst. Und am Ende ist klar: In diesem Stück nicht gute eineinhalb Stunden lang vollends zu versinken und dann eher benommen aus dem Saal zu torkeln denn geraden Schrittes zu gehen, ist quasi unmöglich. Wie gesagt: Pina Bausch wäre begeistert. Selten schwebte ihr visionärer Geist derart rauschend über einer Darbietung.

„Ectopia“ wird am Samstag, 6. November, um 19.30 Uhr im großen Saal des Forums uraufgeführt. Die Premiere ist ausverkauft. Weitere Vorstellungen sind am Sonntag, 7. November, um 18 Uhr , am Mittwoch, 10. November, um 19.30 Uhr sowie am Donnerstag, 11. November, um 19.30 Uhr. Karten sind unter andrem über die Internetseite des Tanztheaters Pina Bausch sowie die Homepage der „Kultur-Stadt-Lev“ zu erhalten. Im Forum gilt die 3-G-Regelung.

www.pina-bausch.de

ww.kulturstadtlev.de

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