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Meteorologe über Starkregen in NRW„Werte, die so in Köln noch nie gemessen wurden“

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Rakoczy Rodenkirchen 250721

Das Rheinufer in Rodenkirchen ist gesperrt.

Köln – Schwere Unwetter haben im Westen Deutschlands teils zu heftiger Verwüstung geführt. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat der anhaltende Starkregen an zahlreichen Orten Notlagen ausgelöst. Mehrere Menschen sind gestorben. Der Meteorologe Bernhard Pospichal von der Universität zu Köln erklärt im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, warum das aktuelle Extremwetter in dieser Form bislang einzigartig in Köln und der Region ist und welche Rolle der Klimawandel bei alldem spielt.

Aus meteorologischer Sicht: Als wie heftig ist das aktuelle Starkregenereignis einzuordnen?

Dr. Bernhard Pospichal: Das ist schon ein sehr extremes Ereignis gewesen. Gerade in Köln und der Region, vor allem in Richtung Eifel, hat es Niederschlagsmengen gegeben, die so innerhalb von 24 Stunden noch nie aufgetreten sind. Es gibt natürlich immer mal wieder extreme Niederschläge, aber das steht dann in Verbindung mit Gewittern und tritt vor allem nicht so großräumig auf.

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Betroffen war diesmal ein ganzer Streifen, der sich vom Sauerland über das Bergische Land und Köln bis in die Eifel zieht und dort überall Niederschlagssummen von 100 mm in 24 Stunden produziert hat. Das sind Werte, die so großflächig in den letzten Jahrzehnten nie vorgekommen sind.

Ein historisch bislang einzigartiges Ereignis also?

Dass es etwas noch nie zuvor gegeben hat, ist natürlich schwer zu sagen, denn wir messen ja nicht flächendeckend. Allerdings sind Extremniederschläge oft lokal beschränkt. Es kann also immer mal wieder etwa bei einem sehr heftigen Sommergewitter 100 mm Niederschlag geben. Das tritt jedoch dann an einem Ort auf, zwei Kilometer weiter ist es schon viel weniger.

Maßeinheit der Niederschlagsmessung

Die Niederschlagsmenge wird in Litern pro Quadratmetern (l/qm) oder mit der Höhe in Millimetern (mm) angegeben. Eine Niederschlagshöhe von 1 mm entspricht einer Niederschlagsmenge von 1 l/m². Somit entspricht die Niederschlagshöhe von 154 mm einer Niederschlagsmenge von 154 l/m².

Was ich aus den Daten, die wir vom Deutschen Wetterdienst zur Verfügung stehen haben, gesehen habe, ist, dass es allerdings seit Beginn der Aufzeichnungen in unserer Region noch nie ein großflächiges Ereignis wie dieses gegeben hat. Relativ gute Daten haben wir über die Niederschlagsmengen der letzten 50 bis etwa 70 Jahre.

Welche Ursachen gibt es für den extremen Starkregen am Mittwoch?

Wir hatten über Mitteleuropa ein sogenanntes Höhentief – das ist ein Tiefdrucksystem, das vor allem in hohen Luftschichten ausgeprägt ist. Gestern lag das Höhentief genau über Deutschland.

Besonders war, dass das System sehr stationär war, es hat sich kaum bewegt. Zusätzlich hatten wir die Wochen zuvor relativ warme Wetterlagen und in der Luft ist viel Feuchtigkeit vorhanden gewesen. Das heißt, es kamen mehrere Faktoren zusammen, die für diese enormen Niederschlagsmengen gesorgt haben.

Es hatte den Anschein, als komme das Unwetter zum Teil unerwartet.

Es kam nicht ganz unerwartet. Die Wetterprognosen waren schon sehr gut, sie haben schon ein, zwei Tage vorher diese extremen Niederschlagsmengen vorhergesagt. Die Unwetterwarnungen gingen ja auch rechtzeitig raus. Leider hat sich bewahrheitet, dass sie notwendig waren. Doch die Summe an Regen, die dann tatsächlich gemessen wurde, ist erstaunlich und einzigartig. Das hat mich schon überrascht.

