Mafia im Rheinland„NRW ist eine Hochburg – wir brauchen dringend mehr Ermittler”

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Razzia gegen die Mafia in einem Duisburger Eiscafé

  • Im Rheinland haben sich Experten zufolge zahlreiche Mafia-Mitglieder niedergelassen, die Drogengelder waschen und Hotspots aufgebaut haben, in denen sich weitere Familienangehörige ansiedeln können.
  • LKA-Ermittler und Gewerkschafter Oliver Huth kämpft gegen die kriminellen Strukturen und erzählt in diesem Interview aus dem Alltag der oft komplexen Ermittlungen gegen die gefährlichen Clans.
  • Teil 4 von 4 unserer Serie „Die Mafia im Rheinland“

Herr Huth, als Mafia-Experte beim Landeskriminalamt-NRW: Welche Rolle spielt die kalabrische ’Ndrangheta in der hiesigen Unterwelt? Eine enorm große Rolle. In Deutschland sind alle vier großen italienischen Mafia-Organisationen aktiv, aber gerade das Verfahren „Pollino“ gegen einen Drogenring der ´Ndrangheta in NRW hat gezeigt, dass die kriminellen kalabrischen Clans die größte Schlagkraft hierzulande entwickeln. Diese Mafia-Familien sind bestens im internationalen Verbrechen vernetzt. Im Rauschgifthandel oder im Bereich der Geldwäsche ist die ´Ndrangheta führend. Die Mitglieder dieser Syndikate operieren inzwischen in ganz Europa und natürlich auch in Deutschland. Und das macht sie so gefährlich. 2019 schätzte die Bundesregierung die Zahl der Mitglieder der ´Ndrangheta allein in Deutschland auf 1000 mit 18 bis 20 Stützpunkten. Die hiesigen Sicherheitsbehörden gehen allerdings von einem weitaus größeren Dunkelfeld aus.

Auch in Nordrhein-Westfalen?

Gerade in NRW stellt für die ´Ndrangheta eine Hochburg dar. So hat der Komplex „Pollino“ offenbart, dass in Ruhrmetropolen oder auch im Rheinland zahlreiche Clanmitglieder sitzen, die etwa Drogengelder waschen und Hotspots aufgebaut haben, in denen sich weitere Familienangehörige niederlassen können.

Früher hieß es, dass die Mafia Deutschland als Ruheraum nutzt, um der Verfolgung italienischer Mafia-Jäger zu entgehen, wie sieht es heute aus?

Zum einen dient Deutschland immer noch als Ruheraum, in dem viele Clans Lokale unterhalten. Dadurch können sie Familienangehörige, die an Fehden mit anderen Sippen beteiligt sind, aus dem Feuer holen oder diese Leute vor dem Zugriff der italienischen Strafverfolgungsbehörden verstecken. Zur Tarnung arbeiten diese Mafiosi dann als Eisverkäufer oder Pizzabäcker. Sie werden offiziell angemeldet. Das hat meist zur Folge, dass die Syndikate über die Neuankömmlinge Kreditverträge aller Art abschließen. Und so kommt es, dass die Banken oder Autohäuser auf ihren Darlehen sitzen bleiben, weil ihre Neukunden sich längst wieder aus dem Staub gemacht haben. Die Gewinne aus dem Schwindel kassiert dann wieder die Familie in Kalabrien.

Beispiele für weitere illegale Geschäftsfelder?

Nehmen wir das Thema Geldwäsche. Von ihrer Heimat aus betreibt die ´Ndrangheta fingierte Geschäfte mit deutschen Gesellschaften. Über Scheinrechnungen verschieben die Drahtzieher ihre kriminellen Gewinne aus dem Kokainhandel nach Deutschland, um sie über weitere Geschäfte in den legalen Wirtschaftskreislauf einzuschleusen.

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Warum transferieren viele italienische Mafiosi ihr Geld häufig nach Deutschland?

Das hat einen einfachen Grund. Ab Bargeldgeschäften von 1000 Euro muss der Mafioso in seiner Heimat nachweisen, aus welchen Quellen der Betrag stammt. Kann er die legale Herkunft nicht belegen, zieht die italienische Justiz die Summe ein. Das Prinzip nennt sich Beweislastumkehr. Nun ist es so, dass die ’Ndrangheta kein Problem mit Geldzuflüssen aus ihren kriminellen Aktivitäten hat, sondern eher damit, diese zu säubern. In Deutschland kaufen die Clans teure Autos oder investieren massiv in Gewerbeimmobilien, um hier Gastronomiebetriebe unterzubringen.

Deutschland ist also ein Schlaraffenland für Geldwäscher der Mafia & Co. KG?

Das war früher sicherlich so. Inzwischen aber laufen die Dinge durch das neue Vermögensabschöpfungsgesetz anders. Das zeigt etwa der Fall des kurdisch-libanesischen Rammo-Clans. Dort wurden insgesamt 70 Immobilien beschlagnahmt. Zwar konnten die Strafverfolger den Verdacht der Geldwäsche nicht gänzlich nachweisen. Allerdings hat das Gericht auf Grund des neuen Paragrafen die Beschlagnahme bestätigt, weil die Herkunft der Gelder für den Kauf der Objekte von der Gegenseite nicht eindeutig nachgewiesen werden konnten. Das heißt auch, die ´Ndrangheta wird es künftig schwerer haben, hierzulande ihre Gewinne zu waschen.

