Vor HauptversammlungBayer-Kritiker bemängeln „antidemokratischen Maulkorb“

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So wie voriges Jahr in Bonn wird es am Dienstag keinesfalls aussehen:  Eine Demo vor der Bayer-Hauptversammlung kann nur ganz klein ausfallen.

  • In der Corona-Krise verschiebt Bayer seine Hauptversammlung nicht, sondern verlegt sie ins Internet.
  • Nicht nur Kritiker des Konzerns bemängeln, dass eine echte Auseinandersetzung mit dem Vorstand so nicht möglich ist.
  • Lesen Sie hier unter anderem, warum der Pharma-Firma vorgeworfen wird, zu wenig für die Entwicklung eines Corona-Medikaments getan zu haben.

Leverkusen – Mit zehn Gegenanträgen wird sich die Bayer-Spitze nächsten Dienstag auseinander setzen – in welcher Form auch immer. Denn die Premiere einer Hauptversammlung, auf der sich die Aktionäre gar nicht treffen, sondern nur im Internet zusammenkommen, eröffnet Aufsichtsrat und Vorstand ganz neue Möglichkeiten des (Nicht)-Umgangs mit den Anliegen. Die Rechte der Aktionäre sind durch das Covid-19-Gesetz sehr eingeschränkt: Fragen können nur schriftlich gestellt werden und müssen bis Samstag bei Bayer eingegangen sein. Nachfragen sind demnach ausgeschlossen, das bisher auf den Aktionärstreffen übliche Procedere, die Unternehmenspolitik einzuordnen, mit der Branche zu vergleichen und zu bewerten, funktioniert bei einer Übertragung im Netz kaum noch.

Nach Ansicht der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ ist der Konzern mit den Regeln für seine erste virtuelle Hauptversammlung weit übers Ziel hinaus geschossen. Unter Berufung auf Fachanwälte heißt es, der Bayer-Vorstand habe die Rechte und Fristen für Kleinaktionäre mit der Einberufung zur Online-Hauptversammlung „ungewöhnlich stark“ beschnitten und die Möglichkeiten des Covid-19-Gesetzes „bis zum Maximum“ ausgereizt.

Protestiert wird trotzdem

„Dieser antidemokratische Maulkorb ist ja allein mit dem virtuellen Format gar nicht zu begründen, Bayer versucht vielmehr vor der wachsenden Anzahl seiner Kritiker zu fliehen. Das lassen wir aber nicht durchgehen, es wird breiten Protest geben, online und vor den Werkstoren“, kündigt Marius Stelzmann an. Der Geschäftsführer der „Coordination“ ruft für den 28. April um 9 Uhr zu einer Kundgebung auf der Kaiser-Wilhelm-Allee auf, die aufgrund der Ansteckungsgefahr jedoch strengen Reglementierungen unterworfen sein wird. Welche das sind, hat Polizeipräsident Uwe Jacob gerade skizziert.

Strenge Demo-Regeln

Höchstens 20 Personen dürfen sich im Abstand von mindestens 1,50 Meter aufstellen, ein Marsch ist untersagt. Außerdem muss der Versammlungsleiter eine Teilnehmerliste erstellen, die zwei Monate aufgehoben werden muss. So können im Fall einer Infektion gefährdete Personen ermittelt werden. Flyer oder Informationsmaterial dürfen nicht verteilt, sondern nur zur Mitnahme ausgelegt werden. (tk)

Kein Vergleich also mit der Situation auf den bisherigen Aktionärstreffen, die immer auch eine internationale Zusammenkunft von Bayer-Kritikern waren.

Tropenmedizin abgewickelt

Von den zehn Gegenanträgen sind neun der „Coordination“ zuzurechnen: Neben dem Verein selbst bringen die Mitglieder Christiane Schnura und Axel Köhler-Schnura Kritik an. Erstere fordert, den Aufsichtsrat von Bayer nicht zu entlasten, weil er einen Strategiewechsel mitgetragen habe, der sich in der Corona-Krise als „fatal“ herausstelle: Die Tropenmedizin sei bei Bayer abgewickelt worden – dabei hätte man in diesem Bereich Erkenntnisse gewinnen können, die bei Behandlung der jetzigen Pandemie nützlich wären.

Schon 2004 hätten Forscher gezeigt, dass Bayers alter Malaria-Wirkstoff Chloroquin bei Sars-Patienten wirken könnte. Das Virus ist ein Vorläufer des Covid-19-Erregers. Aber Bayer habe die Sache nicht weiterverfolgt und sich mit der Chloroquin-Vermarktung zu den angestammten Indikationen begnügt – bevor der Vertrieb vorigen November zunächst ganz eingestellt worden sei. Denn Arzneien gegen Infektionen seien nicht gewinnträchtig genug. Dass Bayer nun Millionen Chloroquin-Tabletten spende, sei nur als Werbe-Aktion zu verstehen, sagt Christiane Schnura.

Spionage-Affäre nur lustlos aufgearbeitet

Weitere Gegenanträge gibt es zu den Regeln, unter denen die erste virtuelle Bayer-HV abgehalten wird, die Spionage-Aktion von Monsanto bei Kritikern des Unternehmens und die Aufarbeitung der Affäre bei Bayer. Außerdem gegen das Vergütungssystem für den Vorstand, das nach Ansicht der „Coordination“ viel zu wenig Anreiz zum ökologischen Handeln gibt, oder die dürftige Umweltbilanz des Konzerns, die vom Aufsichtsrat hingenommen werde.

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Schließlich zum Megathema Glyphosat, bei dem der Bayer-Vorstand völlig falsch handle. Die Konzernführung sei „ in der Pflicht, die Produktion des krebserregenden Produktes Roundup einzustellen und zuzugeben, welch verheerende Wirkungen es entfaltet hat“, so die Coordination. Doch bisher versuche der Vorstand, „die tödlichen Konsequenzen der Anwendung von Glyphosat für Mensch und Umwelt abzustreiten.“ Er dürfe nicht entlastet werden.

Genau das ist vor einem Jahr passiert. Allerdings nicht wegen der möglichen großen Gefährlichkeit von Glyphosat-Produkten für Mensch und Umwelt. Sondern wegen der finanziellen Risiken, denen Bayer durch viele Tausend Klagen ausgesetzt ist.

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