Die Wetterstation Köln-Stammheim zum Beispiel hat 154 mm in 24 Stunden gemessen. Das sind Werte, die so in Köln seit 1945 noch nie gemessen worden sind. Die maximale Tagesniederschlagsmenge betrug an der Kölner Station 95 mm – ein Mal seit 1945. Das heißt, es war dieses Mal nicht nur ein bisschen mehr, sondern wirklich extrem viel mehr.

Inwiefern ist das aktuelle Starkregenereignis eine direkte Folge des Klimawandels?

Das ist bei einzelnen Ereignissen natürlich immer schwierig zu sagen. Denn der Starkregen ist ein Wetterereignis und Wetter ist nicht Klima. Aber: Wir sehen eine Zunahme von Starkniederschlagsereignissen und auch von stationären Wetterphänomenen, die sich nicht weiter bewegen. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Welche?

Einerseits kann man sagen, dass der Jetstream für diese stationären Wetterphänomene sorgt. An dem Jetstream wandern diese Tiefdruckgebiete üblicherweise von Westen nach Osten über uns hinweg. Er hat jedoch die Tendenz sich abzuschwächen, was auch mit dem Klimawandel verbunden ist. Denn der Jetstream wird durch den Temperaturunterschied zwischen den Tropen und den Polregionen angetrieben – aus dem Temperaturgefälle zieht er seine Energie. Derzeit ist es wegen dem Klimawandel aber so, dass sich die polaren Regionen deutlich schneller erwärmen als die Tropen. Das heißt, der Temperaturunterschied wird geringer und dadurch wiederum verringert sich der Antrieb des Jetstreams.

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Wenn der Jetstream schwächer ist, bedeutet das, dass die Tiefdruckgebiete weniger rasch weiterziehen und länger an einem Ort bleiben können. Das ist auch eine Ursache von extremen Hitzewellen. Eine Zeit lang kann so eine südliche Strömung weit nach Norden gebracht werden. Wie wir es zum Beispiel aktuell in Kanada beobachtet haben - ebenfalls eine sehr stationäre Wetterlage.

Welche weiteren Gründe gibt es?

Der zweite Punkt ist die Frage: Warum kann es jetzt mehr regnen als zuvor? Es ist so, dass wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann, bevor es zu Regen kommt. Mit jedem Grad Erwärmung kann die Luft mehr Wasser aufnehmen – in etwa sieben Prozent pro Grad. Grundsätzlich kann dann jedes einzelne Tiefdruckgebiet zu mehr Regen führen.

Können solche Extremwetterlagen also in Zukunft häufiger vorkommen, wenn der Klimawandel weiter voranschreitet?

Ja durchaus. Es deutet vieles darauf hin, dass die Extreme stärker werden. Sowohl die Dürreperioden, als auch die Starkniederschlagsereignisse. Wenn man sich hingegen allein die Jahresniederschlagsmengen anschaut, ist kaum ein Signal des Klimawandels zu erkennen. Der Grund  ist, dass man zwar weniger, aber dafür stärkere Niederschläge hat. In Summe regnet es auf das Jahr gerechnet dann nicht weniger, doch es hilft natürlich nichts, wenn zwei Monate lang Dürre herrscht und anschließend 100 mm herunterkommen. Früher hat sich diese Niederschlagssumme viel gleichmäßiger verteilt.

Die vergangenen Sommer waren in Deutschland sehr heiß und sehr trocken. Dieser Sommer hingegen ist sehr nass und eher kalt.

Nass ja, kalt nicht unbedingt. Der Juni war deutschlandweit der drittwärmste, viel wärmer als im Durchschnitt. Hier im Westen etwas weniger, aber im Osten besonders. Dort war es fast schon wieder ein Rekord-Juni. Doch auch in Köln war der Juni um 2,7 Grad wärmer als im Mittel. In Berlin sogar 3,7 Grad. Das ist schon deutlich. Für den Juli lässt sich bislang sagen, dass er eher zu kalt war. In etwa ein Grad zu kalt. Aber das kann sich bis zum Ende des Monats noch ändern.

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Also wird sich das Wetter in den kommenden Tagen bessern?

Es scheint so, dass sich das Wetter wieder beruhigt. Es ist keine Hitzewelle zu sehen, aber es wird wieder in Richtung 25 Grad gehen. Für das Wochenende ist schönes und trockenes Sommerwetter in Sicht. Auch in die nächste Woche hinein sind kein Starkregen und kein Extremwetter zu erwarten.

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