Zur Person

Oliver Huth gilt als ausgewiesener Experte für das Organisierte Verbrechen und Geldwäsche. Der 41-jährige Kriminalhauptkommissar leitete im LKA-NRW schon etliche Mammutverfahren. Seit Jahren ist der begeisterte Jogger der Vizechef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter . (xl)  

Ein Punktsieg gewiss, aber auch die neue deutsche Regelung ist noch weit vom italienischen Vorbild entfernt, siehe etwa der Kölner Richterspruch im Fall einer kriminellen Großfamilie aus Leverkusen. Obschon einer der Clangrößen mutmaßlich Millionen aus gewerbsmäßigen Betrügereien in den Kauf von Wohnhäusern über Strohleute investierte, durften seine Mittelsmänner etliche Objekte behalten. Das heißt: Noch immer bestehen gravierende Unterschiede dies- und jenseits der Alpen.

Das stimmt. In Italien ist allein schon die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Familie ein Delikt. Das ist hier nicht so. Dieser Umstand macht es für die deutsche Polizei auch schwerer, etwaige Strohleute aus dem Verkehr zu ziehen. Es ist also immer noch möglich, in Deutschland Vermögen zu verschleiern. Grundsätzlich ist die Rechtslage allerdings besser geworden. Doch fehlt es noch an einem höchstrichterlichen Urteil, um für die Justiz Rechtssicherheit zu schaffen. Was muss sich verbessern im Kampf gegen die Mafia? Das Pollino-Verfahren hat vor allem eines gezeigt: Polizei und Justiz brauchen einen langen Atem, auch müssen sich die Behörden international besser vernetzen. Zudem benötigen die Kommissariate der Organisierten Kriminalität (OK) ausreichend gut geschultes Personal. Das ist hier in Nordrhein-Westfalen Mangelware, wenn wir da nicht genügend Ressourcen in Kampf gegen Mafia & Co. reinpumpen, wird es schwierig. Die OK-Arbeit verlangt ein hohes Maß an Know-How.

Heißt?

Gerade der Drogenhandel fällt in den Bereich der Kontrollkriminalität. Das heißt: je mehr Kripo-Beamte in dem Bereich ermitteln, desto mehr Fälle werden offenbar. Das sieht man ja jetzt gerade auf dem Feld der Kinderpornographie und des Missbrauchs. Da hat der NRW-Innenminister viele Dienststellen wie den OK-Bereich ausgedünnt und das Personal in diesen neuen Schwerpunkt hineingesteckt. Und schon verdoppelt sich die Zahl der Verfahren – dafür bleibt im Bereich der OK dann einiges liegen.

Lässt die Landesregierung den Kampf gegen das Organisierte Verbrechen schleifen?

Zumindest genießt dieses Kriminalitätsfeld keine herausgehobene Priorität. Solche Verfahren sind extrem zeitintensiv, sehr komplex, der aktuelle ´Ndrangheta-Fall Pollino lief über drei Jahre und ist trotz der ersten großen Anklage gegen 14 Hauptverdächtige immer noch nicht abgeschlossen. Wir haben in NRW viel zu wenig OK-Spezialisten. Es gibt ungefähr 1000 Ermittler, die gegen das Organisierte Verbrechen ermitteln – sei es im Bereich der Wirtschaftskriminalität oder gegen Filialen der italienischen Mafia als auch die russischen „Diebe im Gesetz“. Nicht zu vergessen südosteuropäische Banden, Rocker-Gangs oder die kurdisch-libanesische Clankriminalität. Bei den Nachforschungen gegen solche Gruppierungen muss man die ganze Klaviatur der Strafprozessordnung beherrschen. Ein strukturierter Aktenaufbau ist genauso wichtig wie Vernehmungserfahrung nebst Spezialkenntnissen, um verdeckte Operationen durchführen zu können. Meist kommen Steuerdelikte oder Geldwäschetaten hinzu – die Wissensbandbreite als OK-Kriminalist ist groß.

Und solche Dinge werden nicht bei der Ausbildung vermittelt?

Nein. Leider leistet sich Nordrhein-Westfalen immer noch den Einheitspolizisten. Jeder Beamte fängt nach einem allgemeinen Fachhochschulstudium zunächst in Uniform im Wach- und Wechseldienst an. Während der Hochschulausbildung fehlt es bereits an einem speziellen Kursprogramm für Kriminalbeamte, so dass im OK-Bereich der Nachwuchs fehlt. Wenn die jungen Kollegen dann zur Kripo kommen, müssen sie sich erst einmal die Grundlagen kriminalistischer Arbeit aneignen, ehe sie zu Dienststellen wechseln können, die gegen Mafia & Co. vorgehen. Wenn wir hier nicht bald massiv gegensteuern, drohen uns ähnliche Verhältnisse wie in Italien, wo die Mafia längst größere Teile von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft unterwandert hat. Derzeit ist die Kripo personell nicht so besetzt, um den Kampf gegen die Mafia zu gewinnen.

Das Gespräch führte Axel Spilcker

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